Sonntagsblatt 2/2024 | Page 19

fand mit diesem Buch ihre Krönung . Es wurde herausgegeben vom Verlag “ Unsere Post ”, ( UP ) Stuttgart . Die UP ist auch die Heimatzeitung der Deutschen aus Ungarn . Es war seinerzeit bahnbrechend und eines der ersten Heimatbücher überhaupt .
“ Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne ”. ( Hermann Hesse ). Der Jahreswechsel ist ein guter Moment , einmal zurückzudenken auf das verflossene Jahr , aber auch nach vorn zu blicken . Was wird uns das neue Jahr bringen ? Das Gefühl , wieder neu anfangen zu können ! Die Chance , manche Dinge anders machen zu dürfen , dem Leben eine andere Richtung zu geben und die Hoffnung , dass alles besser wird ! Zum ersten Mal im Leben spüre ich diesen Zauber des Jahreswechsels . Wie wird meine Lehre weitergehen ? Was werde ich im Sport bewegen können ? Was kann ich zur Kulturgestaltung beim Budaörser Heimatkomitee beisteuern ? Was wird sich noch ereignen in unserer Familie , im Land und auf der Welt ?
Am Sonntag , den 16 . Januar 1955 bescherte der Männergesangverein Neuhausen e . V . seinen Mitgliedern und Gönnern ein traditionelles Theatererlebnis im Saalbau in Neuhausen : Margit , das Köhlerkind . Mit guter Übersicht von der Galerie aus wartete ich gespannt , bis das “ Theater ” begann . Doch plötzlich vergaß ich alles um mich her . Einziger Blickpunkt meines Interesses war ein bildhübsches Mädchen , das mit damenhafter Anmut den Saal betrat . Sie trug reizvoll ein hellblaues “ Eva -Bartok-Hütchen ”. Ja , es war dieses kleine süße Mädchen , das mich am Dienstag , den 31 . August 1948 im Schwimmbad in Neuhausen faszinierte . Spontan drehten sich alle Männerköpfe in die gleiche Richtung . Es war Sieghilde Fingerlin . Ein Name wie Frühlingsmusik . Sie war umschwärmt von jungen Männern . Öfters schlich ich in der Lindenstr . 20 um ihr Haus herum . Nur ihr Vater montierte in der Autoeinfahrt an seinem Lastkraftwagen . Von Sieghilde war keine Spur . Ihren Vater Emil traute ich mich nicht anzusprechen , um nach ihr zu fragen .
Endlich konnte ich ihr von unserem “ Schwabenball ” in Ludwigsburg erzählen und ich fand dabei sogar den Mut , sie zu diesem Fest der Ungarndeutschen Landsmannschaft einzuladen .
Mit leichtem Erröten ließ sie meine Einladung an sich mit einem gehauchten “ Nein ” abgleiten ... Als wir beim Cafe Freisler am Sulzbach und am Nepomuk-Denkmal vorbeikamen , lud ich sie zu einem Getränk ein . Das zweite “ Nein ” entmutigte mich keinesfalls und ich benutzte es als Zwischenschritt meiner weiteren Bemühungen . Zu einem dritten “ Nein ” kam sie nicht . Also fuhren wir am Samstag , den 22 . Januar 1955 mit dem Bus nach Bernhausen . Die “ Blaue Grotte ” empfing uns mit gedämmtem Licht und mit gefühlvoller Tangomusik . Auch Sieghilde hat sich gleich wohlgefühlt . Meine Wahl ein Volltreffer . Nachträglich bekenne ich : Meine Erzählungen waren schon gewissermaßen darauf abgezielt , dass Sieghilde mich als Partnerin zum Schwabenball begleitet .
Wir kamen uns durch die intensiven Gespräche naher : Ich fühlte mich zu ihr hingezogen und küsste sie ganz zart zuerst nur auf die halben Lippen und merkte , dass ihr das gefiel .
Viele Jahre später schwärmte sie von diesen Küssen : “ Das hat mir gefallen ”. Den Schluss in der “ Blauen Grotte ” merkten wir erst als uns fast die Stühle weggezogen wurden . Es war kurz nach zwei Uhr und wir traten zu Fuß den Weg nach Neuhausen an . Auf dem Heimweg flüsterte mir Sieghilde ins Ohr : “ Ich hab ‘ dich so lieb ”… 4.30 Uhr klingelte Sieghilde und ihre liebe Mutter öffnete ihr die Tür . Wie ein scheues Reh huschte sie ins Haus . Ich stand da glücklich wie noch nie .
Gleich am Montag , den 24 . Januar 1955 realisierte ich
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Punkt 2 meines Planes : Einladung an Sieghilde , unser Training im Zweier-Kunstradfahren mit Ernst Schmidt im Saalbau in Neuhausen zu besuchen und zu beobachten . Natürlich war sie von unserer Radfahrkunst und von unserer Geschicklichkeit bei der Ausführung unserer Kunstfiguren sehr angetan - sie konnte ja alles aus nächster Nähe betrachten .
Und so übte ich mich in der Kunst der “ kleinen Schritte ”, nämlich mit Fingerspitzengefühl und zielsicher die richtige Zeiteinteilung zu Punkt 3 meines “ Eroberungsplanes ” herauszufinden . Ziel war die Zusage von Sieghilde , den Schwabenball der Ungarndeutschen Landsmannschaft in Ludwigsburg am 29 . Januar 1955 mit mir zu erleben .
In der Stadthalle in Ludwigsburg angekommen - da staunte Sieghilde sehr , denn einige tausend ungarndeutsche Landsleute hatten sich dort zusammengefunden . Die Stadthalle war ausgebucht . Der Schwabenball ist kein gewöhnlicher Faschingsball , sondern eine Bekundung der Zusammengehörigkeit aller Ungarndeutschen ohne Unterschied der sozialen Herkunft und das Bekennen zu Volkstum und Trachten .
Zur großen und freudigen Überraschung von Sieghilde kamen der baden-württembergische Ministerpräsident , Dr . Gebhard Müller , und sein Innenminister , Fritz Ulrich , auch zum Schwabenball . Vom Kranz der schönen ungarndeutschen Trachten sichtlich beeindruckt , erklärte der Ministerpräsident , noch nie habe er solch ‘ schöne Trachten gesehen . Darum sei es Pflicht der deutschen Vertriebenen aus Ungarn , an den Trachten festzuhalten . Und nun kam unser großer sportlicher Auftritt : Ernst Schmidt und ich zeigten unseren Kunstradfahrer-Zweier-Reigen mit dem Höhepunkt unserer Darbietung nämlich den Kopf auf Kopfstand auf dem Fahrrad und von mir den Abgang mit einem Freisalto .
Und so hoffte ich , durch unser Erlebnis beim Schwabenball Sieghilde wieder ein bisschen nähergekommen zu sein . Sie ist ein reizendes Schwabenmädle und ich bin ja immerhin ein Donauschwabe .
Meine positive Einstellung und Einschätzung in dieser Hinsicht bestätigten sich dann auch , nämlich am Donnerstag , den 31 . 03 . 1955 : Mein Zeugnis in der schriftlichen ABSCHLUSSPRÜFUNG zum Industriekaufmann : “ sehr gut ” mit einer Durchschnittsnote von 1,3 . Somit erzielte ich in Baden-Württemberg die drittbeste Note und erhielt von der Kaufmännischen Berufsschule für Jungen in Stuttgart einen Preis : ein Buch “ BERTELSMANN WELT- ATLAS ”. Und am 13 . April 1955 kam dann auch schon die Einladung der Industrie- und Handelskammer Stuttgart zur mündlichen Prüfung . Als sie von mir die kaufmännische Kalkulation wissen wollten , fragte ich : “ Meinen Sie die Großhandels-Kalkulation oder die “ Fabrik-Kalkulation ?” Die Prüfer blickten sich vielsagend an . Ohne ihre Antwort abzuwarten , erklärte ich beide Kalkulationen . Es war anzunehmen , dass sie auf eine gute Benotung zusteuerten , denn dann kam die Frage nach der Hauptstadt von Albanien . Die letzte Frage lautete : “ Was verstehen Sie unter KOEXISTENZ ?” Meine Antwort : “ z . B . das friedliche und prosperierende Zusammenleben von zwei Staaten ”. Und wie ich geahnt hätte , was die beiden hören wollten , fügte ich noch hinzu : “ z . B . zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik ”. Überzeugt von dieser Feststellung war ich allerdings nicht .
Nun war ich also ein Industriekaufmann . Was erwartet mich in diesem Beruf ? Wie werde ich das Gelernte in der Praxis optimal einsetzen können ? Werde ich den an einen Kaufmann gestellten Anforderungen gewachsen sein ?
Ende Teil 2
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