Sonntagsblatt 3/2019 | Page 15

mit Dutzenden von Ordnern aufgereiht – eine akribische Chronik der diskreten Verhandlungen um Ausreisekontingente, Notizen zu Beratungen mit Bundeskanzler Helmut Kohl, der persönlich über den Verlauf der Verhandlungen informiert werden wollte, oder ein Nummernverzeichnis von Banknoten, die er den Rumä- nen übergeben hatte. Vier Jahrzehnte lang musste Hüsch, von der Securitate mit dem Decknamen «Eduard» versehen, seine Erinnerungen für sich be- halten. 2009 entband ihn der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble offiziell von der Schweigepflicht. Danach trat Hüsch an Fachtagungen auf. Er veröffentlichte einen Aufsatz- und Materia- lienband, unter anderem mit Eindrücken von einem bizarren Tref- fen mit Nicolae Ceausescu am 3. Oktober 1988. Hüsch sollte im Auftrag von Bundeskanzler Helmut Kohl höhere Ausreisezahlen erwirken. Doch Ceausescu blieb stur und lehnte Hilfsangebote ab. Dem rumänischen Volk – das Ende der 1980er Jahre hunger- te und fror – gehe es prima. Vielmehr denke er daran, deutschen Arbeitslosen Hilfspakete zu schicken. Hüsch, der trotz seinem hohen Alter während vier Stunden kon- zis, detailgetreu und ohne Pause Fragen beantwortet, erinnert sich an einen Mann mit massloser Selbstüberschätzung, umge- ben von einer unterwürfigen Armada von Adlaten. Fühlte sich der Herrscher angegriffen, lief sein Gesicht rot an. Zuchtvieh gegen Ausreisebewilligungen Bis 1968 hatte Deutschland mit Rumänien über Einzelfälle ver- handelt. Henry Jakober, ein britischer Geschäftsmann unga- risch-siebenbürgisch-jüdischer Abstammung, fädelte ziemlich krude Tauschgeschäfte ein: Zuchtvieh und Maschinen gegen Ausreisebewilligungen für jüdische, aber auch rumäniendeut- sche Ausreisewillige. Später arrangierte der Anwalt Ewald Gar- lepp im Auftrag des Auswärtigen Amtes die Ausreise von Rumä- niendeutschen gegen hohe Devisenbeträge. Bemühungen für ein umfassendes Abkommen zerschlugen sich zunächst. Erst in der Ära Hüsch entstand eine Art Abkaufsystem. Als ein- ziges Ostblockland verlangte Rumänien ein Kopfgeld für jeden Ausreisewilligen. Im ersten schriftlichen Vertrag, unterzeichnet am 7. März 1969 in Stockholm, einigten sich die Unterhändler auf vier Kategorien: Für Akademiker wurde eine Abgeltungssumme von 11 000 Mark vereinbart. Für Studierende ohne Studienab- schluss gab es einen Rabatt («Kategorie B2: 7000 DM, Studen- ten in letzten beiden Jahren ihrer Ausbildung»). Lediglich 1800 Mark waren für Rumäniendeutsche ohne berufliche Ausbildung und Pensionierte zu entrichten. Bei Erreichung bestimmter Aus- siedlerquoten winkte Rumänien ein Bonus. Die Verträge tragen die Unterschrift Hüschs. Man habe sich sozusagen im Gebiet des Ganovenrechts bewegt, bemerkt der Neusser Rechtsanwalt. Es waren Vereinbarungen ohne Rechtsetzung und Gerichtsbar- keit. «Die Verträge galten, solange sich beide Seiten daran hiel- ten.» Dass es sich de facto um Übereinkünfte zwischen Staaten handelte, ging daraus nicht hervor. Erdöl, Juden und Deutsche seien Rumäniens wertvollste Export- güter, soll der paranoide Machthaber geprahlt haben. Das Freikauf-Arrangement wurde über die Jahre hinweg modi- fiziert. Auf Hüschs Druck führte man eine Pauschalsumme für Ausreisewillige ein. Zusätzlich verlangte Rumänien Zins- und Kreditsubventionen. Gleich blieb der Grundmechanismus: Frei- heit gegen Geld. Die Unterhändler aus dem kommunistischen Reich legten zudem Bestelllisten mit Medikamenten oder Jagd- waffen («Marke Mauser mit Fernrohr») vor. Auf Wunsch Ceau- sescus orderten seine Helfershelfer auch ein bestimmtes Mer- cedes-Modell. Erdöl, Juden und Deutsche seien Rumäniens wertvollste Export- güter, soll der paranoide Machthaber geprahlt haben. Es gibt zwar keinen zweifelsfreien Beleg für diese Aussage. Unbestritten SoNNTAGSBLATT ist freilich, dass der Diktator erkannte, dass sich mit rumänischen Staatsbürgern deutscher Nationalität – wie sie offiziell hiessen – Kasse machen lässt. Unterhalten wurde die Geldmaschine von den Securitate-Kadern, die mit Hüsch um Quoten und Konditio- nen stritten. Geheimtreffen in Zürich Dokumente aus dem Securitate-Archiv in Bukarest belegen, dass Ceausescu über die Einzelheiten bestens im Bild war. In unterwürfigem Ton («Wir beantragen, Folgendes melden zu dür- fen») rapportierte Innenminister Tudor Postelnicu noch am 30. Juni 1989, ein halbes Jahr vor dem Sturz des Regimes, über Geldtransfers auf ein Konto der rumänischen Aussenhandels- bank. Hüsch wird in der Notiz nie namentlich genannt, sondern lediglich als «Repräsentant der westdeutschen Seite» bezeich- net. Das Schriftstück wurde mit einer Spezial-Schreibmaschine abgefasst, die zwei Zentimeter grosse Buchstaben druckte. Trotz seiner Sehschwäche weigerte sich der Diktator, eine Brille zu tragen. Die diskreten Unterredungen zwischen Hüsch und den Securitate-Offizieren fanden meist in Bukarest oder Neuss statt, aber auch in Stockholm, Wien, Genf und am Flughafen Zürich. Im Grossen und Ganzen hielt das kommunistische Regime seine Zusagen ein. Sicherheitshalber wurden die Abgeltungsbeträge aber erst bezahlt, nachdem die Rumäniendeutschen die Durch- gangsstelle für Aussiedler in Nürnberg erreicht hatten. Gleich- zeitig betrieb die Securitate ein dreistes Zusatzgeschäft. Wer sich eine Chance auf eine schnelle Ausreise ausrechnen wollte, musste die Geheimdienstler kräftig schmieren. Wie die Historike- rin Hannelore Baier dokumentierte, waren diese Zusatzforderun- gen nicht einfach das Werk einiger korrupter Beamter. Dieselben Spitzenfunktionäre, die mit Hüsch über «reguläre» Kopfgelder verhandelten, initiierten und koordinierten die Schmiergeldzah- lungen. Der deutsche Rechtsanwalt protestierte schriftlich gegen diese Praxis. Offenkundig mit wenig Erfolg. «Hände hoch, Hitlerist!» In Hermannstadt, dem Herz Siebenbürgens, führt uns Wienfried Senker zu seinem ehemaligen Zuhause. Das historische Zen- trum wirkt hübsch herausgeputzt, als hätte man eine deutsche Kleinstadt um ein paar tausend Kilometer verschoben und hier- her verpflanzt. Die Schulgasse hingegen, wo der baumlange Rumäniendeutsche aufwuchs, ist bis heute eine düstere Wohn- siedlung. Senker biegt bei der Nr. 15 ab, einem schäbigen Mehr- familienhaus. Im Hinterhof sammeln sich Abfall und Steine. Vom Grundstück nebenan meldet sich lauthals ein kläffender Hund. Die Familie Senker – der Vater Wollfärber, die Mutter Näherin – wohnte im Parterre. 16 Quadratmeter für fünf Personen. Senker schlief auf einem Klappbett unter dem Absatz einer Treppe, die in den ersten Stock führte, zur Wohnung eines Obersten der Secu- ritate. Wienfried hörte den Geheimdienstler die Treppe hoch- und runtergehen. Eines Tages habe der Oberst den Eltern zugeflüstert: «Wir wis- sen, dass ihr wegwollt.» Für seine Hilfe bei der Beschleunigung der Ausreise verlangte der Securitate-Mann 1000 Mark pro Per- son. Ein Onkel aus München brachte das Bestechungsgeld mit dem Auto nach Hermannstadt. Eine riskante Kurierfahrt; er hätte wegen Devisenschmuggels verhaftet werden können. Andere Vermittler verlangten von Ausreisewilligen Nerzmäntel, Colliers, Feingold in Barren oder Herrenarmbanduhren der Marke Seiko. Dass die Bundesrepublik bereits offiziell für Ausreisewillige zahl- te, war den Senkers nicht bewusst. «Ich musste nicht hungern», summiert der heute 67-Jährige sei- ne damaligen Lebensumstände. Ein Onkel vom Land brachte in einem Holzkoffer gelegentlich ein halbes Schwein. Aber Kinder der deutschen Minderheit wurden gemobbt. Senker schlendert seinen früheren Schulweg entlang und zeigt, wo ihn rumänische (Fortsetzung auf Seite 16) 15