Sonntagsblatt 3/2012 | Page 7

Und was schreibt die Presse zu diesem Fall ? Hier ein Beispiel ( UN , 2006 ): „ Ene mene muh und raus bist DU !” Dieser Abzählreim aus Kindertagen kommt einem in den Kopf , wenn man den Wirbel und das widerwärtige wie lächerliche Medientheater um den Schriftsteller Günter Grass verfolgt , der vor einundsechzig Jahren in den letzten Kriegsmonaten als 17- Jähriger aus dem Reichsarbeitsdienst zur Waffen-SS einberufen worden war .
Statt von Anfang an dazu zu stehen , dass er damals zu dieser - später in der weltweiten Militärliteratur höchst geachteten und gelobten - Elitetruppe einberufen wurde , hatte der Literatur- Nobelpreisträger dies bisher aus falscher Scham verschwiegen und verdrängt , weil die Waffen-SS im Rahmen der bundesdeutschen Vergangenheitsvergewaltigung zu einer verbrecherischen Organisation hingestellt wurde .
Der Grass-Biograph Michael Jürges verkündete das „ Ende einer moralischen Instanz ” und zog den moralischen Wert des gesamten Lebenswerkes von Grass in Zweifel . Der Tabu-Wächter Michael Wolffsohn , umstrittener Professor an der Bundeswehrakademie , erklärte , Grass habe „ sein moralisierendes Lebenswerk entwertet ”, und der Literatur-Kritiker Hellmuth Karasek meinte , mit dem Wissen um diese Vergangenheit hätte er keinen Nobelpreis erhalten .
Dem Divisionsarzt Dr . Skaika , der während der schweren Kämpfe um Amheim mehr als 2000 britische Schwerverwundete auf Befehl des Divisionsführers der 9 . SS-Panzerdivision „ Hohenstaufen ” vor sicherer Vernichtung bewahrte und aus dem Kessel geleitete , sagte der britische Div . -Geistliche . „ Ganz England wird Ihnen diese Hilfsaktion danken !” („ Der Freiwillige ”, Heft 10 . 1984 )
Der tschechische PEN-Club erwägt , Grass den 1994 verliehenen „ Karel-Capek-Preis ” wieder zu entziehen und der polnische Expräsident Lech Walesa , der 1990 gedroht hatte , Deutschland würde ausradiert , wenn es noch mal aufmucken würde , forderte Grass auf , die Ehrenbürgerschaft der Stadt Danzig zurückzugeben .
Das Mitgefühl für Grass sollte sich jedoch in Grenzen halten : „ Grass sieht seine Mitgliedschaft in dieser mörderischen Organisation , welche die Waffen-SS war , als menschlichen Makel , als persönliche Schande ", berichtet die Tagespresse . Wahrscheinlich war diese ( fälschlich ) gefühlte „ Schande ” auch der Grund für seine unerbittliche Kritik an der Wiedervereinigung , die er im Hinblick auf Auschwitz ablehnte und für seine Polemik gegen den Besuch von Kohl und Reagan auf dem Soldatenfriedhof Bitburg , auf dem Mitglieder der Waffen-SS begraben liegen . Wahrscheinlich wollte er damit seine eigene Vergangenheitsbewältigung betreiben , obwohl er sich absolut nichts vorzuwerfen hatte .
Statt sich zu schämen , hätte er sich schon 1952 , ais noch Reste der Wahrheit gesagt werden durften , auf die Ehrenerklärung des ersten Bundeskanzlers der BRD , Konrad Adenauer , berufen sollen ! Nun , unlängst erschien von Günter Grass das Gedicht WAS GESAGT WERDEN MUSS Es löste große Empörung aus . „ Schriftsteller attackiert Israel ” - „ Text löst heftige Reaktionen aus ”, so die Pressemeldungen . „ Unverantwortlich ”, „ irritierend ”, „ aggressives Pamphlet ” - mit seiner Kritik in Gedichtform , Israel gefährde den Weltfrieden , hat Literatumobelpreisträger Günter Grass Empörung und Widerspruch ausgelöst . Es gibt wenige unterstützende Stimmen , - heißt es .
Schon lange hat kein literarisches Werk mehr für so viel Aufsehen gesorgt wie das neue Gedicht von Günter Grass zum Atomkonflikt mit dem Iran . Der Nobelpreisträger attackiert darin den Staat Israel und stellt infrage , ob Iran tatsächlich über eine
Atombombe verfügt . Der Bau einer solchen Waffe werde hur „ vermutet ”.
„ Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden ”, schreibt Grass . Zudem kritisiert er die deutsche Außenpolitik und die geplante Lieferung eines weiteren U-Boots „ aus meinem Land ” nach Israel . Grass veröffentlichte sein Gedicht mit dem Titel „ Was gesagt werden muss ” zeitgleich in der „ Süddeutschen Zeitung ” und anderen , internationalen Zeitungen . Das blieb in Deutschland nicht lange unkommentiert . Hier nur einige Zeilen aus besagtem Gedicht :
Warum schweige ich , verschweige zu lange , was offensichtlich ist und in Planspielen geübt wurde , an deren Ende als Überlebende wir allenfalls Fußnoten sind ...
Warum aber schwieg ich bislang ? Weil ich meinte , meine Herkunft , die von nie zu tilgendem Makel behaftet ist , verbiete , diese Tatsache als ausgesprochene Wahrheit dem Land Israel , dem ich verbunden bin und bleiben will , zuzumuten ...
Und zugegeben : ich schweige nicht mehr , weil ich der Heuchelei des Westens überdrüssig bin ; zudem ist zu hoffen , es mögen sich viele vom Schweigen befreien ...
Merkwürdig ist jedenfalls , dass neben den vielen negativen Stimmen aus politischen Kreisen und Pressemeldungen der „ Mann auf der Straße ” in seither erschienenen Kommentaren sich so äußert : „ Ja , Grass hat gesagt , was wir auch sonst wissen und denken . ” Es ist immerhin wichtig zu unterscheiden zwischen den Prominenten - die nun Sturm blasen - und der einfachen Bevölkerung . Laut einer Umfrage unter den Zuschauern von ARD , welche knapp zwei Wochen nach Beginn der Debatte stattfand , stimmten 49 % der Befragten der Israel-Kritik „ vollkommen zu ”.
Und Grass selber zu dem „ Sturmgebraus ”: „ Es ist mir aufgefallen , dass in einem demokratischen Land , in dem Pressefreiheit herrscht , eine gewisse Gleichschaltung der Meinung im Vordergrund steht . ”
Trotz allem Hin und Her , Günter Grass war , ist und bleibt der berühmte Schriftsteller / Nobelpreisträger Grass - und das ist vielleicht gar nicht so merkwürdig .
GK
Was auch einmal gesagt werden soll
Ob das Tun und Sagen von Günter Grass merkwürdig ist oder nicht , will ich letztendlich nicht entscheiden . Es steht mir auch nicht zu , dazu Stellung zu nehmen . Doch beim Lesen des umfangreichen Grass-Materials kommt mir unwillkürlich das Schicksal unserer ungarndeutschen Volksgruppe in den Sinn .
Was wissen wir , besser gesagt : was wissen die jüngeren Generationen der Ungamdeutschen über unsere Geschichte ? Bestimmt einiges , doch bestimmt nicht alles . Sie wissen alles , was man ihnen sagt , was heute schriftlich vorliegt . Und was man nicht sagt , was nicht niedergeschrieben wird ? Ich meine , es ist höchste Zeit , dass auch das - das immer noch Verschwiegene - einmal gesagt werde . Denn gar Manches wird verschwiegen , vieles lückkenhaft oder falsch dargestellt . Wer ist schuld daran ? Die Frage zu beantworten ist nicht einfach , jedenfalls darf man sagen : Wir sel-
( Fortsetzung auf Seite 8 )
1