Sonntagsblatt 3/2012 | Page 8

ber , wir Ungamdeutsche tragen viel Schuld daran , dass unsere Nachkommen gezwungen sind manchmal „ dumme ” Fragen an die noch vorhandenen „ Alten ” zu stellen hinsichtlich unseres Schicksals , das für sie schon Geschichte bedeutet .
Eine solche „ dumme ” Frage hat mich veranlasst , das Schweigen zu brechen und mit einem Rückblick Antwort auf diese Frage zu geben . Die Fragestellung hat sich so ergeben :
Ein guter Freund berichtete mir unlängst , dass seine Enkeltochter ( 10 Jahre alt ) ihn in große Verlegenheit gebracht hat . Was war geschehen ?
Mein Freund ist mit seiner Tochter anwesend bei einer örtlichen Veranstaltung , wo man unserer Vertreibung im Jahre 1946 gedenkt . Diese deutsche Gedenkfeier verläuft überwiegend in ungarischer Sprache und so kann die Kleine die Festansprache auch verstehen und merkt sich einige Begriffe daraus . Beim Nachhause-Gehen stellt die Kleine den Opa zur Rede :
- Opa , du sagst , dass auch wir Deutsche sind . Ja , warum hat man dann uns , d . h . dich nicht auch vertrieben ? Gehörst du zu den Schuldigen oder zu den Unschuldigen ? Der Bürgermeister hat doch gesagt , dass auch die Unschuldigen vertrieben wurden . Die Schuldigen waren sicher böse Menschen , aber warum hat man dann die Unschuldigen auch zu diesen Schuldigen in die Waggons gestopft ? - Das ist eine komplizierte Sache , das kann ich dir nicht so einfach erklären , das verstehst du eh nicht .
-Aber ich möchte es schon wissen , denn die tanítónéni ( Lehrerin ) hat in der Schule auch gesagt , sok ártatlan embernek is mennie kellett ( auch viele unschuldige Menschen mussten gehen ). Und was haben die bűnösök ( Schuldigen , Sündhaften ) angestellt ? Die tanítónéni hat etwas von bundos gesagt ...
- Naja , es gab damals einen Verein , einen Volksbund , und man hat die deutschen Leute , die Schwaben überredet , sie sollen sich bei der Volkszählung , das war im Jahr 1941 , zur deutschen Muttersprache und deutschen Nationalität ( német anyanyelv és német nemzetiség ) bekennen . Aber der Pfarrer hat auch damals schon gesagt , ennek nem lesz jó vége ( das nimmt kein gutes Ende ), die Leute sollen auf beide Fragen „ ungarisch ” sagen , oder wenigstens bei nemzetiség ( Nationalität ). Als dann der Krieg zu Ende war , hat man gesagt , dass alle , die im Volksbund-Verein Mitglied waren und die sich zur deutschen Nationalität bekannt haben , die sind Vaterlandsverräter und Kriegsverbrecher und müssen mit ihrem batyu ( Bündel ) nach Deutschland gehen . Aber als dann die Leute einwaggoniert wurden , dann hat man auch viele mitgenommen , die 1941 keine Deutschen sein wollten , bzw . ungarische Nationalität oder auch gar ungarische Muttersprache angegeben haben . -Also warst Du Opa nicht in dem schlechten Verein und hast alles ungarisch eingeschrieben ...
- Hm , weißt , das ist kompliziert ...
-Ja , aber da fällt mir ein , dass im Herbst , als die Volkszählung war , die Panni-néni zu uns kam und gesagt hat , dass wir alle , auch ich , deutsche Muttersprache und deutsche Nationalität in den Fragebogen eintragen sollen , jedenfalls die Nationalität unbedingt , weil das ist doch wichtig , weil sonst kann es bald keinen deutschen Gesangchor mehr geben und wir werden mit dem Autobus nicht mehr nach Deutschland fahren können , dorthin , wo die Emmi-Tanti wohnt . - Ja , richtig , und so haben wir es ja auch gemacht ...
- Aber sind wir dann jetzt nicht auch hazaáruló ( Vaterlandsverräter ) und háborús bűnös ( Kriegsverbrecher )?
- Hm , nein , jetzt nicht ...
- Na , nem értem ( ich versteh das nicht ).
Soweit der in Verlegenheit geratene Opa . Dass die Enkeltochter gut zugehört hat , ist lobenswert , und das sie neugierig wurde , ist nicht verwunderlich . Aber wie viele junge Menschen mag es wohl geben , die auch neugierig sind , aber sich nicht offenbaren , nicht fragen . Vielleicht , weil es sich nicht ziemt , heute solche Fragen zu stellen . Von oben wird etwas festgestellt , das nimmt man zur Kenntnis , und ... - man hat eh genug andere Sorgen .
Ich selber habe in verschiedenen Presseorganen , sogar auch in den Budaörser Nachrichten , diese Unschuldigen-Betonung gelesen . Da muss ich mir doch - endlich einmal - selber auch die Frage stellen : Zu welcher Gruppe zählte ich bei der „ Aussiedlung ” ( als man mich nicht in die deutsche Urheimat mitgenommen hat ) und zu welcher zähle ich nun heute ( da man mir 1957 seitens der » Partei « bestätigte , ich sei » ein Sohn des werktätigen Volkes «)? War und bin ich ein Schuldiger oder Unschuldiger ?
Mir sollte die Antwort nicht schwerfallen . Ich gehöre sicherlich zur Schwerstverbrecher-Gruppe , weil meine Familie - d . h . meine Eltern mit mir - alle negativen Merkmale ( die 1946 als Grund für Enteignung und Vertreibung angeführt worden waren ) an sich trägt . Aber wieso bin ich dann hier ? Warum hat man mich nicht auch nach Deutschland vertrieben ? Da komme ich nun in Verlegenheit . Ich kann es in wenigen Worten nicht erklären . Dazu müsste ich einen Roman erzählen . Dafür aber stelle ich fest :
Es ist unfair , ja falsch , auch heute noch über böse und gute Ungarndeutsche , über Schuldige und Unschuldige zu reden . Schuldig kann - jederzeit - eine Person aus irgendeinem Grund sein , doch dafür kann nicht eine Volksgruppe oder ein Teil dieser haften . Unschuldig ist ebenfalls ein sehr weiter Begriff , - aus welchem Gesichtspunkt man die Unschuld eben feststellen will . Dazu auch ein Beispiel :
Ist über Vertreibung der ungarländischen Deutschen die Rede , beruft man sich immer gerne auf den „ Widerstand ” der katholischen Kirche . Darunter versteht man den Hirtenbrief bzw . den Protest bei der ung . Regierung des Kardinals Mindszenthy , der auch betonte , dass viele Unschuldige in diesen Prozess einbezogen wurden . Unser guter Kardinal hielt ( wie üblich ) jene deutschen Menschen für unschuldig , die sich als Madjaren deklarierten , denn „ milyen jó magyar lehetett volna belőlük ” ( wie gute Madjaren hätten sie werden können ). Ob diese ihrem Volke untreuen Katholiken auch wirklich treu zu ihrem katholischen Glauben gestanden sind ? Diesen Umstand hat die Kirche bei der „ Beurteilung ” außer Acht gelassen . Ich jedoch kann es bezeugen : Die meisten Völksbund-Mitglieder waren gleichzeitig gute Christen , fleißige Kirchengeher . Gleichzeitig waren viele „ Treuen ” - also Verleugner ihrer Nationalität - gleichgültig der Kirche gegenüber .
Ich habe hier nur ein Thema von vielen angeschnitten , glaube aber bewiesen zu haben , dass es sehr notwendig ist , ENDLICH AUCH DARÜBER ZU REDEN !
" Georg Krix
Medienpolitik gegen die ungarländischen Minderheiten
Minderheiten-Filmforum reglementiert
Der Umgang der neuen Machthaber in unserem Lande mit den Minderheiten ist ein aussagekräftiges Kennzeichen über ihre Glaubwürdigkeit und über ihre wahre Gesinnung . Gemeint ist die viel beschworene großzügige Gesinnung der Politik der neuen Regierung gegenüber den Nationalitäten . Ist sie wirklich so offenherzig und großzügig und vor allem so verlässlich , wie sie vor den letzten Wahlen landauf landab versprochen wurde oder waren das meiste davon nur die üblichen Lippenbekenntnisse , die nach der gewonnenen Wahl mit den Stimmen gerade vieler Ungarndeutscher nur noch Schnee von gestern sind ?
Der rigidere Kurs der Orbän-Regierung hat vor allem im Medienbereich bald nach den Wahlen die Wellen hoch schlagen lassen . Wir Ungamdeutschen dachten uns nicht sonderlich viel dabei , sind wir doch seit jeher eher dem bürgerlich-nationalen
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