denn – wie schon erwähnt – nicht nur auf dem Lande , sondern auch in der Stadt hat mehr als die Hälfte der deutschen Wähler erklärt , dass sie Ungarn verlassen und zu Deutschösterreich kommen will .
Nach der Sachlage ist es wohl ausgeschlossen , in wirtschaftlichen Motiven den Grund des Verhaltens der deutschen Wählerschaft zu suchen . Auch der Propaganda von österreichischer oder großdeutscher Seite kann kein wesentlicher Einfluss auf das Wahlergebnis zugebilligt werden . Der Burgenländler ist nicht leicht zugänglich . Der Hauptgrund , ich möchte sagen , der alleinige Grund liegt tiefer . Er liegt darin , dass die Deutschen Ungarns das Vertrauen in die madjarische Herrschaft , in die Regierung und vielleicht noch mehr in die Verwaltung vollkommen verloren haben . Was erfahrene deutsche Patrioten seit Jahrzehnten befürchteten , ist eingetroffen : Die Deutschen Ungarns sind zur Überzeugung gelangt , dass es ihnen in Ungarn nicht länger möglich sein wird , ihr Deutschtum zu bewahren . Hätten sie noch den geringsten Schimmer von Hoffnung erblickt , dass in Ungarn eine loyale und gerechte Nationalitätenpolitik getrieben werden wird , dann wäre es ihnen nie eingefallen , sich an Deutschland oder Österreich anzuschließen , selbst dann nicht , wenn diese Staaten die mächtigsten und blühendsten wären .
Und dieser Abfall findet unter erschwerenden und höchst traurigen Begleiterscheinungen statt : Die Deutschen sind nun die letzte Nationalität [ Minderheit ; d . Red .] des alten Ungarn . Bei dem Abfall der Slowaken , Kroaten usw . konnte man noch die Meinung hegen , dass dieser Abfall nicht ganz freiwillig geschehen sei . Die Burgenländler haben sich in Mehrheit und in freier Entschließung gegen Ungarn erklärt . Das ist umso schmerzlicher weil gerade die Deutschen ohne Zweifel die treueste und verlässlichste Nationalität Ungarns gewesen sind . Und unter den Deutschen Ungarns sind wieder die Westungarn diejenigen gewesen , die an Loyalität alle anderen übertrafen . Die Siebenbürger Sachsen und andere deutsche Stämme zeigten mehr oder weniger Hang für Selbstverwaltung , für Absonderung , für Fühlung mit den Reichsdeutschen usw . Wir Burgenländler haben nie solche Ambitionen und Aspirationen gezeigt . Wir haben immer mit fast hündischer Treue alle Weisungen befolgt , die uns von Budapest gegeben wurden und nicht einmal mit dem nahen Niederösterreich , mit dem wir durch zahllose verwandtschaftliche und geschäftliche Bande verknüpft sind , hatten wir völkisch-politische Verbindungen .
Die entscheidende Frage ist nun die : Ist das Verhalten der Mehrheit unser burgenländischen Deutschen bei der Abstimmung vom 14 . und 16 . Dezember gerechtfertigt – oder nicht ?
Es ist traurig , aber leider wahr , dass unser deutsches Volk viel Ursache hatte , die Frage mit „ Ja “ zu beantworten . Seit fünfzig Jahren war die Politik Ungarns uns Deutschen im Burgenlande gegenüber die der nicht eingehaltenen Versprechen und des gewaltlosen Terrors . Ohne äußeren Zwang , aber unter dem Deckmantel der patriotischen Pflicht wurden uns – langsam , aber sicher – alle wesentlichen Bildungsmittel und Kulturbehelfe , Schule , Theater , Vereine usw . entweder ganz entzogen oder doch wesentlich eingeschränkt . Knapp vor Ausbruch des Weltkrieges wurde uns sogar verboten , das Wort Ödenburg oder sonst einen uralten deutschen Ortsnamen im Firmenwortlaut zu gebrauchen . Keine Appellation , kein Rekurs half dagegen . Aber Hinweise auf die Gesetze , welche die liberalsten in ganz Europa seien , und feierliche Erklärungen aller Regierungen bekamen wir schockweise ! Im Anfang war das Wort , aber in Ungarn ist auch in der Mitte das Wort und selbst am Schlusse nur das Wort , immer das Wort und nie die Tat .
Man täte den Deutschen in Ungarn auch schweres Unrecht , wenn man behaupten wollte , dass sie nicht Geduld besessen und geübt hätten . Vom alten Andrássy bis zum jungen , von Koloman Tisza bis zum Grafen Stefan Tisza , von Desider Szilágyi bis zum Grafen Apponyi warteten wir sehnsüchtig auf den Minister , der endlich einmal dem rüden Chauvinismus Halt gebieten und dem Gesetze Geltung verschaffen wird . Fünfzig Jahre warteten wir umsonst darauf . Es wurde immer schlechter . Die erwähnten „ Führer “ sind selbst unter die Chauvinisten gegangen . Jetzt , nach dem Zusammenbruch haben zwar Graf Apponyi und einige andere Politiker erklärt , dass ihre Nationalitätenpolitik ein Irrtum gewesen sei . Aber was haben wir Deutsche davon ? Wenn ein Mann von der geistigen Kapazität Apponyis fast fünfzig Jahre brauchte , um seinen Irrtum einzusehen , wie lange werden die Obergespane gewöhnlichen Kalibers und die Vizegespane , die Stuhlrichter und die Notäre brauchen ? Das könnte wohl kein Methusalem abwarten .
Also nirgends auch nur der Schein einer Besserung ! Im Gegenteil !
Ich halte es für zweifellos , dass jetzt , da die Gefahr der Annexion Ödenburgs vorüber ist , die Madjarisierung in den noch verbleibenden deutschen Gegenden in verstärktem Maße einsetzen wird . Und dabei wird dem Chauvinismus ein Umstand zu Hilfe kommen , der von allergrößter Wichtigkeit ist . In der alten Monarchie war die stärkste Hemmung gegen die Vergewaltigung der Nationalitäten , namentlich der Deutschen , die Armee . Und zwar nicht nur die k . u . k ., sondern auch die k . ung . Armee ! Auch bei der Honvéd hat der deutsche Mann oder Unteroffizier die deutsche Sprache nicht verlernt , im Gegenteil . Heute ist unsere Armee ganz im chauvinistischen Lager . Der deutsche Rekrut wird nach Beendigung seiner Dienstzeit als Madjare zurückkehren , darum befürchte ich , dass in Zukunft die Madjarisierung in viel schnellerem Tempo fortschreiten wird .
Das Deutschtum in Ungarn steht also vor der Gefahr der völligen Vernichtung . Was dies in ethischer Beziehung bedeuten würde , ist unsagbar . Aber auch vom rein madjarischen Standpunkte betrachtet wäre die Vernichtung des Deutschtums katastrophal . Was die Deutschen in Ungarn geleistet , hat nie und nirgends auf der Welt eine völkische Minorität geleistet . Die Deutschen sind das Salz in Ungarn .