Ich sprach oben von der moralischen Niederlage , aber noch größer ist die politische . Die Ödenburger Abstimmung hat endgültig das vernichtende Urteil über die ungarische Nationalitätenpolitik der letzten fünfzig Jahre gefällt . Wir haben es schon in Friedenszeiten gesehen , wie diese Politik bei den Rumänen , Serben usw . einerseits zur größten Erbitterung , andererseits zur tiefsten Korruption führte , indem die patriotischen Gefühle hüben und drüben Gegenstand intensivsten politischen Kuhhandels wurden . Als einer meiner Freunde ( vor dem Kriege ) von einer mehrmonatigen Reise in Siebenbürgen heimkehrte , sagte er mir : „ Siebenbürgen ist verloren .“ Ich fragte bestürzt , wie er das meine ? Er sagte : „ Nun , Siebenbürgen ist für Ungarn verloren ; die Rumänen haben sich wirtschaftlich und politisch so ausgebreitet , dass das Land schon heute ihnen gehört .“ Und nicht besser sah es im Banat , in der Slowakei usw . aus . Aber davon hörte die Öffentlichkeit nichts . Im Gegenteil : Wir im Westen trösteten uns bei den vielen , großen und schweren Opfern , die wir tagtäglich an deutscher Kultur dem madjarischen Chauvinismus brachten , mit dem Bewusstsein , dadurch beispielgebend gewirkt und dem ungarischen Vaterlande einen großen Dienst erwiesen zu haben . Wie schwer wurden wir getäuscht : Während wir fast schon die letzten Reste unserer alten deutschen Kultur auf den Altar des Vaterlandes legten , hat man es ruhig geduldet , dass die an Kultur in Europa wohl am tiefsten stehenden Rumänen sich wirtschaftlich und politisch immer mehr ausbreiteten und von ganz Siebenbürgen den Madjaren fast nur die Hauptstadt Kolozsvár überließen . Und ähnlich , wenn auch nicht so krass , ging es im Norden und Süden zu . Freilich , die Öffentlichkeit vernahm darüber kaum ein Wort . Das verbot ja schon der Chauvinismus , dessen Eitelkeit durch die Wahrheit gekränkt worden wäre . Und dann - waren denn diese rumänischen Abgeordneten nicht die zuverlässigste Stütze aller Regierungen ? Ja , das waren sie wirklich , aber nur ein bisschen teuer musste ihre „ Anhänglichkeit “ an Ungarn erkauft und bezahlt werden …
Es ist also zweifellos , dass schon vor dem Weltkriege die Nationalitätenpolitik Ungarns in Ost , Nord und Süd ein vollständiges Fiasko erlitt . Trotzdem wurde bei uns im Westen die „ nationale Propaganda “ mit - wenn möglich - gesteigertem Eifer fortgesetzt . Mit welchem Erfolge ? Das hat die Volksabstimmung erwiesen . Ziehen wir die Bilanz : Im Jahre 1892 hatte die Stadt Ödenburg madjarische Einwohner 8100 - im Jahre 1914 15.000 . Wenn man davon den natürlichen Zuwachs , sowie die Zuwanderung infolge Gründung neuer Institute , Ämter , Fabriken usw . abrechnet , so dürften als Ergebnis der chauvinistischen Propaganda kaum 2000 bis 3000 verbleiben .
Auf dem Lande hat der Chauvinismus überhaupt keinen Erfolg zu verzeichnen . Das kaum merkliche Anwachsen des Madjarentums ist dem natürlichen Zuwachs sowie der Delegierung von ungarischen Beamten zu verdanken . Selbst Proselyten sind hier kaum vorhanden . Das ist der Aktiv-Saldo .
Sehen wir nun die Passiven an : Die deutsche Bevölkerung ist , wie wir oben sahen , in den zweiundzwanzig Jahren 1892-1914 zwar wenig , aber doch zurückgegangen .
Aber was bedeutet diese leibliche Sterilität gegenüber der geistigen ? Als ob mit dem Einsetzen des Chauvinismus alle guten Geister von uns geflohen wären ! Der deutsche Mann in Westungarn hat sich – der ewigen patriotischen Hemmungen müde – nicht nur vom politischen , sondern mehr und mehr auch vom gesellschaftlichen Leben und vom Vereinsleben zurückgezogen . Er lebt heute nur seinem Berufe oder seinen Geschäften , im Übrigen spinnt er sich ganz in seine vier Wände ein . Aber auch dahin verfolgt ihn der Chauvinismus . Die Kinder bringen aus der Bürger- und Mittelschule Ideen nach Hause , die den Eltern mehr oder weniger fremd und unverständlich sind . Außer der natürlichen Scheidung von Alter und Jugend , noch die künstliche , die am Herzen nagt …
Am Lande sieht es noch trauriger aus . Was unsere Bauernkinder in vier bis fünf Jahren in der Volksschule in ungarischer Sprache erlernten , haben sie in noch kürzerer Zeit fast vergessen . Deutsch aber haben sie gar nicht oder recht mangelhaft gelernt – denn es gab ja für den Lehrer kein höheres Lob , als wenn der Schuldirektor oder gar der Oberstuhlrichter nach der Prüfung konstatieren konnte : „ Ma csak magyar szót hallottunk !“ („ Heute haben wir kein anderes Wort als Ungarisch gehört !“) Die Folge : Die meisten Landleute können weder Ungarisch , noch Deutsch . Wer darf sich dann darüber wundern , dass unser Volk zurückgeblieben und verwildert ist ? Diese deutsche Bevölkerung hat allein auf dem Gebiete der Musik uns Liszt , Goldmark , Hummel , Hans Richter , Nikisch und so viele andere gegeben . Seitdem die deutschen Lehrerbildungsanstalten aufgehoben wurden , ist auch hier die Ebbe eingetreten . Und nirgends ein überhaupt auch nur nennenswerter Ersatz auf anderen kulturellen oder geistigen Gebieten !
Doch nicht nur auf das Deutschtum , auch auf das madjarische Staatswesen hat der Chauvinismus verheerend gewirkt . Darin stimmen nämlich alle Kenner unserer Gegend überein , dass der Chauvinismus mit seinen politischen , wirtschaftlichen , kulturellen und gesellschaftlichen Einflüssen und Imponderabilien der stärkste und entscheidendste Hemmschuh der Entwicklung unserer sonst von Gott so gesegneten Gegend gewesen ist . Die jahrhundertelange Fehde zwischen den Konfessionen hatten wir endlich so ziemlich hinter uns . Nichts störte mehr die ungehemmte Entwicklung , zu deren Durchführung ein selten begabtes , arbeitsames , zähes und vor allem tief konservatives Bürgertum zur Verfügung stand . Wenn dieses Bürgertum sich hätte frei entfalten können , dann wäre Ödenburg heute eine Stadt von mindestens doppelter Einwohnerzahl , worunter die Madjaren in faktisch größerer Zahl vertreten wären als heute . Und was mehr bedeuten würde : eine Stadt , wo deutscher Fleiß und deutscher Bürgersinn mit madjarischer Ritterlichkeit und madjarischer Genialität wetteifern würden ! Welche Perspektive ! Alles dies hat der Moloch Chauvinismus vernichtet . Wir haben