Die Problematik der oben typisierten Situation ist, dass die ent-
scheidende Altersgruppe (8-18 Jahre) kein komplettes Bild über
das Leben als Nationalität vermittelt wird, das unvollständige je-
doch mit einer besonders negativen Botschaft über den Sprach-
gebrauch. Diese Situation führt dazu, dass das Erlernen und Be-
nutzten der deutschen Sprache im alltäglichen Gebrauch nicht
ausreichend stimuliert wird. Meines Erachtens nach wäre es
sinnvoll über die erwähnten Kommunikations-Kanäle das Image
unserer Nationalität zu verbessern und die nächste Generation
für uns zu gewinnen und damit die Zukunft unserer Minderheit
zu sichern. Das Ziel ist es eine ungarndeutsche Identität und ein
Weltbild zu vermitteln, auf welches man zurückgreifen kann, egal
ob in London oder Wudersch, als Gymnasiast oder Angestellter.
ZWEI SEELEN
(mit anderen Worten: Doppelidentität)
Von Georg Krix
Auszüge aus UNGARNDEUTSCHES ARCHIV – 1959 – von
Harold Steinacker (Sohn von Edmund Steinacker)
Steinacker und Bleyer
Wenn (nach Trianon) trotzdem auch in Rumpfungarn der Zusam-
menhang mit der früheren Volkstumsarbeit abriss und die deut-
sche Bewegung neue Formen annahm und in eine neue Phase
eintrat, so hängt das damit zusammen, dass das Schwergewicht
der alten Ungarländischen Deutschen Volkspartei in Gebieten
gelegen hatte, die nun zu Jugoslawien und Rumänien gehörten,
namentlich aber damit, dass die Volksgruppe Rumpfungarns
einen neuen Führer gefunden hatte in der Person Jakob Bley-
ers, des Germanisten der Universität Budapest, einer wahrhaft
führenden Persönlichkeit, die nun den Versuch unternahm, die
deutsche Frage in Ungarn auf einer neuen Linie zu lösen.
Das Neue an der Richtung Bleyers war nicht etwa seine Ver-
bindung einer unbedingten Loyalität zum Staate Ungarn mit dem
Willen, die große bäuerliche Masse des Deutschungarntums vor
der Entvolkung, der Madjarisierung zu retten. Zu dieser Loyalität
hatte sich auch die ältere deutsche Bewegung, die Ungarländi-
sche Deutsche Volkspartei, bekannt. Neu war vielmehr das Zu-
geständnis, die aufsteigenden Intelligenzen des Ungarndeutsch-
tums dem Madjarentum politisch und kulturell zu überlassen und
die Volkstumsarbeit auf das kulturelle Gebiet und auf die dörf-
liche Welt zu beschränken, vor allem aber der Verzicht auf die
Bildung einer politischen Partei, die den Männern um Edmund
Steinacker das Hauptanliegen gewesen war. An die Stelle der
Ungarländischen Deutschen Volkspartei trat nun ein „Ungar-
ländischer Deutscher Volksbildungsverein”. Bleyer rechnete in
seinem Idealismus damit, dass diese ehrlich gemeinten Zuge-
ständnisse beim Madjarentum eine bessere Einsicht und einen
ebenso ehrlichen Willen wecken würden, auf die Entvolkung der
ländlichen Bevölkerung zu verzichten und sich mit der freiwilligen
Gleichschaltung der deutschen Intelligenz zu begnügen. Aber
am Ende seines Lebens musste er erkennen und hat es offen
ausgesprochen, dass dies ein optimistischer Irrtum war und dass
die Frage der deutschen Minderheit nicht durch und mit dem
Madjarentum zu lösen sei.
SCHWEBENDES VOLKSTUM = DOPPELIDENTITÄT
Um Bleyer zu verstehen und ihm gerecht zu werden, muss man
mit der Erscheinung des „Schwebenden Volkstums” vertraut
sein, das uns Auslandsdeutschen geläufig ist, aber in Binnen-
deutschland und in Westeuropa schwer verstanden wird. In ge-
mischtsprachigen Ländern gibt es Familien und Individuen, die
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zweisprachig und national zwieschlächtig sind. Sie sprechen ihre
Muttersprache und die Staatssprache bzw. die Sprache der sie
umgebenden fremdvölkischen Mehrheit nahezu gleich gut. Im
Hause wird überwiegend noch die eigene Sprache bzw. Mund-
art gesprochen; mit dem Gesinde, im Geschäftsleben, mit den
Behörden dagegen die Staatssprache oder andere Fremdspra-
chen. Solche Menschen haben aber nicht nur zwei Sprachen,
sondern auch zwei Selen, d.h. ihr Wesen wurzelt in zwei ver-
schiedenen Gefühls- und Vorstellungswelten, sie haben Anteil an
der seelischen Welt zweier Volkstümer. Und diese Anteile ver-
halten sich verschieden zueinander, je nach der sozialen Schicht
und Bildungswelt, der man angehört. In Ungarn etwa hatte das
ländliche, dörfliche, kleinstädtische Leben vielfach eine deutsche,
rumänische, slowakische, serbische Atmosphäre. Die Welt der
Schule, des Akademikertums, der gehobenen Gesellschaft, der
wenigen größeren Städte, namentlich aber der Hauptstadt war
dagegen überwiegend madjarisch. Der gebildete Deutschungar
bäuerlichen Ursprungs lebte in einem Schwebezustand, einem
höchst labilen Gleichgewicht zwischen den beiden Welten, an
denen er seelischen Anteil hatte. Er fühlte sich seinem Dorf wur-
zelverbunden, aber zuzüglich fühlte er sich darüber hinausge-
hoben in die Oberschicht, die Herrenschicht des Landes, die ihn
trotz seiner Herkunft vorurteilslos aufnahm unter der einzigen Vo-
raussetzung, dass er madjarisch sprach und die Ideologie des
Staatsvolkes von der einheitlichen „politischen” ungarischen Na-
tion annahm, der auch die Nichtmadjaren zugerechnet wurden in
der stillschweigenden oder ausdrücklichen Annahme, dass sie
allmählich im Madjarentum aufgehen würden. Besonders gerne
gesehen war der Deutsche, wenn er auch seinen Namen mad-
jarisierte oder wenigstens seine Söhne Géza oder Árpád taufte.
Schwebendes Volkstum (heute als Doppelidentität bekannt.-
Bem. GK) kann natürlich kein Dauerzustand sein. Die Familien
entscheiden sich meist in der zweiten Generation für das eine
oder das andere Volkstum. Oft fällt diese Entscheidung auch in-
nerhalb eines individuellen Lebens zwischen Kindheit und Alter.
Nehmen wir Jakob Bleyer und seinen Gegenspieler, den ehema-
ligen ungarischen Außenminister Gustav Gratz. Auch Gratz war
deutscher Abstammung. Diese legitimierte ihn ja angeblich zur
Führung im Deutschen Volksbildungsverein, die ihm die ungari-
sche Regierung bei der Vereinsgründung zuschob. Aber wenn er
auch bis zuletzt als „Kulturdeutscher” gelten wollte, bei den Volks-
zählungen gab er doch madjarisch als Muttersprache an. Damit
trat er aus dem labilen Zustand des Schwebenden Volkstums auf
den festen Boden der Assimilation an das Madjarentum. Bleyer
dagegen vollzog in seinen allerletzten Lebensjahren die radikale
Wandlung zum deutschen Volkstum, ohne freilich seine Gefühls-
bindung an das Staatvolk ganz aufzugeben und den Zwiespalt,
der im Schwebenden Volkstum liegt, innerlich vollkommen zu
überwinden.…In dem Kampfe, der nach Bleyers Tod um den
Deutschen Volksbildungsverein entbrannte, ist ein Teil seiner
Schüler, Mitarbeiter und Anhänger über ihn hinausgegangen und
hatte durch ein eindeutiges Bekenntnis zum deutschen Volkstum
den inneren Gefühlszwiespalt zwischen Deutschtum und Mad-
jarentum restlos überwunden. Ein anderer Teil ist in dem labilen
Zustand des Schwebenden Volkstums (Doppelidentität – Bem.
GK) verblieben.
Nachwort
-------------Soweit Steinacker-------------
Heute reden wir viel über Doppelidentität, und allenthalben
kommt man zum (Trug)Schluss, dass diese für die Ungarndeut-
schen realistisch und maßgebend sei. Wie es dann weitergeht,
darüber schweigt man. Eine wirkliche Debatte darüber wurde
und wird nicht geführt, denn – so meinen es die Klugen -, wo-
rüber man nicht redet, das gibt es nicht. Also Frieden, Freund-
schaft, Palatschinken – und Stolz mit Zufriedenheit! Eine wirk-
lich deutsche Identität ist nicht gefragt, somit gibt es sie (beinah)
nicht mehr. Ebenso, wie es ja keine deutsche Muttersprache
mehr gibt. Zweisprachig sei richtig! Doch gibt es die? Inwiefern?
Naja, wir sind ja doch Ungarndeutsche!
(Fortsetzung auf Seite 24)
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