Sonntagsblatt 3/2019 | Page 24

Beitrag zu ZWEI SEELEN Unlängst kam ich im Bekanntenkreis mit einer älteren Faru ins Gespräch, wobei auch die Volkszählung in Erwähnung kam. Na- türlich Muttersprache und Volkszugehörigkeit wurden zum um- strittenen Thema. Die Frau ist voll deutscher Abstammung, somit ist auch anzunehmen, dass sie damals vor 80 Jahren von ihrer Mutter deutsch reden lernte. Aber heute spricht sie allgemein ungarisch, doch – wie sie bemerkte – wenn sie bei Familienan- gehörigen in Berlin ist, dann spricht sie auch deutsch. So wurde ich neugierig und stellte die freche Frage: „Und wofür fühlst Du dich heute?” Die Frau kam nicht in Verlegenheit und gab die aufrichtige Ant- wort: „Weißt du, da oben (und zeigte auf ihren Kopf) bin ich Deut- sche, aber hier (und zeigte jetzt aufs Herz) bin ich Magyar (also „Madjare”, was man fälschlicherweise auch als Ungar verstehen könnte). Sie ist also eine „Ungarndeutsche” – was immer man darunter auch verstehen will. Wie aus Ohfalla Ófalu wird Von Dr. Jenő Kaltenbach Das kleine Dorf, eingebettet in einer wunderschönen Natur, um- geben von sanften Hügeln und grünen Wäldern ist mein Ge- burtsort. Als ich nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurde, war es ein rein ungarndeutsches Dorf. Die Leute haben scherzhaft gesagt, es liegt so versteckt im Wald, dass es weder vom unga- rischen Staat noch von der Roten Armee entdeckt, also niemals „befreit“ wurde. So war es lange Zeit kein Problem die deutsche Identität zu be- wahren, zumindest was man darunter verstand. Die ältere Ge- neration sprach eigentlich nur die örtliche Mundart und ziemlich gebrochen Ungarisch, obwohl die Unterrichtssprache schon damals das Ungarische war. Das hatte in anderen Orten des Landes die Folge, dass diejenigen, die nach der Vertreibung in Deutschland angekommen sind, weder richtig Deutsch noch Un- garisch konnten. Im Falle von Ohfalla galt es nur für Ungarisch, weil dank seiner versteckten Lage (?) die Ohfallaer von der Ver- treibung verschont geblieben sind. ressenvertretung, wenn auch mit einem stark hinkenden Auto- nomiegebilde. Man dachte einerseits, dass die alte Angst des ungarischen Staates vor Entfremdung, anhand der politischen Realitäten, überwunden ist, andererseits die deutsche Minderheit endlich eine Organisation bekommt, die sich nicht für sich selbst, son- dern für die Leute einsetzt. Mittlerweile wurden die demokratischen Träume sowohl der Un- garn als auch der Ungarndeutschen zu Grabe getragen. Sowohl örtlich als auch landesweit hat sich eine autokratische Mentalität und dementsprechende Struktur herausgebildet, mit immer glei- chen Personen, unabwählbar. Berufsungarndeutsche, die davon gut leben können, also pas- sen sie sich an die Anforderungen des ungarischen Staates an, der weiterhin wenig Interesse an einer multikulturellen Gesell- schaft zeigt. Dabei wird in Ohfalla immer weniger deutsch gesprochen. Die örtliche Mundart verschwindet langsam, aber sicher, und wird nicht von Hochdeutsch, sondern eher von Ungarisch ersetzt. Dreihundert Jahre deutsches Leben geht langsam zu Ende, was selbst dann traurig ist, wenn man weiß, dass in der heutigen Zeit kaum etwas stabil, dauerhaft ist. Alles befindet sich im Umbruch, nur der nationalistisch-autokrati- sche Charakter des Landes scheint sich trotz EU, offenen, über- wundenen Grenzen, Freizügigkeit, usw. nie zu ändern. Reisenotizen (9) Bawa(r)z Von Richard Guth Die moderne Zeit brachte aber viele Veränderungen. Die Bevöl- kerung des Dorfes hat sich halbiert. Vor allem die jüngere Gene- ration zog weg, und auch derjenige, der geblieben ist, pendelte aus dem Dorf zur Arbeit in die umliegenden Städte. Auf diese Weise wurde die örtliche deutsche Identität bis zur politischen Wende schrittweise zurückgedrängt. Das einzige Organ, das es damals hätte aufhalten sollen, war der Verband der Ungarndeutschen (VdU), aber er war weder finanziell noch organisatorisch in der Lage dies zu tun. Man kann sogar Zweifel daran haben, ob der Verband dies überhaupt beabsichtigt hat, da er eigentlich eine Schaufensterorganisation des Staates ge- wesen war. Es hat sich eine ungarndeutsche „Elite“, eher eine Kaderbürokratie gebildet, die vielmehr den eigenen Interessen als den des Fußvolkes diente. Die demokratische Wende in den Neunzigern nährte die Hoff- nung, dass die Bewahrung der deutschen Identität wieder eine Chance bekommt. Das Minderheitengesetz schuf den juris- tischen Rahmen für eine legitime, von unten aufgebaute Inte- 24 Die katholische Kirche von Bawarz Juni 2019 „Sind Sie ein Forscher?” fragt mich eine Frau Mitte Siebzig, die mit ihrem Enkelkind an der Bushaltestelle auf den Bus nach Mohatsch wartet. Ihre Frage ist berechtigt, denn ich will ziemlich alles wissen über die Branauer Gemeinde unweit der Grenze zu Kroatien. Und dann beginnt sie doch zu erzäh- len, über ein einst rein deutsches Dorf mit gut 1000 Einwohnern, das nun etwa 700 Einwohner habe, immer noch mehrheitlich Ungarndeutsche, wenngleich überaltert, so ihr Eindruck. Sie nimmt die Anwesenheit auch der Roma-Bevölkerung wahr und scheint deren Anteil - wie die Gespräche mit anderen Bawazern zeigen, die von 15-20% sprechen (neben 15-20 % aus dem ehe- maligen Oberungarn) - zu überschätzen. Sie spricht von vielen Auswanderern, die das Dorf verlassen hätten und von noch mehr SoNNTAGSBLATT