pol über alle „Volksdeutschen“ im östlichen Europa gesichert hat-
te, diese „Volksdeutschen“ nur als Vorposten und Ausgangsposi-
tion für die geplante „Rückeroberung deutschen Lebensraumes“
betrachteten und rücksichtslos als Instrument ihres Expansions-
und Annexionsdranges einzusetzen trachteten.
Doch die ungarische Regierung sorgte in völliger Verkennung
der außenpolitischen Kräfteverhältnisse zunächst durch ihre
Obstruktionspolitik dafür, dass das nationalsozialistische Orga-
nisationsmodell der Volksgruppe erst zwanzig Monate später
zur Anwendung kommen konnte. Mit Zuckerbrot und Peitsche
suchte die ungarische Regierung den Volksbund auf ihre Sei-
te zu ziehen. Die Peitsche schwang der Innenminister, der von
den zur Genehmigung eingereichten Vereinsstatuten so viele
strich, bis vom Volksbund nur ein Kulturverein übrig geblieben
war, der sich von seinem Konkurrenten, dem UDV, zunächst so
gut wie gar nicht unterschied. Das Zuckerbrot war die von der
Regierungspartei angebotene Einbeziehung von Repräsentan-
ten des Volksbundes als Kandidaten der Regierungspartei für
die Parlamentswahl des Jahres 1939. Von den drei Kandidaten
gewannen jedoch nur zwei die Wahl, nämlich Heinrich Mühl in
Bonyhád und Jakob Brandt (1895-1977) in Baja. Die Niederlage
des dritten, nämlich von Konrad Mischung (1904-1942) im Wahl-
kreis Mohács, und der dortige Sieg des Pfeilkreuzlers Antal Keck
(1906-?) begründete der örtliche Pfarrer damit, dass Keck „den
ungarischen Geist gegen die Idee des Pangermanismus vertrat“
und deshalb erfolgreich gewesen sei. Keck konnte durch sein
Eintreten für eine Assimilation der Minderheitenbevölkerung die
örtliche Honoratiorenschicht auf seine Seite ziehen und schreck-
te auch nicht vor rassistischen Unterstellungen zurück, indem er
behauptete. Mischung sei jüdischer Abstammung“ und werde mit
Jüdischen Geldern“ finanziert. Diese Wahlniederlage demonst-
rierte die Mobilisierungskraft nationaler und rassistischer Argu-
mente gegen einen Kandidaten, dem wegen seines Minderhei-
tenprofils nicht einmal der Bonus der Regierungspartei zum Sieg
verhelfen konnte.
Die fortgesetzten Repressionsmaßnahmen der Regierung auf
dem Land trieben jedoch dem Volksbund viele neue Anhänger
zu, da er sich nunmehr als einzige Interessenvertretung der
Deutschen zu profilieren wusste. Der Ausbruch des Zweiten
Weltkriegs verstärkte zusammen mit den militärischen Anfangs-
erfolgen der deutschen Wehrmacht den Zustrom zum Volks-
bund, der Ende 1939 bereits 25 000 Mitglieder zählte, seinen
Volksdeutschen Kalender für das Jahr 1940 dreimal nachdru-
cken musste und dennoch von der ungarischen Regierung nur
die Erlaubnis zur Gründung von 21 Ortsgruppen erhalten hatte,
wobei weitere 120 „geduldet“ wurden. Der Sekretär der Regie-
rungspartei für das Komitat Bács-Bodrog fasste die Erfahrungen
dieses Jahres, den für alle greifbaren Erfolg des Volksbundes
und die schon unsinnige, weil sich kontraproduktiv auswirkende
Unterdrückungspolitik der ungarischen Behörden, in folgender
selbstkritischen Stellungnahme zusammen:
„Es hätte nicht erlaubt sein dürfen, ohne jede Differenzierung auf
das ganze Deutschtum loszugehen, sie dreckige, vaterlandsver-
räterische Schwaben zu nennen, sie mit allen administrativen
Mitteln zu unterdrücken und zwar nur deshalb, weil sie auch
deutsch sprechen. In dieser fanatisierten Atmosphäre trafen das
Deutschtum viele Äußerungen, ja Scheußlichkeiten, die es in sei-
nem Selbstbewusstsein und kulturell-sprachlich tief verletzt ha-
ben. An die Spitze deutscher Gemeinden wurden Notäre gestellt,
die entweder nicht deutsch sprachen oder die deutsche Frage
gewaltsam lösen bzw. liquidieren wollten, ohne jedes Verständ-
nis und ohne jegliche Sachkenntnis.“
Während die Vertreter des Volksbundes im ungarischen Par-
lament in den Reihen der Regierungspartei saßen, wurde der
Volksbund auf dem Lande nun auch vom politischen Katholizis-
mus, dem Landesrat Katholischer Burschen (KALOT), und damit
von jener Elite bekämpft, die stets eine traditionelle Stütze der
Regierungspartei geblieben war.
14
Zu verkaufen: Rumäniendeutsche
Während des Kalten Krieges verkaufte der kommunisti-
sche Diktator Ceausescu Rumäniendeutsche an die Bun-
desrepublik. Die geheimen Vereinbarungen ermöglichten
226000 Menschen ein Leben in Freiheit. Die Ausreisewel-
le traf die deutsche Minderheit in Rumänien bis ins Mark
Ein Beitrag von Marco Kauffmann Bossart. Erschienen am 20.
Dezember 2018 in der „Neue Zürcher Zeitung”. Veröffentlichung
mit freundlicher Genehmigung der Neue Zürcher Zeitung AG Zü-
rich.
Wo an diesem Vormittag Canapés und Weisswein gereicht wer-
den, feilschten Unterhändler bis 1989 mit harten Bandagen um
Kopfgelder für Rumäniendeutsche: auf dem «Executive Floor»
im 21. Stock des Bukarester Hotels Intercontinental, bekannt
auch als Treffpunkt von Spionen und zwielichtigen Geschäftsleu-
ten zu Zeiten des Kalten Krieges. Das kommunistische Regime
dürstete nach Devisen, Luxusgütern und technischen Geräten.
Die Bundesregierung wollte der nach 1945 drangsalierten deut-
schen Minderheit die Ausreise aus dem Gefängnis-Staat ermög-
lichen.
Die Kosten der einst streng geheimen Operation «Kanal» belie-
fen sich auf über eineMilliarde Mark. 226 000 Rumäniendeutsche
verliessen zwischen 1968 und 1989 die sozialistische Diktatur. In
der Anfangsphase händigte der Emissär der deutschen Bundes-
regierung, Heinz Günther Hüsch, Tausendernoten in einer zum
Bersten vollen Koffertasche aus. Quittungen wurden nicht aus-
gestellt. Später liefen die Zahlungen über die rumänische Aus-
senhandelsbank in Frankfurt, einige Male auch über die Bank
für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel. In Rumänien re-
gelten die Parteien die Einzelheiten in zähen Unterredungen im
«Intercontinental», einem bis 1989 über alle Böden und Wände
verwanzten Betonturm am Bulevardul Nicolae Balcescu, aber
auch in Hinterzimmern zweier anderer Bukarester Hotels sowie
im rumänischen Aussenhandelsministerium.
Wer heute aus der «Executive Lounge» des «Intercontinental»
schaut, überblickt die Wirkungsstätten der damaligen Protago-
nisten: Das «Haus des Volkes», an dessen monströse Dimen-
sionen sich das menschliche Auge nie gewöhnen kann, sollte
zur Schaltzentrale des rumänischen Herrschers Nicolae Ceau-
sescu werden. Der 1989 hingerichtete Diktator hat den Verkauf
der Deutschen höchstpersönlich überwacht. Auch erkennt man
das Dach des Hauptsitzes des früheren Geheimdienstes Secu-
ritate – einer Behörde, die für Erpressung, Einschüchterung und
Folter stand.
«Wir werden alles abstreiten müssen»
2000 Kilometer Luftlinie von Bukarest entfernt, in Neuss bei
Düsseldorf, treffen wir die Schlüsselperson auf deutscher Seite:
Heinz Günther Hüsch, promovierter Rechtsanwalt und langjähri-
ger Bundestagsabgeordneter der CDU. Von 1968 bis 1989 führ-
te er die Verhandlungen – hartnäckig, penibel, diskret. Er hatte
in dieser Zeit mit vier deutschen Kanzlern (Kiesinger, Brandt,
Schmidt und Kohl) sowie sechs rumänischen Unterhändlern zu
tun.
Im Oktober 1967 war Hüsch nach eigenen Worten als Feld-
Wald-und Wiesen-Anwalt unterwegs, als ihm Gerd Lemmer, der
Staatssekretär im Bundesministerium für Vertriebene, Flüchtlin-
ge und Kriegsgeschädigte, die delikate Mission antrug. Die so-
zialistische Republik bestand auf Geheimhaltung, Deutschland
kam sie nicht ungelegen. «Wir werden alles abstreiten müssen,
wenn etwas schiefläuft», beschied ihm Lemmer. Dass die Bun-
desrepublik einwilligte, Millionen an ein Unrechtsregime zu zah-
len, war politisch brisant.
Hüsch, heute 89 Jahre alt, hat in seiner Wohnung ein Wägelchen
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