Sonntagsblatt 3/2013 | Page 5

fünf Jahre lang über ihnen und wurde nicht einmal durch die neue Verfassung von 1949 von ihnen genommen . Daneben wurde den Ungarndeutschen dadurch Schuldbewusstsein eingehämmert , dass man sie für die eingetretene Katastrophe Ungarns verantwortlich machte . Die Zerstörung des Selbstwertgefühls dieser Volksgruppe war auch das tiefste Motiv für den schreiend ungerechten Schauprozess , aufgrund dessen ein ungarischer Volksgerichtshof den Volksgruppenführer Dr . Anton Basch als Kriegsverbrecher zum Tod verurteilte und ihn am 26 . April 1946 in Budapest hinrichten ließ . Bis heute wird dieser Tod als eine stellvertretende Sühne und damit als ein Eingeständnis von Schuld verstanden . Deshalb darf an eine Revision des Urteils nicht gedacht werden , obwohl die Hinrichtung schon 1956 als Justizmord nachgewiesen wurde , “ was 1999 durch die Veröffentlichung der Prozessakten eine Bestätigung fand . Die ungebrochen weiterlaufende Diffamierung der ungarländischen Deutschen als „ büdös , buta sváb ” ( stinkender , doofer Schwabe ) tat ein Übriges zur Ergänzung dieser ganz grundlegenden psychologischen Entfremdung der Ungarndeutschen von ihrem angestammten Volkstum . Der einzige Vorwurf , der inzwischen als unhaltbar zurückgenommen wurde , ist die Kollektivschuldthese , aber das geschah erst im Zusammenhang mit der Wende 1989 .
Parallel zu dem wirtschaftlichen und psychologischen Trommelfeuer gegen die Ungarndeutschen lief die sprachliche Assimilation . Bis zum ersten Viertel der 50er Jahre war Deutsch als Sprache von Zeitungen , Radio- und TV-Sendungen , Schulen , Gottesdiensten , Theateraufführungen und an der Arbeitsstelle usw . verboten . Es wuchs eine Generation heran , für die ihr eigenes Idiom nur noch eine Großmuttersprache war und deren eigene Kinder Deutsch weder sprachen noch verstanden . Deutsch als kulturvermittelnde Sprache blieb verpönt und noch gegen Ende der 80er Jahre war es ein riskantes Unterfangen , die Reste der ungarndeutschen mündlich tradierten Kulturgüter auch nur aufzeichnen zu wollen . Heute aber sind die vielen ungarndeutschen
Dialekte so gut wie ausgestorben und spielen nirgends mehr eine Rolle . 16
Der deutsche Sprachunterricht an Schulen wurde erst 1952 langsam und von vielen Schwierigkeiten behindert wieder aufgenommen , und 1956 wurde am Bela III-Gymnasium von Baja / Frankenstadt de r erste gymnasiale Sprachenzug eröffnet . Dieser hat sich inzwischen zwar als Leö-Frankl-Gymnasium verselbständigt , ist aber genauso wenig eine deutsche Schule wie die vielen anderen ungarischen Bildungseinrichtungen derselben Bezeichnung , die Deutsch als Fremdsprache unterrichten . Es sind in erster Linie auch nicht ungarndeutsche Kinder , die solche „ deutsche Schulen ” besuchen , sondern Kinder aus mittelständischen madjarischen Familien , die sich vom Erlernen des Deutschen bessere wirtschaftliche Perspektiven versprechen . Deshalb geht auch die Unterstützung der Bundesrepublik für solche Schulen und der Schüleraustauch auf der Grundlage des Kulturabkommens zwischen Deutschland und Ungarn von 1987 an ungamdeutschen Kindern meistens vorbei . Außerdem haben diese „ deutschen Schulen ” dasselbe Curriculum wie die ungarischen , und ihre Lehrbücher enthalten keinerlei Hinweise auf die Leistungen der Deutschen für Ungarn und auch sonst nichts , was bei der oben skizzierten allgemein üblichen Diffamierung alles Deutschen den Respekt der Kinder vor ihrem eigenen Ethnikum wecken und erhalten könnte . Eng verbunden mit der sprachlichen Assimilation ist die kulturelle Assimilation , die der Minderheit neben der Sprache auch die herrschenden Werte der Mehrheit aufoktroyiert . Die Vielzahl der deutschen Vereine , die seit 1989 entstanden sind , scheint eher einen hoffnungsfrohen Neuanfang zu signalisieren , und Karl Manherz betrachtet die Gründung des „ Kulturverbandes der Deutschen Werktätigen in Ungarn ” im Jahre 1955 als des ers-
Sonntagsblatt ten neu zugelassenen deutschen Vereins geradezu als einen Wendepunkt der Repressionspolitik der ungarischen Regierungen gegenüber der deutschen Minderheit . Aber es ist Vorsicht geboten , denn auch deutschsprachige Vereine können zur Assimilation missbraucht werden .
Ebenso wenig können die vielen Chöre , deren Mitglieder sich ungarisch unterhalten , wenn sie nicht gerade deutsche , oft unverstandene Lieder singen , die Tanzvereinigungen , die in nachempfundenen Trachten , die sie nicht deuten können , etwas tanzen , was sie „ deutsche Tänze nennen ”, und die Blaskapellen , die deutsche Musik mit Festzeltromantik identifizieren , an und für sich schon als Zeichen einer gesunden Minderheiten-Kultur gewertet werden . Als Folklore schrumpft die Volkskultur zur bloßen Unterhaltung und verliert ihre Kraft , Identität zu verleihen . Die Garantie des Erfolges der bisher beschriebenen Formen der gewaltsamen Assimilation liegt in der politischen Assimilation , d . h . in der Verweigerung von politischer Macht für die Minderheiten . Das Nationalitätengesetz von 1993 hat keine Abhilfe geschaffen . Zwar wurden „ Minderheitenselbstverwaltungen ” errichtet , aber diese werden nicht nur von Angehörigen der jeweiligen Minderheit bestellt , sondern sie werden von der Gesamtbevölkerung gewählt . Auch haben sie keinerlei politisches Gewicht , da sie keine Vertreter ins Parlament entsenden dürfen . Finanziell schlecht ausgestattet , geben die heute 270 deutschen Selbstverwaltungen nicht einmal eine eigene Zeitung heraus .“
Das Ergebnis der Volkszählung vom Februar 2001 muss als Bestätigung des Erfolges der bruchlos durchgehaltenen Einschmelzungspolitik der ungarischen Regierungen jedweder politischen Richtung gelesen werden . Zwar haben sich mit 62 233 Personen mehr als doppelt so viele Menschen zur deutschen Nationalität bekannt wie bei der Volkszählung von 1990 , als es nur 30 824 waren .“ Von der Deutschen-Vertreibung der Nachkriegsjahre blieben aber mindestens 170 000 Ungarndeutsche verschont , d . h . rund zwei Drittel von ihnen verstehen sich selbst heute als im Madjarentum aufgegangen .
9 Johann Weidlein hat diese Zusammenhänge in vielen Veröffentlichungen untersucht ; hier sei verwiesen auf : 1 ) Der madjarische Rassennationalismus ; Dokumente zur ungarischen Geistesgeschichte . Schorndorf 1961 . 2 ) Das Bild des Deutschen in der ungarischen Literatur . Schorndorf 1977 . 2 ) Für diese Zahl sowie die Zitate und Daten des vorliegenden Paragraphen vgl . Georg Zielbauer u . andere : Die Verschleppung ungarländischer Deutscher 1944 / 45 ; Erste Station der kollektiven Bestrafung . Hg .: Verband der Ungarndeutschen , Budapest 1990 . 3 > J . Weidlein zitiert die Landsmannschaften der Ungarndeutschen , die feststellten , dass 70 000 bis 80 000 Ungarndeutsche von den Verschleppungen betroffen waren . Vgl .: Schicksalsjahre der Ungamdeutschen , die ungarische Wendung . Holzner Verlag Würzburg 1957 ; S . 70 . 4 > J . Weidlein : Die nationale Bodenpolitik Ungarns . In Südostdeutsches Archiv , 1965 ; S . 140-151 . Abgedruckt in : Pannonica . Schorndorf 1979 ; S . 312-323 . 5 > Zit . nach : Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa Bd . II , Das Schicksal der Deutschen in Ungarn . Bonn 1956 . Hg .: Bundesministerium für Vertriebene , Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte ; S . 83E . 6 > Von diesem Antrag schweigen ungarische Geschichtsdarstellungen . Er beweist die Verantwortung der ungarischen Regierung für die Deutschen-Vertreibung und wurde in seiner Bedeutung zuerst erkannt von J . Weidlein : Geschichte der Ungamdeutschen in Dokumenten , 1930-1950 . Schorndorf 1959 , S . 356 . 7 > Zitiert nach J . Weidlein : Geschichte der Ungarndeutschen in Dokumenten ; S . 357 . 8 > Vgl . Fußnote 1 9 > Der Text findet sich bei dtv : Völkerrechtliche Verträge , Beck-Texte ; S . 140ff . Für die Deutschen aus Jugoslawien liegt ein Rechtsgutachten von Professor Die-
( Fortsetzung auf Seite 6 )
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