In vier Arbeitskreisen wurden zentrale Fragen vertieft . Im Arbeitskreis I über " Junge Aussiedler in der Bundesrepublik Deutschland " stellte Reinhard Rajda von der Otto-Benecke-Stiftung besondere Programme für jugendliche Aussiedler , insbesondere in der Sprachförderung vor . Valentin Braun ( Rußlanddeutsche Jugend ) wies darauf hin , daß eine gelungene Integration der Aussiedler durch die oft auf Assimilation gerichteten Erwartungshaltungen in der einheimischen Bevölkerung erschwert werde . Die Integration erfordere aber die Akzeptanz der bikulturellen und billingualen Prägung der rußlanddeutschen Aussiedler und deren Wahrnehmung als kulturelle Bereicherung . Gerade Aussiedler ohne eine solche gefestigte kulturelle Identität liefen Gefahr , gesellschaftlich marginalisiert zu werden .
Der vom Vorsitzenden der AJG , Hans Kijas , geleitete Arbeitkreis II befaßte sich mit dem Thema " Die Deutschen in Oberschlesien- Eine Außenansicht ". Die Publizistin Nicole Veillard aus Bordeaux betonte , daß es für die deutsche Volksgruppe in Oberschlesien notwendig sei , ihr umfassende Möglichkeiten zur Erhaltung und Entfaltung ihrer Identität zu geben . Sie berichtete über die Arbeit der deutschen Freundschaftskreise und deren Einsatz für innerstaatlich gesicherte Volksgruppenrechte . Wichtig sei die Vermittlung guter deutscher Literatur . Im Bereich des Jugendaustausches wurden die zahlreichen Begegnungen dargestellt .
In Arbeitskreis III referierte Oliver Dix über " Chancen und Risiken der NA- TO- Osterweiterung ". Er zitierte Äußerungen des polnischen Ministerpräsidenten Aleksander Kwasniewski : " Polen will in der NATO eine bedeutende Rolle spielen . Wir wissen , daß sich dies nicht einfach aus der Größe unseres Landes , sondern nur aus unserer aktiven Teilnahme an den Aktivitäten der NATO ergeben kann . Polen teilt alle Werte , die dem Bündnis zugrunde liegen- sein Engagement für die Demokratie , die Menschenrechte und die freie Marktwirtschaft sowie seine Überzeugung , daß sich die internationalen Beziehungen am besten mit friedlichen Mitteln regeln lassen ."
Ebenso machte Dix auf Aussagen des tschechischen Präsidenten Vaclav Havel aufmerksam : " Was unmittelbar drohende Sicherheitsgefahren betrifft , so scheint es nun nicht mehr wahrscheinlich , daß Europa wie noch im Kalten Krieg von einem enorm großen strategischen Feind bedroht werden kann . Im Gegenteil , die Ukraine und Rußland haben ihre totalitären Herrschaftssysteme abgeschafft und entwickeln sich nun zu Partnern der NATO ." Der Wunsch der östlichen Nachbarn nach einer Einbindung in die westlichen Sicherheitsstrukturen sei verständlich , so Dix , es gehe aber auch darum , im Rahmen der Beitrittsvcrhandlungen zur NATO wie auch zur Europäischen Union deutliche Signale zu setzen , indem sich die Nachbarn zur Verantwortung für Flucht und Vertreibung bekennen und gesicherte Volksgruppenrechte für die Deutschen schaffen . Ebenso gelte es , zu konstruktiven Formen der Verwirklichung des Rechtes auf die Heimat zu finden .
In dem von Markus Patzke geleiteten Arbeitskris IV sprach Oberschulrat Karlheinz Lau aus Berlin über " Ostdeutschland , seine Kultur und Geschichte in Lehrplänen und Schulpraxis ." Lau machte deutlich , daß die Heimatgebiete der Vertriebenen seit " 700 bis 800 Jahren Teil der deutschen Geschichtslandschaft " seien . " Das muß im Unterricht in der Schule und Universität vermittelt werden ." Ebenso gelte es , deutlich zu machen , daß die Vertreibung der Deutschen ein Unrecht an den betroffenen Menschen sei . Man solle , so Lau , nichts unversucht lassen , um dies in die inhaltliche Gestaltung der Lehrpläne einzubringen . " An der Schwelle zum 21 . Jahrhundert wird die bewußtseinsmäßige Distanz zu den Vertreibungen am Ende des Zweiten Weltkrieges mit Sicherheit wachsen , zumal die Zahl der Zeitzeugen immer geringer wird ."
In einer von Bernd Kallina vom Deutschlandfunk in Köln moderierten Podiumsdiskussion " Vertriebencnfragen in der Öffentlichkeit " diskutieren Hans- Jürgen Leersch ( Münchner Merkur ), Charlotte Groh und Nicole Veillard über die Darstellung der Anliegen der Vertriebenen . Die Diskutanten reflektierten die Ursachen der mangelnden Präsenz der Vertriebenen und ihre Anliegen in der veröffentlichten Meinung . Sie merkten kritisch an , daß auch die Vertriebenen sich auf die Mechanismen eines zunehmend am " Unterhaltungswert " orientierten Informationsmarktes einstellen müßten , wenn sie ihre Medienpräsenz verbessern wollten .
Am zweiten Tagungstag sprach Professor Dr . Manfred Wilke vom Forschungsverbund SED-Staat an der Freien Universität Berlin über " die Aufarbeitung der zweiten deutschen Diktatur und die Rückgewinnung deutscher Identität ". Wilke , der auch der Bundestags-Enquete-Komission zur DDR-Geschichte angehört , machte auf die mangelnde Verankerung der deutschen Teilung über Jahrzehnte und ihrer Folgen in der kollektiven Identität insbesondere der Westdeutschen aufmerksam . Die Hypotheken der SED- Herrschaft seien noch lange nicht aufgehoben , und oft werde übersehen , daß die j SED den Umbruch von 1989 / 90 geschickt überstanden und auch in neuer Form ihren politischen Gestaltungsanspruch nicht aufgegeben habe .
BdV-Präsidentin Erika Steinbach stellte in ihrem abschließenden Vortrag klar : " Das Problem der deutschen Vertriebenen ist kein isoliertes Relikt der Vergangenheit . Vertreibung und " ethnische Säuberung " waren , sind und bleiben leider wahrscheinlich so lange eine Form des " Umgangs " der Völker und Staaten miteinander , wie die Staatengemeinschaft nicht wirklich ernst macht mit der Abstrafung der Täter und der Wiedergutmachung für die Opfer . Wer Vertreibungen geschehen läßt , beschweigt und schließlich ihre Folgen mit Brief und Siegel sanktioniert , bereitete neuen Vertreibungen den Weg ."
Die BdV- Präsidentin erinnerte daran , daß der kroatische Präsident Tudjman unverblümt erklärt habe , eine Rückkehr der Krajina- Serben komme genausowenig in Frage wie eine Rückkehr der Sudetendeutschen in ihre Heimat . Tudjman habe dafür ein tschechisches Beispiel gehabt : " Man werfe eine alteingesessene Bevölkerung aus ihrer Heimat hinaus , lasse darüber einige Jahrzehnte vergehen und dann unterzeichne man in einer geschichtsvergessenen Umwelt hohle " Schlußstrich " - und " Versöhnungs " -Erklärungen über die Köpfe der Opfer von früher hinweg ." Das dürfe kein Modell für die Zukunft sein .
Steinbach kritisierte Defizite in Bildungswesen und Medienwirklichkeit hinsichtlich der Vermittlung von Kenntnissen über die Geschichte und Kultur der Vertreibungsgebiete , der Vorgeschichte , des Ablaufs und der Folgen der Vertreibung und der Ausbauleistung der Vertriebenen in Nachkriegsdeutschland . Sie rief die Teilnehmer des Kongresses dazu auf , den Jugendaustausch zu festigen und sich in die Arbeit des BdV einzubringen .
In seinem Schlußwort forderte Oliver Dix dazu auf , sich von Rückschlägen und Fehlentwicklungen nicht entmutigen zu lassen : " Packt tatkräftig mit an bei den Herausforderungen , vor denen die deutschen Vertriebenen , die Aussiedler und die Landsleute in der Heimat stehen . Laßt uns eine feste Solidargemeischaft sein , die konstruktiv die Zukunft mitgestalten will ."
( DOD )
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