Sonntagsblatt 3/2019 | Page 23

Die Problematik der oben typisierten Situation ist, dass die ent- scheidende Altersgruppe (8-18 Jahre) kein komplettes Bild über das Leben als Nationalität vermittelt wird, das unvollständige je- doch mit einer besonders negativen Botschaft über den Sprach- gebrauch. Diese Situation führt dazu, dass das Erlernen und Be- nutzten der deutschen Sprache im alltäglichen Gebrauch nicht ausreichend stimuliert wird. Meines Erachtens nach wäre es sinnvoll über die erwähnten Kommunikations-Kanäle das Image unserer Nationalität zu verbessern und die nächste Generation für uns zu gewinnen und damit die Zukunft unserer Minderheit zu sichern. Das Ziel ist es eine ungarndeutsche Identität und ein Weltbild zu vermitteln, auf welches man zurückgreifen kann, egal ob in London oder Wudersch, als Gymnasiast oder Angestellter. ZWEI SEELEN (mit anderen Worten: Doppelidentität) Von Georg Krix Auszüge aus UNGARNDEUTSCHES ARCHIV – 1959 – von Harold Steinacker (Sohn von Edmund Steinacker) Steinacker und Bleyer Wenn (nach Trianon) trotzdem auch in Rumpfungarn der Zusam- menhang mit der früheren Volkstumsarbeit abriss und die deut- sche Bewegung neue Formen annahm und in eine neue Phase eintrat, so hängt das damit zusammen, dass das Schwergewicht der alten Ungarländischen Deutschen Volkspartei in Gebieten gelegen hatte, die nun zu Jugoslawien und Rumänien gehörten, namentlich aber damit, dass die Volksgruppe Rumpfungarns einen neuen Führer gefunden hatte in der Person Jakob Bley- ers, des Germanisten der Universität Budapest, einer wahrhaft führenden Persönlichkeit, die nun den Versuch unternahm, die deutsche Frage in Ungarn auf einer neuen Linie zu lösen. Das Neue an der Richtung Bleyers war nicht etwa seine Ver- bindung einer unbedingten Loyalität zum Staate Ungarn mit dem Willen, die große bäuerliche Masse des Deutschungarntums vor der Entvolkung, der Madjarisierung zu retten. Zu dieser Loyalität hatte sich auch die ältere deutsche Bewegung, die Ungarländi- sche Deutsche Volkspartei, bekannt. Neu war vielmehr das Zu- geständnis, die aufsteigenden Intelligenzen des Ungarndeutsch- tums dem Madjarentum politisch und kulturell zu überlassen und die Volkstumsarbeit auf das kulturelle Gebiet und auf die dörf- liche Welt zu beschränken, vor allem aber der Verzicht auf die Bildung einer politischen Partei, die den Männern um Edmund Steinacker das Hauptanliegen gewesen war. An die Stelle der Ungarländischen Deutschen Volkspartei trat nun ein „Ungar- ländischer Deutscher Volksbildungsverein”. Bleyer rechnete in seinem Idealismus damit, dass diese ehrlich gemeinten Zuge- ständnisse beim Madjarentum eine bessere Einsicht und einen ebenso ehrlichen Willen wecken würden, auf die Entvolkung der ländlichen Bevölkerung zu verzichten und sich mit der freiwilligen Gleichschaltung der deutschen Intelligenz zu begnügen. Aber am Ende seines Lebens musste er erkennen und hat es offen ausgesprochen, dass dies ein optimistischer Irrtum war und dass die Frage der deutschen Minderheit nicht durch und mit dem Madjarentum zu lösen sei. SCHWEBENDES VOLKSTUM = DOPPELIDENTITÄT Um Bleyer zu verstehen und ihm gerecht zu werden, muss man mit der Erscheinung des „Schwebenden Volkstums” vertraut sein, das uns Auslandsdeutschen geläufig ist, aber in Binnen- deutschland und in Westeuropa schwer verstanden wird. In ge- mischtsprachigen Ländern gibt es Familien und Individuen, die SoNNTAGSBLATT zweisprachig und national zwieschlächtig sind. Sie sprechen ihre Muttersprache und die Staatssprache bzw. die Sprache der sie umgebenden fremdvölkischen Mehrheit nahezu gleich gut. Im Hause wird überwiegend noch die eigene Sprache bzw. Mund- art gesprochen; mit dem Gesinde, im Geschäftsleben, mit den Behörden dagegen die Staatssprache oder andere Fremdspra- chen. Solche Menschen haben aber nicht nur zwei Sprachen, sondern auch zwei Selen, d.h. ihr Wesen wurzelt in zwei ver- schiedenen Gefühls- und Vorstellungswelten, sie haben Anteil an der seelischen Welt zweier Volkstümer. Und diese Anteile ver- halten sich verschieden zueinander, je nach der sozialen Schicht und Bildungswelt, der man angehört. In Ungarn etwa hatte das ländliche, dörfliche, kleinstädtische Leben vielfach eine deutsche, rumänische, slowakische, serbische Atmosphäre. Die Welt der Schule, des Akademikertums, der gehobenen Gesellschaft, der wenigen größeren Städte, namentlich aber der Hauptstadt war dagegen überwiegend madjarisch. Der gebildete Deutschungar bäuerlichen Ursprungs lebte in einem Schwebezustand, einem höchst labilen Gleichgewicht zwischen den beiden Welten, an denen er seelischen Anteil hatte. Er fühlte sich seinem Dorf wur- zelverbunden, aber zuzüglich fühlte er sich darüber hinausge- hoben in die Oberschicht, die Herrenschicht des Landes, die ihn trotz seiner Herkunft vorurteilslos aufnahm unter der einzigen Vo- raussetzung, dass er madjarisch sprach und die Ideologie des Staatsvolkes von der einheitlichen „politischen” ungarischen Na- tion annahm, der auch die Nichtmadjaren zugerechnet wurden in der stillschweigenden oder ausdrücklichen Annahme, dass sie allmählich im Madjarentum aufgehen würden. Besonders gerne gesehen war der Deutsche, wenn er auch seinen Namen mad- jarisierte oder wenigstens seine Söhne Géza oder Árpád taufte. Schwebendes Volkstum (heute als Doppelidentität bekannt.- Bem. GK) kann natürlich kein Dauerzustand sein. Die Familien entscheiden sich meist in der zweiten Generation für das eine oder das andere Volkstum. Oft fällt diese Entscheidung auch in- nerhalb eines individuellen Lebens zwischen Kindheit und Alter. Nehmen wir Jakob Bleyer und seinen Gegenspieler, den ehema- ligen ungarischen Außenminister Gustav Gratz. Auch Gratz war deutscher Abstammung. Diese legitimierte ihn ja angeblich zur Führung im Deutschen Volksbildungsverein, die ihm die ungari- sche Regierung bei der Vereinsgründung zuschob. Aber wenn er auch bis zuletzt als „Kulturdeutscher” gelten wollte, bei den Volks- zählungen gab er doch madjarisch als Muttersprache an. Damit trat er aus dem labilen Zustand des Schwebenden Volkstums auf den festen Boden der Assimilation an das Madjarentum. Bleyer dagegen vollzog in seinen allerletzten Lebensjahren die radikale Wandlung zum deutschen Volkstum, ohne freilich seine Gefühls- bindung an das Staatvolk ganz aufzugeben und den Zwiespalt, der im Schwebenden Volkstum liegt, innerlich vollkommen zu überwinden.…In dem Kampfe, der nach Bleyers Tod um den Deutschen Volksbildungsverein entbrannte, ist ein Teil seiner Schüler, Mitarbeiter und Anhänger über ihn hinausgegangen und hatte durch ein eindeutiges Bekenntnis zum deutschen Volkstum den inneren Gefühlszwiespalt zwischen Deutschtum und Mad- jarentum restlos überwunden. Ein anderer Teil ist in dem labilen Zustand des Schwebenden Volkstums (Doppelidentität – Bem. GK) verblieben. Nachwort -------------Soweit Steinacker------------- Heute reden wir viel über Doppelidentität, und allenthalben kommt man zum (Trug)Schluss, dass diese für die Ungarndeut- schen realistisch und maßgebend sei. Wie es dann weitergeht, darüber schweigt man. Eine wirkliche Debatte darüber wurde und wird nicht geführt, denn – so meinen es die Klugen -, wo- rüber man nicht redet, das gibt es nicht. Also Frieden, Freund- schaft, Palatschinken – und Stolz mit Zufriedenheit! Eine wirk- lich deutsche Identität ist nicht gefragt, somit gibt es sie (beinah) nicht mehr. Ebenso, wie es ja keine deutsche Muttersprache mehr gibt. Zweisprachig sei richtig! Doch gibt es die? Inwiefern? Naja, wir sind ja doch Ungarndeutsche! (Fortsetzung auf Seite 24) 23