Sonntagsblatt 3/2019 | Page 10

mich aufgeklärt, dass es Menschen gibt die Schwaben, sind und auch andere, die halt Ungarn sind. Doch woher sind wir dann gekommen? Wer sind wir, die Schwaben? Und warum sprechen wir anders als die Deutschlehrerin in der Schule? Seit wann sind wir überhaupt da? Um diese Fragen zu beantworten müssen wir uns in der Ge- schichte vertiefen. Deutsche waren schon von Anfang an im Karpatenbecken anwesend. Es müssen zwei größere Epochen der Ansiedlungen unterschieden werden: die Ansiedlungen des Mittelalters und die der Neuzeit. Die Anwesenheit der Ungarndeutschen ist in Ungarn nicht kon- tinuierlich. Die ersten germanischen Stämme sind im 9. Jh. in unserer Heimat erschienen. In der Umgebung vom Plattensee und Fünfkirchen wurden altfränkische Stämme als Osterweite- rung des Fränkischen Reiches angesiedelt. Diese Siedlungen wurden aber durch ungarische und mährische Heere vernichtet (SZABÓ 2006: 2). Die mittelalterlichen Ansiedlungen können zeitlich auf die Zeit der Herrschaft von König Stefan I. gelegt werden, als der König in der Hoffnung auf Erfolg eines Staates mit mehreren Nationali- täten „Hospes” in das Land eingeladen hat. Diese Hospes waren hauptsächlich Ritter, Mönche und Landwirte. Diese gesellschaft- lichen Gruppen spielten bei der Verbreitung des Christentums und in Hinsicht der politischen und militärischen Veränderungen eine große Rolle (SZABÓ 2006: 3). Im Mittelalter können zwei größere geschlossene Gesellschaf- ten unterschieden werden: die der Siebenbürger Sachsen (in der Wirklichkeit sind sie Moselfranken, Sachsen werden sie genannt, da sie das Magdeburger Stadtrecht übernommen hatten, das sächsisch verfasst war) und die der Zipser im Oberland. Darü- ber hinaus gibt es noch einige kleinere Gesellschaften wie z.B. die der 1100 angesiedelten burgenländischen Landwirte, die ver- hindert haben, dass die bayerischen Stämme weiter nach Osten vorrücken können, und eine andere im Burzenland (Barcaság), nämlich die des 1211 vom Heiligen Land zurückkehrenden und angesiedelten deutschen Ritterordens. Eine weitere kleine, aber umso bedeutendere Gesellschaft entstand in Deutschpilsen (Nagybörzsöny) im Pilsner Gebirge, in Lorenzen (Vámosmikola) und in Szokolya. Diese Gemeinden haben sich in den Jahrhun- derten vor der Türkenzeit stark assimiliert, doch haben sie diese schweren Zeiten überlebt (SZABÓ 2006: 4). Wichtiger sind aber die Ansiedlungen der Neuzeit. Bevor wir aber diese Ansiedlungen unter die Lupe nehmen, sollten wir die Um- stände des 16.-18. Jahrhunderts in Deutschland untersuchen. Unter den Ereignissen des 16. Jahrhunderts war die Reformation von sehr großer Bedeutung. Sie hat im 17. Jahrhundert das gan- ze Europa völlig verändert. Ab den 30er Jahren des 17. Jahrhun- derts ist die Bevölkerungszahl sprunghaft gewachsen. Früher war man der Ansicht, dass die strengere Anwendung der kirch- lichen Regeln der Geburtenregelung dafür verantwortlich wäre. Heute denkt man eher, dass dabei die neuen technischen Geräte und dadurch die Entwicklung der Landwirtschaft eine entschei- dende Rolle gespielt hat. Das führte dann für Jahrhunderte zur Überbevölkerung von Westeuropa. Im 17. Jahrhundert wurden ca. 22 Kriege geführt. Diese waren hauptsächlich Erbfolgekriege und Religionskriege. Der berüch- tigtste unter allen war der Dreißigjährige Krieg (1618-48). Da sich sämtliche Länder des Kontinents daran beteiligt hatten, wurde er auch „der Weltkrieg des 17. Jahrhunderts“ genannt. Der Dreißigjährige Krieg wurde durch den Westfälischen Frie- den beendet. Nach dem Dreißigjährigen Krieg schwächte sich die Wirtschaft von Europa deutlich ab. Am Ende des 17. und im darauffolgenden Jahrhundert wurden weitere Kriege geführt, die sich aber nicht über das ganze Reich erstreckten, sondern nur einige Mitgliedstaaten betrafen. Solche waren z.B. der franzö- sisch-niederländische Krieg oder der spanische Erbfolgekrieg 1701. 10 Über zwei Jahrhunderte zwischen 1550 und 1740 wandelten sich die klimatischen Verhältnisse, es wurde besonders kalt. In der zweiten Hälfte des 16. Jh. dauerte der Winter von November bis März, es gab viel Schnee und Eis. Die Sommer waren kalt und im Herbst gab es oft zerstörerische Gewitter und Fluten in den Niederlanden. Der erste Tiefpunkt der Kleinen Eiszeit dau- erte von Dezember 1586 bis September 1587. Auch das erste Quartal des 17. Jh. war kalt. Ab dem zweiten Quartal wurde dann das Klima etwas wärmer. Etwa drei Viertel der Bevölkerung arbeitete in der Landwirt- schaft und so war ihr Lebensunterhalt vom Wetter abhängig. Die schlechten Wetterverhältnisse und die Kriege erschwerten das Leben der Bevölkerung sehr oder machten es sogar unmöglich. Gerade zu dieser Zeit erschienen Agenten in der Region, die den Bewohnern, ihren Verwandten und Freunden Grundstücke und ein Leben ohne Kriege versprachen. All diese Faktoren führten dazu, dass viele Menschen die güns- tige Gelegenheit wahrnahmen, im Osten ihren Lebensunterhalt zu finden. Doch woher kamen die Agenten? Und warum lohnte es sich in einem östlichen Land so viele Menschen aufzunehmen? Das Karpatenbecken stand von 1541, von der türkischen Beset- zung von Ofen/Buda an, 150 Jahre bis zum Jahre 1689 unter türkischer Herrschaft. Das Programm zur Eroberung des christ- lichen Europas wurde bereits von Mehmed II. angekündigt, je- doch erst von Sulejman begonnen. Als Primärziel wurde die Er- oberung Ungarns gesetzt, von da aus sollte die Eroberung des Heiligen Römischen Reiches folgen. Die 150-jährige türkische Herrschaft warf die Wirtschaft des Landes um Jahrhunderte zurück. Während dieser Zeit erlitten die Landwirtschaft und die Industrie einen rapiden Rückschlag. Dazu trug auch die Verschleppung oder Migration der ungari- schen Bevölkerung und dadurch der deutliche Rückgang der zur Verfügung stehenden Arbeitskräfte deutlich bei. All das führte zu einem völligen kulturellen und wirtschaftlichen Rückgang des Landes. Durch die Plünderungen und Brandstiftungen während der Kriege - nicht nur seitens der türkischen, sondern auch der österreichischen Armee - wurden die Probleme noch weiter ver- tieft (SZABÓ 2006: 10). Besonders die südlichen Gebiete waren von der Vernichtung und Entvölkerung betroffen. Im 17. Jh. wurden die Gebiete von spon- tanen Einwanderern wie z.B. Serben, Wallachen, Schokatzen und zuletzt von Kroaten besiedelt, die aber schon geplant ange- siedelt wurden. Allmählich kehrten auch die emigrierten Ungarn zurück und gleichzeitig erschienen auch andere Völker wie Ru- mänen, Ruthenen und Israeliten. Im Jahre 1686, nach der Vertreibung der Türken, konnten die ungarischen Großfürsten, die sich den Habsburgern gegen- über loyal zeigten, ihr Land zurückbekommen. Auch die Kirche und alle, die mit Urkunden beweisen konnten, dass ein Landgut wahrhaft ihnen gehört, waren darunter. Sie mussten dafür 10% des Landgutes als jus armorum (fegyverváltság/Waffenablöse) an das Neuerwerbskomitee (Újszerzeményi Bizottság) bezahlen. (Dieses Komitee wurde aufgestellt, um die Kosten der Rücker- oberung zu decken und verlangte absolute Loyalität den Habs- burgern gegenüber. Seine Aufgabe bestand darin, zu erreichen, dass möglichst wenig Land in den Besitz der Gemeinadeligen kommt. Dabei wurden fremden Generälen, Kriegslieferanten oder Beamten ganze Komitate geschenkt.) Der Kaiser belohnte so diejenigen Personen, die sich an der Befreiung des Landes aktiv beteiligt hatten bzw. dabei einen besonderen Dienst geleis- tet hatten. So eine Person waren Graf Claudius Florimund Mercy (1666–1734) oder die italienischen und französischen Grund- herren wie Veterani, Caprara und Souches. Die Grundherren brauchten Arbeitskräfte (Wassertheurer Reg. Nr. 84128: 12). Die Bevölkerungsdichte des Landes war sehr gering, deshalb war eine planmäßige Ansiedlung notwendig, genauso, wie aus militä- SoNNTAGSBLATT