Sonntagsblatt 3/2022 | Page 12

Wegen der Veröffentlichung dieses Beitrags wurde das damalige Sonntagsblatt zeitweise vom Innenministerium verboten .
Teil 3 IV .
So also sah es in unserem lieben Ödenburg zu Anfang dieses Jahrhunderts aus . Ich weiß , das Bild ist nur eine Skizze , aber wer je mit Nationalitätenpolitik zu tun hatte , wird sich ohne viele Mühe ein vollständiges Konterfei zurechtlegen können . Und dann kamen der Weltkrieg , der Zusammenbruch , der Umsturz , im Gefolge Autonomiegesetz , Verordnung über die Gleichberechtigung der nationalen Minderheiten und feierliche Erklärungen der Regierungskreise und führenden Politiker hinsichtlich restloser Durchführung der achtundsechziger Gesetze usw . Nach Wiederherstellung der Monarchie wurde das Autonomiegesetz aufgehoben und auch von den Versprechungen für den Schutz der deutschen Minorität wurde fast nichts erfüllt . Wohl stellte man es dem Einzelnen frei , die Sprache des Unterrichtes der Kinder in der Volksschule zu bestimmen , aber man dachte gar nicht daran , für deutsche Lehrer und Lehrbehelfe Sorge zu tragen . Es ist wahr , einzelne Gerichte und Stuhlrichterämter geben deutsche Bescheide hinaus , das ist aber auch alles . Dagegen wird die chauvinistische Propaganda in erhöhtem Maße betrieben . Man hat in letzter Zeit bei uns unter behördlicher Patronanz wenigstens zehn patriotisch-künstlerische Veranstaltungen inszeniert , bei welchen kein deutsches Wort erklang . Move , Liga und wie sie alle heißen , kennen die deutsche Sprache überhaupt nicht . Man veranstaltet ein großes Sängerfest mit Ausschluss des deutschen Liedes . Nach Neufeld , einer rein deutschen Gemeinde und wichtigstem Grenzort , wurde ein Grenzpolizeihauptmann delegiert , der überhaupt kein Wort Deutsch verstand . Die Fragebogen für die Volkszählung wurden nur ungarisch herausgegeben . Man veranstaltete im Sommer eine große Protestversammlung gegen den Anschluss , zu welchem die deutsche Bevölkerung von drei Komitaten mit Separatzügen hierhergebracht wurde , und unter sieben Festrednern hatte einer die Liebenswürdigkeit , fünf Minuten deutsch zu sprechen . Als man nachher die Landsleute befragte , welchen Eindruck sie gewonnen , sagte einer lakonisch : „ Nun , wenn wir nicht schon vor der Versammlung für Ungarn gewesen wären , nach dieser Versammlung würden wir für Österreich stimmen !“ Bedarf es da noch eines weiteren Beweises , dass selbst der Weltkrieg an unserer chauvinistischen Intelligenz spurlos vorübergegangen ist ? Wahrlich , diese Herren haben viel vergessen , aber nichts gelernt .
Ja , noch nach dem Abkommen von Venedig hat man es seitens der madjarischen Kreise versäumt , durch aufrichtiges und loyales Vorgehen die deutschen Mitbürger zu gewinnen . Im Gegenteil : Man stellte unmittelbar vor der Abstimmung eine private Kommission zusammen , die die Stimmberechtigten unter Ehrenwort zu der schriftlichen Erklärung aufforderte , dass sie für Ungarn stimmen werden . Die Veranstalter dieser Idee wurden dann
nach der Wahl als jene Helden gefeiert , denen das Verbleiben Ödenburgs und der acht Gemeinden bei Ungarn zu verdanken sei . Im Interesse der Wahrheit sei hiemit festgestellt , dass das illoyale und von weiten Kreisen als Erpressung empfundene Vorgehen dieser Herren der ungarischen Sache nicht nur nicht nützte , sondern direkt schadete , weil es hunderte von Stimmberechtigten , die sonst für Ungarn gestimmt hätten , zur Enthaltung von der Wahl oder auch zum Justamentstandpunkt bestimmte . Druck erzeugt eben Gegendruck .
Trotz alledem sahen jene , die obgleich deutscher Abstammung , unter allen Umständen dem Vaterlande Ungarn die Treue zu halten entschlossen waren , der Abstimmung mit Beruhigung entgegen , denn fürwahr , die Zeitumstände waren für Ungarn die denkbar günstigsten . Die Beschränkung der Wahl auf Ödenburg und einige Gemeinden ( darunter das ganz madjarische Zinkendorf ), der Umstand , dass die Wahl vor Inbesitznahme seitens Österreichs vorgenommen wurde , die trostlose Lage Deutschlands und die verzweifelte Österreichs , endlich die imponierende Ruhe und Objektivität , mit der die Generalskommission der Entente die Wahl vorbereitete und durchführte - alle diese Umstände sprachen dafür , dass die Abstimmung ein glänzender Sieg Ungarns werden müsse .
Nun , es wurde ein knapper zahlenmäßiger Sieg und eine große moralische Niederlage . Denn daran , dass die madjarischen Wähler für Ungarn stimmen werden , konnte doch kein vernünftiger Mensch zweifeln . Die Frage war die : Wie wird die deutsche Bevölkerung stimmen ? Und die deutsche Bevölkerung hat Ungarn im Stiche gelassen ,