Sonntagsblatt 3/2019 | Page 14

pol über alle „Volksdeutschen“ im östlichen Europa gesichert hat- te, diese „Volksdeutschen“ nur als Vorposten und Ausgangsposi- tion für die geplante „Rückeroberung deutschen Lebensraumes“ betrachteten und rücksichtslos als Instrument ihres Expansions- und Annexionsdranges einzusetzen trachteten. Doch die ungarische Regierung sorgte in völliger Verkennung der außenpolitischen Kräfteverhältnisse zunächst durch ihre Obstruktionspolitik dafür, dass das nationalsozialistische Orga- nisationsmodell der Volksgruppe erst zwanzig Monate später zur Anwendung kommen konnte. Mit Zuckerbrot und Peitsche suchte die ungarische Regierung den Volksbund auf ihre Sei- te zu ziehen. Die Peitsche schwang der Innenminister, der von den zur Genehmigung eingereichten Vereinsstatuten so viele strich, bis vom Volksbund nur ein Kulturverein übrig geblieben war, der sich von seinem Konkurrenten, dem UDV, zunächst so gut wie gar nicht unterschied. Das Zuckerbrot war die von der Regierungspartei angebotene Einbeziehung von Repräsentan- ten des Volksbundes als Kandidaten der Regierungspartei für die Parlamentswahl des Jahres 1939. Von den drei Kandidaten gewannen jedoch nur zwei die Wahl, nämlich Heinrich Mühl in Bonyhád und Jakob Brandt (1895-1977) in Baja. Die Niederlage des dritten, nämlich von Konrad Mischung (1904-1942) im Wahl- kreis Mohács, und der dortige Sieg des Pfeilkreuzlers Antal Keck (1906-?) begründete der örtliche Pfarrer damit, dass Keck „den ungarischen Geist gegen die Idee des Pangermanismus vertrat“ und deshalb erfolgreich gewesen sei. Keck konnte durch sein Eintreten für eine Assimilation der Minderheitenbevölkerung die örtliche Honoratiorenschicht auf seine Seite ziehen und schreck- te auch nicht vor rassistischen Unterstellungen zurück, indem er behauptete. Mischung sei jüdischer Abstammung“ und werde mit Jüdischen Geldern“ finanziert. Diese Wahlniederlage demonst- rierte die Mobilisierungskraft nationaler und rassistischer Argu- mente gegen einen Kandidaten, dem wegen seines Minderhei- tenprofils nicht einmal der Bonus der Regierungspartei zum Sieg verhelfen konnte. Die fortgesetzten Repressionsmaßnahmen der Regierung auf dem Land trieben jedoch dem Volksbund viele neue Anhänger zu, da er sich nunmehr als einzige Interessenvertretung der Deutschen zu profilieren wusste. Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verstärkte zusammen mit den militärischen Anfangs- erfolgen der deutschen Wehrmacht den Zustrom zum Volks- bund, der Ende 1939 bereits 25 000 Mitglieder zählte, seinen Volksdeutschen Kalender für das Jahr 1940 dreimal nachdru- cken musste und dennoch von der ungarischen Regierung nur die Erlaubnis zur Gründung von 21 Ortsgruppen erhalten hatte, wobei weitere 120 „geduldet“ wurden. Der Sekretär der Regie- rungspartei für das Komitat Bács-Bodrog fasste die Erfahrungen dieses Jahres, den für alle greifbaren Erfolg des Volksbundes und die schon unsinnige, weil sich kontraproduktiv auswirkende Unterdrückungspolitik der ungarischen Behörden, in folgender selbstkritischen Stellungnahme zusammen: „Es hätte nicht erlaubt sein dürfen, ohne jede Differenzierung auf das ganze Deutschtum loszugehen, sie dreckige, vaterlandsver- räterische Schwaben zu nennen, sie mit allen administrativen Mitteln zu unterdrücken und zwar nur deshalb, weil sie auch deutsch sprechen. In dieser fanatisierten Atmosphäre trafen das Deutschtum viele Äußerungen, ja Scheußlichkeiten, die es in sei- nem Selbstbewusstsein und kulturell-sprachlich tief verletzt ha- ben. An die Spitze deutscher Gemeinden wurden Notäre gestellt, die entweder nicht deutsch sprachen oder die deutsche Frage gewaltsam lösen bzw. liquidieren wollten, ohne jedes Verständ- nis und ohne jegliche Sachkenntnis.“ Während die Vertreter des Volksbundes im ungarischen Par- lament in den Reihen der Regierungspartei saßen, wurde der Volksbund auf dem Lande nun auch vom politischen Katholizis- mus, dem Landesrat Katholischer Burschen (KALOT), und damit von jener Elite bekämpft, die stets eine traditionelle Stütze der Regierungspartei geblieben war. 14 Zu verkaufen: Rumäniendeutsche Während des Kalten Krieges verkaufte der kommunisti- sche Diktator Ceausescu Rumäniendeutsche an die Bun- desrepublik. Die geheimen Vereinbarungen ermöglichten 226000 Menschen ein Leben in Freiheit. Die Ausreisewel- le traf die deutsche Minderheit in Rumänien bis ins Mark Ein Beitrag von Marco Kauffmann Bossart. Erschienen am 20. Dezember 2018 in der „Neue Zürcher Zeitung”. Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung der Neue Zürcher Zeitung AG Zü- rich. Wo an diesem Vormittag Canapés und Weisswein gereicht wer- den, feilschten Unterhändler bis 1989 mit harten Bandagen um Kopfgelder für Rumäniendeutsche: auf dem «Executive Floor» im 21. Stock des Bukarester Hotels Intercontinental, bekannt auch als Treffpunkt von Spionen und zwielichtigen Geschäftsleu- ten zu Zeiten des Kalten Krieges. Das kommunistische Regime dürstete nach Devisen, Luxusgütern und technischen Geräten. Die Bundesregierung wollte der nach 1945 drangsalierten deut- schen Minderheit die Ausreise aus dem Gefängnis-Staat ermög- lichen. Die Kosten der einst streng geheimen Operation «Kanal» belie- fen sich auf über eineMilliarde Mark. 226 000 Rumäniendeutsche verliessen zwischen 1968 und 1989 die sozialistische Diktatur. In der Anfangsphase händigte der Emissär der deutschen Bundes- regierung, Heinz Günther Hüsch, Tausendernoten in einer zum Bersten vollen Koffertasche aus. Quittungen wurden nicht aus- gestellt. Später liefen die Zahlungen über die rumänische Aus- senhandelsbank in Frankfurt, einige Male auch über die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel. In Rumänien re- gelten die Parteien die Einzelheiten in zähen Unterredungen im «Intercontinental», einem bis 1989 über alle Böden und Wände verwanzten Betonturm am Bulevardul Nicolae Balcescu, aber auch in Hinterzimmern zweier anderer Bukarester Hotels sowie im rumänischen Aussenhandelsministerium. Wer heute aus der «Executive Lounge» des «Intercontinental» schaut, überblickt die Wirkungsstätten der damaligen Protago- nisten: Das «Haus des Volkes», an dessen monströse Dimen- sionen sich das menschliche Auge nie gewöhnen kann, sollte zur Schaltzentrale des rumänischen Herrschers Nicolae Ceau- sescu werden. Der 1989 hingerichtete Diktator hat den Verkauf der Deutschen höchstpersönlich überwacht. Auch erkennt man das Dach des Hauptsitzes des früheren Geheimdienstes Secu- ritate – einer Behörde, die für Erpressung, Einschüchterung und Folter stand. «Wir werden alles abstreiten müssen» 2000 Kilometer Luftlinie von Bukarest entfernt, in Neuss bei Düsseldorf, treffen wir die Schlüsselperson auf deutscher Seite: Heinz Günther Hüsch, promovierter Rechtsanwalt und langjähri- ger Bundestagsabgeordneter der CDU. Von 1968 bis 1989 führ- te er die Verhandlungen – hartnäckig, penibel, diskret. Er hatte in dieser Zeit mit vier deutschen Kanzlern (Kiesinger, Brandt, Schmidt und Kohl) sowie sechs rumänischen Unterhändlern zu tun. Im Oktober 1967 war Hüsch nach eigenen Worten als Feld- Wald-und Wiesen-Anwalt unterwegs, als ihm Gerd Lemmer, der Staatssekretär im Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlin- ge und Kriegsgeschädigte, die delikate Mission antrug. Die so- zialistische Republik bestand auf Geheimhaltung, Deutschland kam sie nicht ungelegen. «Wir werden alles abstreiten müssen, wenn etwas schiefläuft», beschied ihm Lemmer. Dass die Bun- desrepublik einwilligte, Millionen an ein Unrechtsregime zu zah- len, war politisch brisant. Hüsch, heute 89 Jahre alt, hat in seiner Wohnung ein Wägelchen SoNNTAGSBLATT