Sonntagsblatt 3/2020 | Page 15

Wild zu dieser Zeit bereits ein guter Parteisoldat war und so auch auf maßgebende Persönlichkeiten Einfluss ausüben konnte . So kam es dann am 5 . Oktober 1955 auf Geheiß des ZK der Ungarischen Arbeiterpartei ( Magyar Dolgozók Pártja ) im Redaktionszimmer der Zeitung ( bei Lapkiadó Vállalat ) zur Gründung einer Interessenvertretung für die Ungarndeutschen , es entstand der KULTURVERBAND DER DEUTSCHEN WERKTÄTIGEN IN UNGARN .
Aufgabe dieses sog . Verbandes sollte sein : Hilfeleistung bei der Gründung von Kulturgruppen und Büchereien , Vorträge veranstalten und „ die Ansprüche der deutschen Werktätigen ” z . B . nach Schulen mit Mutterspracheunterricht nach oben vermitteln . U . a . Erster Generalsekretär wurde Dr . Friedrich Wild , nachdem er ja bereits schon 1950 von der Partei den „ Auftrag ” erhalten hatte sich um die Belange des Ungarndeutschtums zu kümmern , was er ja ohnedies gerne tat .
Dr . Wild als Mensch
Mit Wild war ein für die damalige Politik geeigneter Mann gefunden . Er war intelligent , verstand es , sich entsprechend anzupassen und wusste immer , wo und was gesagt werden darf und soll . Er war voller Humor und rezitierte gerne deutsche Schriftsteller und Gelehrte . Politik mied er in privatem Umgang nach Möglichkeit . Die von der Partei gewünschte Propagierung der Kollektivierung der Landwirtschaft flocht er pflichtgemäß in seine Reden auf der Bühne ein oder brachte eben in der Presse Lobhymnen über bestehende „ Schwaben-LPGs ”. Er war ja ein guter Redner und gleichzeitig hervorragender Diplomat , der in die zu jener Zeit übliche sozialistische Lobhudelei stets auch seine eigene Meinung , Wünsche und Erwartungen einflocht .
Von Natur aus war er sehr menschenfreundlich und fand somit leicht gute Kontakte zu „ seinen ” Ungarndeutschen , für die er sehr schnell zu „ unserem Fritzi-Batschi ” wurde .
Wild ergriff jede Gelegenheit , sich „ auf Fahrt ” zu begeben , er kam jeder Einladung gerne nach . So verbrachte er beinahe jedes Wochenende in der Provinz bei den Schwaben . Bald hatte er überall persönliche Freunde in Pernau / Pornóapáti , Baaja / Baja , Nimmesch / Himesháza , Elek , Balatoncsicsó und-und …, mit denen er laufend in Kontakt blieb und sie zum Mitmachen anregte . Er baute sehr auf die Zusammenarbeit mit der Patriotischen Volksfront ( Hazafias Népfront ), die wohl als Ableger der Partei galt , doch immerhin mehr volkstümlich war und in deren Oberschicht auch manch „ neutrale ” Personen und immerhin auch vielerorts Deutsche als Aktivisten zu finden waren .
Der Generalsekretär
Wild hatte kein auf Papier festgelegtes Programm . Doch er hatte Pläne und stellte sich Aufgaben . Diese äußerte er in seinen Ansprachen sowie in Zeitungs- und Kalenderbeiträgen und versäumte es nicht , solche auch mit den Zuständigen im Ministerium für Bildungswesen ( in der Nationalitätenabteilung , wo die damaligen vier Minderheiten je einen „ Sachbearbeiter “ hatten ) und in der Volksfront zu „ bemurmeln “. Seine Vorschläge / Wünsche konnte er sorgsam verpackt vorbringen und sobald er auf spürbaren Widerstand stieß , hielt er sich an seine Losung „ Was nicht geht , soll man lassen ”. Trotz vieler Schwierigkeiten ist im Laufe seiner 18-jährigen „ Regentschaft ” auf dem ungarndeutschen Minderheitsgebiet allerhand Nennenswertes geschehen : Verbandsgründung und Neue Zeitung , laut einer Statistik von 1971 gab es 34 Kindergärten mit 1200-1300 Kindern , 142 sprachunterrichtende Grundschulen mit 10664 Schülern , 2 bilinguale Grundschulen mit 105 Kindern und 3 Gymnasien mit 182 Schülern , es gab eine Oberstufen – Lehrerbildung in Frankenstadt / Baja , Lehrerbildung für Mittelschulen in Fünfkirchen / Pécs und Kindergärtnerinnenbildung in Ödenburg / Sopron ; „ Reicht
SoNNTAGSBLATT brüderlich die Hand “, „ Greift zur Feder “, u . a . Deutsche Gesangchöre und Tanzgruppen wurden von Jahr zu Jahr mehr .
Als Generalsekretär war er ständig auch Mitglied des Ungarischen Parlaments , zuletzt – ab 1971 – war er Abgeordneter für den Wahlbezirk Bogdan / Dunabogdány .
Kurz nach Geburt des Verbandes munkelte man auch über die Rehabilitierung der Ungarndeutschen mit Entschädigung des verlorenen Eigentums , was von Wild wirklich gewollt war , doch das Thema konnte damals nicht wirklich aufgegriffen werden .
Ja , Fritzi-Batschi war eins mit dem Deutschen Verband . Er war immer bestrebt auch gute Mitarbeiter in sein Büro aufzunehmen , was zu jener Zeit nicht leicht zu bewerkstelligen war . Die frühere ungarndeutsche Intelligenz war größtenteils nach dem Krieg geflohen oder vertrieben , eventuell noch verbliebene Reste galten als „ unzuverlässig ”. Die vom Ministerium ihm zugeteilten Mitarbeiter waren dann wieder für ihn unzuverlässig . Das ergab eine doppelte Sorge : die ihm Aufgebürdeten loszuwerden bzw . ihm gefällige und dem Ungarndeutschtum zugetane Leute als Mitarbeiter zu finden . Über dieses Thema möchte ich einen separaten Beitrag erbringen , da sich dies auch auf meine Person bezieht .
Dr . Friedrich Wild stand bis 1973 an der Spitze des Verbandes , blieb dann weiterhin dabei als Ehrenvorsitzender und starb 1990 im Alter von 80 Jahren .
Wenn auch die Ära Wild keine Neugeburt des Ungarndeutschtums erreichen konnte ( was zu jener Zeit auch unvorstellbar war ), so kann man immerhin doch von einem Erwachen der Volksgruppe sprechen . Ein weiteres Aufblühen und Sich-Wiederfinden blieb der zukünftigen politischen Entwicklung vorbehalten .
Mikrokosmos Ost- und Mitteleuropa Deutsche Volksgruppen
Reisenotizen ( 10 )
Niederlausitz / Dolna Łužyca
Juni 2020 Kaum die Autobahn verlassen begegnet einem eine Landschaft , die an die Große Ungarische Tiefebene erinnert : Wiesen und Felder , abwechselnd mit Waldstücken , flaches Land , soweit das Auge reicht und zweisprachige Schilder , oben auf Deutsch , darunter in kleinerer Schriftgröße in einer Sprache , die an Polnisch erinnert . Wir befinden uns in der Niederlausitz und die Sprache ist ( Nieder- ) Sorbisch .
„ Nein , die Menschen , die hier wohnen , heißen Wenden , Sorben findet man weiter südlich - in Sachsen , in der Oberlausitz ”, korrigiert mich meine Gastgeberin in einem kleinen Ort im Spreewald-Neisse-Kreis . Sie selbst ist Zugewanderte aus Cottbus , ihre Mutter stammt aus dem Erzgebirge , was sich im Gespräch mit Mutter und Tochter im Nachhinein herausstellt . Die Tochter berichtet , dass die Kinder Sorbisch heute in der Schule lernen würden , aber dass die Sprache heute nur noch von wenigen gesprochen würde . Sie selbst stamme väterlicherseits aus diesem Dorf und erinnere sich an Verwandte , die die Sprache noch zu Hause gesprochen hätten . Auch eine andere junge Dame , die ich auf der Straße mit ihrem Sohn im Kindergartenalter treffe , bestätigt diese Informationen : Sie ist nach eigenen Angaben auch

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( Fortsetzung auf Seite 16 )
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