Sonntagsblatt 3/2012 | Page 21

Zum Ruhepol gelangt

Anmerkungen zu einer Ortsmonografie über die Donauanrainergemeinde Hartau Von Richard Guth
Die jüngste Zeit ungamdeutscher Siedlungsgeschichte ist immer noch Gegenstand von unterschiedlichen Einschätzungen und Schlussfolgerungen , dabei geht es in erster Linie um die Einschätzung der historischen Entwicklung in der Zeit 1867-1918 und der Jahre von Flucht und Vertreibung ( 1945-48 ). Es gibt immer noch Historiker , die die staatlich betriebenen Madjarisierungsbestrebungen in der Doppelmonarchie ignorieren und von einem natürlichen Prozess der Assimilierung sprechen . Das Vorhandensein einer Anpassungsbereitschaft bei den Ungamdeutschen bestreitet wohl keiner - die Frage ist bloß , welchen Gestaltungsspielraum die Angehörige der deutschen Minderheit besaßen , um ihre Identität und Sprache zu pflegen , zu bewahren und an die nachfolgenden Generationen weiterzugeben .
Gerade bei diesem Punkt weist die ansonsten gelungene Monografie „ Németek , helyi társadalom , hatalom . Harta , 1920-89 ” ( Deutsche , lokale Gesellschaft , Macht . Hartau 1920-1989 )* des deutschstämmigen Forschers Franz Eiler aus Soltvadkert noch Potenzial auf . Eiler räumt ein , dass es in der Zeit verstärkt staatliche Madjarisierungsbestrebung gab , die in Hartau dazu führten , dass ab 1907 auch in den protestantischen Schulen der Schultyp C eingeführt wurde , wo lediglich der Religonsunterricht in den zwei letzten Schulklassen ( 5 ./ 6 .) auf Deutsch erteilt wurde , dennoch hätte es keinen Zwang von oben , von der Gemeindeintelligenz gegeben . Dies mag im Falle einer Gemeinde mit protestantischer Bevölkerung in Teilen zutreffend sein , jedoch wissen wir aufgrund der Ergebnisse der historischen Forschung , dass die ungarische Politik der Nachausgleichszeit die Madjarisierung der Minderheiten zum Ziel gesetzt hat . Dabei konnte er sich auf die Unterstützung der örtlichen Vertreter der Obrigkeit , aber auch auf die Katholische Kirche stützen . Es mag eine dramaturgische Funktion besitzen , dass Eiler den Beginn dieses Prozesses des äußeren Drucks in die 1920em verortet , als beispielsweise infolge einer Visitation des evangelischen Bischofs Sándor Raffay im Jahre 1927 , der mehr ungarische Gottesdienste und die Abschaffung des deutschsprachigen Konfirmandenunterrichts forderte , ein offener Konflikt zwischen Bistum und der evangelischen Gemeinde von Hartau ausbrach . Als weiteres Beispiel nennt Eiler das Exempel der Sprache der öffentlichen Verkündigungen : Bis 1922 in deutscher Sprache in die Welt getrommelt erfolgten diese Bekanntmachungen auf Anordnung der Komitatsspitze ab jetzt auf Ungarisch .
Ausführlich schildert der Autor in seiner Monografie die Kämpfe der Deutschen in Hartau in den 1930er und 40er Jahren um ihre verbrieften Rechte hinsichtlich des Gebrauchs der Sprache in der Kirche oder im Bildungswesen . Trotz entsprechender Bemühungen des Volksbildungsvereins und des Volksbundes konnte ab Anfang der 1940er Jahre nur ein kleiner Teil der Hartauer Kinder den Unterricht in der Muttersprache oder zweisprachig genießen - dies scheiterte zum einen an der Halbherzigkeit derjenigen , die die entsprechenden Regelungen hätten umsefzen sollen , zum anderen am Fehlen entsprechend ausgebildeter Lehrkräfte . Die Geschichte der deutschen Selbstorganisation in Hartau stellt Eiler als eine Zeit dar , die die Gemeinde entzweite - dies ist ein Befund , der auf viele ungamdeutsche Gemeinden zutrifft . Dennoch wurden Angebote des Volksbunds ( insbesondere die Vorträge in landwirtschaftlichen Themen ) von vielen Nichtmitgliedern bereitwillig angenommen ; der Bruch erfolgte erst bei der Teilnahme des Völksbundes bei der Zwangsmusterung der Hartauer für deutsche Kampfeinheiten .
Sonntagsblatt
Die Entwicklung in der Zeit von 1945-1948 stellt Eiler als eine der schicksalträchtigsten in der ungarndeutschen Siedlungsgeschichte : Seine Darstellung deckt sich mit Erfahrungsberichten von Zeitzeugen aus anderen Gemeinden . In der Frage der Vertreibung schreibt der Autor von deutlichen Bestrebungen der ungarischen Politik , die „ Schwabenfrage ” radikal zu lösen . Diese Darstellungsweise ist auch heute noch keine Selbstverständlichkeit , wo vielerorts weiter vom „ Potsdamer Diktat ” die Rede ist .
Eiler gibt nach einer ausführlichen Darstellung der Entwicklung in der Zeit zwischen 1920 und 1948 einen Ausblick auf die Jahre in der kommunistischen Ära , in der es den entrechteten , eingeschüchterten und traumatisierten Deutschen allmählich gelang , sich wieder zu integrieren und Flagge zu zeigen . Als wichtigste Schauplätze und Rückzugsgebiete bis in die sechziger Jahre dienten die nun ungarischsprachige evangelische Gemeinde und die „ deutschen ” LPG-Gruppen . Mit der Zeit fanden die Deutschen auch in die lokalen Machtstrukturen zurück und gingen mit den um- und angesiedelten und eingewanderten Madjaren familiäre Bindungen ein . Diese Integration in der eigenen Gemeinde führte , wie in anderen deutschen Gemeinden , zu einem endgültigen Verlust der deutschen Muttersprache : An die Stelle der stark muttersprachenbezogenen deutschen Identität trat eine durch Lokalität und Herkunft bestimmte . So ging eine Phase deutscher Siedlunggeschichte zu Ende und begann eine neue , in der die Koexistenz von Menschen mit komplexen Identitäten im Mittelpunkt örtlicher Gemeinschaften steht . Interessant wäre an dieser Stelle noch ein Ausblick auf die Entwicklung in der Nachwendezeit gewesen , aber in diesem Thema sind Publikationen noch rar .
Fazit : Eine insgesamt wertvolle Ortsmonografie , die auch bei allen Hartau - Spezifika Rückschlüsse auf die Entwicklung in anderen Gemeinden zulässt .
* Ferenc Eiler : Németek , helyi társadalom , hatalom . Harta , 1920-1989 . - Argumentum Verlag Budapest 2011 , 2800 Forint

* Literatur * ßiirlier •

Zu Gast beim Budaörser Stammtisch
Frau Magdalena Haug , hauptberuflich Kauffrau ( Immobilienvermittlung und Projektentwicklung ), Schriftstellerin im Nebenberuf heute wohnhaft in Stuttgart , wurde kurz nach der Vertreibung aus Budaörs ( 1946 ) in Deutschland als Magdalena Elsäßer geboren .
Anläßlich eines Verwandtenbesuchs in Budaörs war sie Gast beim Stammtisch der Deutschen Kulturgemeinschaft Budaörs und las aus ihren Werken , wovon einige eben Geschichten aus Budaörs zum Thema haben oder aus ihrem Lebensweg gegriffen sind , wie eben auch nachstehende Erzählung .

Meine ungarischen Wurzeln

Magdalena Haug
Meine frühesten Erinnerungen an die Heimat meiner Eltern gehen zurück auf eine Bemerkung unserer Nachbarin , die einer anderen Frau erklärte : „ Magda ist ein Flüchtlingskind ”. Ich wusste natürlich im Alter von 4 oder 5 Jahren nicht was ein Flüchtlingskind ist , wusste aber instinktiv , dass es nicht viel Gutes bedeuten konnte . Ein Flüchtlingskind , ein Flüchtlingskind aus Ungarn . Meine Mutter erklärte mir , dass wir keine Flüchtlinge wären , aber aus Ungarn kommen . Die Ungarn haben uns ausgewiesen , weil wir Deutsche sind . Was genau das bedeutete , sollte ich erst viel
( Fortsetzung auf Seite 22 )
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