Ein schlechtes Modell : Minderheit ohne eigene Sprache
Ein schlechtes Modell : Minderheit ohne eigene Sprache
Im Volkskundemuseum in Budapest fand vor einigen Monaten eine Konferenz von Sprachwissenschaftlern und Volkskundlern unter dem Titel “ Nationalitäten-Muttersprache-Volkskultur-Identität ” statt . Die Volkstumsexperten aus Ministerien und Universitäten befaßten sich also wieder einmal mehr mit uns , mit den Minderheiten . Spitze Zungen spötteln ja , daß unser Fortbestand schon deshalb gesichert werden müsse , damit den vermeintlichen Minderheitenexperten ihre Forschungsthemen nicht ausgingen . Ich vermute , die ganz Hartnäckigen werden auch dann noch über die Identität der Ungarndeutschen Aufsätze verfassen und Konferenzen veranstalten , wenn auch der letzte Ungarndeutsche schon längst in den schwäbischen Himmel eingegangen sein wird . Auch Dr . Ernő Eperjessy dürfte mit einer solchen Forschernatur gesegnet sein . Er verkündete auf der Tagung die für die in Ungarn lebenden Minderheiten passende Botschaft . Sein Postulat : Die Sprache sei nicht so wichtig , eine Minderheit könne auch ohne ihre Sprache weiter existieren ! Da haben wir es nun ! Wir bemühen uns , damit wir unser wichtigstes kulturelles Erbe , die deutsche Sprache , doch noch erhalten können , und nun erfahren wir , daß dies keineswegs als unerlässliche Bedingung für unseren Fortbestand als Nationalität nötig wäre . Dr . Eperjessy meint auch mit zwei Beispielen aus dem angelsächsischen Bereich seine These belegen zu können : Er verweist auf die Iren und die Schotten . Die Iren und die Schotten hätten keine eigenständige Sprache mehr und pochten doch auf ihre Eigenständigkeit , so seine Beweisführung . Dazu ist zu bemerken , daß dies vordegründig zwar stimmen mag , nur gibt es einen entscheidenden identitätstiftenden Unterschied zwischen Iren und Schotten und uns Ungarndeutschen . Während wir weit über das Land verstreut siedeln , und niemals eigenständige staatsrechtliche oder auch nur verwaltungsrechtliche Einrichtungen hatten über die wir autonom verfügen konnten , leben die genannten Völker in fest umrissenen geographischen Räumen . Die Iren in ihrem , für ihre irische Identität eminent wichtigen , eigenständigen Staat und die Schotten genießen eine weitgehende föderative Autonomie mit regionalem Parlament und anderem mehr . Beide treten bei internationalen Sport- und Kulturveranstaltungen als eigenständige Volksgemeinschaften mit eigenen Flaggen und Hymnen auf , wenn gleich Englisch ihre dominierende Sprache ist . Solche entscheidende identitätstiftende Faktoren konnten bei uns Ungarndeutschen historisch bedingt nie zum tragen kommen . Deshalb können die Iren oder die Schotten für uns kein Trost sein . Genau so gut könnte man auch die Amerikaner aufzählen . Auch sie sprechen die gleiche ( nicht eigenständige )
Sprache . Es sollte nicht verkannt werden , daß bei der Herausbildung einer Gruppenidentität die zahlenmäßige Stärke - die Qualität - der Gemeinschaft einen nicht zu unterschätzenden Faktor für die Entstehung und für den Erhalt eines Gruppenbewußtseins bildet . Die Quantität der Gruppe wird zum qualitätsbestimmenden Bewußtseinsfaktor . Dies gilt auch in umgekehrter Relation . Je kleiner die Gruppe , umso negativer wirkt sich die geringe Größe auf das Bewußtsein aus : Das Gefühl der Vereinsamung und der Isolierung . Und umso wichtiger wird in einer kleinen Gemeinschaft der Besitz der eigenen Sprache . Der größenbedingte Bewußtseinseffekt auf die Identität eines Volkes dürfte bei uns Ungarndeutschen eher negativ gewesen sein . Bei den von Dr . Eperjessy angeführten Völkern ( und bei den Amerikanern erst recht ) aber erheblich positiv . Die vergleichenden Betrachtungen von Dr . Eperjessy über Nationalität-Identität-Muttersprache blenden die völlig anderen historischen Zusammenhänge und Hintergründe bei den ungarländischen Minoritäten und bei der angelsächsischen Sprachgemeinschaft gänzlich aus . Wie wohl die ungarischen Minderheiten in unseren Nachbarländern auf eine so durchsichtige Vertröstung , “ der Sprachverlust sei noch kein Untergang ”, im Falle eines angenommenen Sprachverlustes antworten wür- I den ? Soll auch für sie die bunte Vorzeige- I tracht und der musealisierte Volkstanz als | Identitätsubstanz - wie für uns von Dr . 1 Eperjessy impliziert - ausreichend sein ? Wohl kaum , Für uns auch nicht !
Dr . Johann Till
Lebhafte Befürwortung . - Möge er seine Rede fortsetzen .)
Vor ungefähr sieben Jahren hielt Graf Albert Apponyi im Kreise des Budapester Sankt-Emmerich-Kollegiums eine Rede über die ungarische Nationalitätenpolitik , über die Vergangenheit und Gegenwart dieser Politik . Ich bitte zu gestatten , daß ich daraus einige Sätze vorlese : “ Aus diesem Grunde müssen wir den in Rumpfungarn befindlichen wenigen Nichtmadjaren gegenüber jene Politik einschlagen , die wir dem von uns abgetrennten Madjarentum gegenüber eingeschlagen wissen wollen . Jede Empörung , welche die Unterdrückung des Madjarentums in den Nachbarstaaten bei uns auslöst , jeder Wehschrei , jede noch so berechtigte Beschwerde dieser unserer Brüder wird selbstverständlich in seiner moralischen Kraft zusammenbrechen , wenn man sich darauf berufen kann , Ungarn behandle seine fremdsprachigen Bürger ebenfalls nicht anders .
Dies ist eine solche auf der Hand liegende Wahrheit , daß sich nur eine an Unzurechnungsfähigkeit grenzende Kurzsichtigkeit dieser Erkenntnis verschließen könnte . Die Verordnungen der Regierung sind in dieser Beziehung richtig und einwandfrei , nur muß mit größter Energie die genaue Durcführung derselben an den Peripherien gefordert werden ."
Diesen Worten des großen ungarischen Staatsmannes fügen wir nur soviel hinzu , daß wir nicht auf das Diktat von Trianon , nicht auf Genf , nicht auf den Pazifismus und Internationalismus , sondern auf den historischen Genius , auf das politische Ingenium der ungarischen Nation und auf jene nie erlöschende und über jeden menschlichen Willen und jede menschliche Entschließung erhabene Schicksalsgemeinschaft bauen , die Deutschtum und Ungartum hier im Donaubeckern und draußen in der europäischen Politik aufeinander anweist und zueinander zwingt . Dringend bitten und fordern wir von der ungarischen Regierung und von der ungarischen Gesellschaft , daß ungarländische Deutschtum in seinen rein sprachlichen und kulturellen Wünschen zufriedenzustellen . Es ist unsere heilige Überzeugung , daß das Ungartum nicht nur dem Deutschtum eine menschliche Wohltat erweist , sondern zugleich jene Grundlage einer Poli- ; tik schafft , die allein diese Nation und dieses Land wieder groß machen wird .
In unseren schweren seelischen Kämpfen , in unserem Ringen zwischen Recht und Pflicht , wenden wir uns an die j christlich und gerecht denkenden und fühlenden wahren Ungarn mit den Wor- j ten des Evangeliums : " Was du nicht willst , daß man dir tu , daß füg auch keinem anderen zu !" ( Bajcsy Zs . E .: Er mißbraucht unsere Galanterie !)
Dieses glaubte ich meinem Pflichtgefühl zufolge pflichtgemäß der sehr geehrten Regierung und dem Hohen Haus zu unterbreiten , pflichtgemäß dieses offen und ehrlich dem Forum der Nation vorzulegen .
Ich nehme das Budget an . Meine weiteren politischen Entschließungen aber muß ich davon abhängig machen , zu welchen Taten sich die Regierung in dieser Frage entscheiden wird . ( Bajcsy-Zs . E .: Die Gömbös -Regierung schwankt . Wir tun gut , wenn wir aufpassen !)
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