Sonntagsblatt 3/2019 | Page 9

wir feststellen: Wir sind Donauschwaben, Menschen mit der glei- chen Herkunft wie unsere Landsleute im und aus dem Banat oder eben die wenigen in den Staaten des ehemaligen Jugo- slawiens oder auf dem ganzen Globus. Trianon und seine grau- samen Folgen haben uns zwar geteilt, aber heute in einem Euro- pa, wo wir uns freier bewegen können, wo wir Temeswar von Budapest aus in 4 Stunden erreichen können, ist es keine nicht überbrückbare Herausforderung, die Kontakte aufzuwärmen und zu pflegen. Wie das donauschwäbische Motto sagt: Sem- per atque semper liberi ac indivisi (Für immer frei und ungeteilt)! Die neue ungarndeutsche Diskussionskultur Von Richard Guth Endlich!, dachte ich mir, als auf Facebook – wie aus dem Nichts – ein geteilter Inhalt auftauchte. Es ging um das Fest der Ungarn- deutschen Kirchenmusik, das Mitte Juli in Sirtz/Zirc stattfand. Endlich!, denn der geteilte Beitrag bot Gelegenheit um persön- liche Eindrücke miteinander zu teilen und zu diskutieren. Beim Beitrag ging es um ein Bild, auf dem ein Chorleiter in der Mitte von – wie der Begleittext verriet – 500 Sängerinnen und Sängern abgebildet ist. Gleich der erste Kommentator lobte die festliche und erhabene Stimmung in der Zisterzienserstadt un- weit von Wesprim, monierte aber, dass trotz österreichischer Beteiligung bis auf einen Sektionsleiter alle „strikt ungarisch” gesprochen hätten. Was für ein Beispiel sei dieses Benehmen für die Pflege der Erhaltung der deutschen Muttersprache, fragt sich unser Landsmann aus Westungarn wohl zu Recht und fährt fort: „Wäre es ihnen doch schon ihres Amtes wegen obligato- risch, den unsicheren Mitgliedern des Deutschtums Mut zu zei- gen, keine Angst zu haben, deutsch zu reden?” Harter Tobak! Worte, die man auch aus unserem Munde hören könnte! Auf den Kommentar reagierte ein Vertreter der Organisation, die für das Fest verantwortlich zeichnete, mit dem Hinweis, dass man doch ganz ohne Deutschkenntnisse nicht mit den Österreichern hätte zusammenarbeitet können - bezogen auf die Proben. Nun war die Lawine losgetreten. – Endlich!, dachte ich mir. Ein heimatvertriebener Landsmann, der als Rentner wohl wieder viel Zeit in der alten Heimat verbringt, meinte, dass die ausschließ- liche Benutzung der ungarischen Sprache auf deutschen Ver- anstaltungen normal sei, womit er auch vollkommen Recht hat. „Soweit ist die Magyarisierung fortgeschritten”, ergänzt er. Als Antwort wies der bereits genannte Vertreter der Organisation da- rauf hin, dass es sich bei den Mitgliedern der Kulturgruppen auch um Madjaren handele, die sich von der donauschwäbischen Kultur angesprochen fühlten und nun mit den ungarndeutschen Landsleuten „unsere Kultur” pflegten, was anerkennenswert sei, denn wo wäre unsere Kultur ohne diese Leute – womit er nicht ganz Unrecht hat. Der heimatvertriebene Herr spricht in seiner Antwort – die Worte des Vertreters interpretierend - von der do- nauschwäbischen Kultur als ein Mäntelchen, das alles zudecke, und sagt, dass es nicht angehe, dass von 20 Solisten in einem, wohl (ungarn)deutschen, Chor nur zwei deutsch sprechen. Eine noch deutlichere Kritik daran folgte aber erst jetzt, gezeichnet von einem Herrn, der sich seit Jahrzehnten für die Belange der Ungarndeutschen einsetzt und der auch durchs Teilen des Bei- trags die Diskussion erst in Gang brachte: „Fremde sollen unsere deutsche/ungarndeutsche Kultur retten? Dann sollten sie doch auch unsere Sprache sprechen können! Wenigstens verste- hen!”. Er brachte dann das Beispiel eines deutschen Chores in Anführungsstrichen aus dem siebenbürgischen Schässburg, 35 Mitglieder stark, unter ihnen nur zehn Deutsche. Trotzdem hätten alle gut Deutsch gesprochen und so die deutsche Kultur glaub- haft dargeboten. Im Gegensatz dazu könnten die Mitglieder in den ungarndeutschen Chören die Texte bestenfalls lesen, aber kaum verstehen, obwohl man täglich von der Bedeutung der SoNNTAGSBLATT Zweisprachigkeit höre. Deutsche Kultur würde man bestenfalls in Heimatmuseen erfahren, aber da auch mit ungarischen Erklä- rungen. Der bereits genannte Vertreter meinte in seiner Antwort, dass man früher eine Umfrage gemacht habe - im Kreise der Nationalitätenselbstverwaltung - welche Sprache man sprechen und in den Sitzungen benutzen solle; „Ungarisch“ lautete die Ant- wort, da es leichter sei. „Wenn wir es selbst nicht tun, wer soll es dann? Früher wollte man – durfte nicht – heute darf man, aber will nicht”, so das kritische Fazit des aktiven Volkstumsarbeiters, der ursprünglich aus Österreich stammt. Oder scheinbar Fazit, denn die Diskussion wurde weitergeführt. Auf die erneute Kritik des bereits genannten westungarndeut- schen Landsmannes hin erzählte der genannte Volkstumsarbei- ter von seinen ersten Gehversuchen im ungarndeutschen Milieu – es ging dabei um einen „deutschen” Chor mit ungarndeutscher Leitung, wo aber alles auf Ungarisch abgelaufen sei. Anstatt „Brücken zu bauen”, habe man ausschließlich ungarisch gespro- chen, obwohl zu damaliger Zeit er dieser Sprache nicht mächtig gewesen sei. Das veranlasste ihn nach eigenen Angaben den Chor zu verlassen. Darüber hinaus seien viele Kulturgruppen und Chöre wegen des Mangels an Nachwuchs gezwungen Kon- zessionen zu machen, wenn sie überleben wollen – so auch die Öffnung in Richtung Madjaren - etwas, womit sich die Organisa- tion seit Jahren herumschlagen müsse. Ein Umstand, der beim Initiator der Diskussion erneut harsche Kritik hervorrief – diese galt sowohl der nach seiner Ansicht zu selbstzufriedenen LdU als auch den madjarischen Mitgliedern der Kulturgruppen, die diese Passion des Singens und Tanzens „meistens nur zum eigenen Nutzen ausüben” wollten. Dem stimmte in der Diskussion auch der heimatvertriebene Landsmann zu, mit dem Hinweis, dass ungarndeutsche Dörfer wie madjarische Dörfer erscheinen, gäbe es da nicht – als einzigen Hinweis – das zweisprachige Orts- schild. An dieser Stelle der Diskussion meldete sich ein neuer Mitkommentator, ein prominenter und aktiver Ungarndeutscher von der Tschepele-Insel: Er verweist auf die Probleme der Nach- wuchsförderung und der Jugendarbeit, versucht aber positive Beispiele zu nennen. Auf Einwände der Mitkommentatoren hin gab er aber zu, dass die Kultur- und Jugendpolitik wohl sehr mangelhaft sei, was er auf fehlende Kontakte und Sachverständ- nis in den Nationalitätenselbstverwaltungen zurückführt. Der Ini- tiator der Diskussion setzte noch einen drauf und sagte, dass es ja auch keine deutschen Schulen gebe. Bei allen Diskussionsteilnehmern ist die Sorge um den Fortbe- stand der ungarndeutschen Kultur und deren Qualität zu spüren. Die Frage steht, die Antworten darauf und die Strategien rund um das Wie-damit-umgehen? sind verschieden. Für mich ist das Entscheidende, dass man das, was man macht, authentisch ver- tritt. Und da hat der Herr mit dem Schässburger Beispiel Recht: Ohne Sprache wird es kaum gehen. Das bedeutet dann auch: Komfortzone verlassen. Zeitgeschehen-Geschichte s Die Wurzeln der Ungarndeutschen in Wudigess/Budakeszi Von Dr. Edina Susanne Mayer Als Kind (5 Jahre) war es für mich immer sehr natürlich, dass meine Omas und Opas schwäbisch gesprochen haben. Eine richtige Oma muss doch schwäbisch sprechen. Einmal habe ich meiner Freundin gesagt, sie soll jetzt die Oma spielen und muss schwäbisch sprechen. Sie hat dann gesagt, dass sie nicht wisse, wie es geht, da ihre Oma nicht so sprechen könne. Ich war ge- schockt… Eine Oma, die nicht schwäbisch sprechen kann… Ich habe meinen Vater gefragt, wie das nun möglich ist. Dann hat er (Fortsetzung auf Seite 10) 9