Sonntagsblatt 2/2024 | Page 18

IM TRUBEL DER GESCHICHTE

ERINNERUNGEN EINES HEIMATVERTRIEBENEN AUS WUDERSCH
Bearbeitet von Martin Szanyi
Diese Zeilen geben Einblick in das Leben eines Mannes , der die Wechselfälle des 20 . Jahrhunderts miterlebt hat . Es ist interessant zu beobachten , wie sich Kindheitserinnerungen mit rückblickenden Momenten des Erwachsenwerdens vermischen . Geschichte nicht aus der Vogelperspektive , sondern Momente der Selbstfindung oder eben auf dem Fußballplatz ! Diese Ausschnitte aus seinem Leben sind wie ein Fenster in eine Vergangenheit . Es geht um Auszüge aus den Erinnerungen des aus Wudersch / Budaörs stammenden Industriekaufmanns Norbert Riedl , der in Neuhausen auf den Fildern heimisch wurde . Der Name Riedl dürfte vielen von uns wohlklingen , hatte sich der Heimatforscher Dr . Franz Riedl , der Vater von Norbert , doch um die Heimatforschung und die Pflege der Kontakte – also um die Heimatverbliebenen insgesamt – ebenso verdient gemacht .
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Der „ geistige Spaziergang “ geht weiter . Der Wuderscher , der sich in Neuhausen in Deutschland niedergelassen hat , baut sein Leben auf . Dieser Teil erzählt , wie er die wichtigsten Dinge in seinem Leben ( wieder ) gefunden hat .
Montag , der 1 . Mai 1950 Schon um 6.00 Uhr in der Früh schnappte ich meine Ziehharmonika “ Hess Klingenthal “ und weckte meinen Freund Walter . Überall grünte und blühte es . Spontan kam mir das Musical “ My fair lady ” in den Sinn : Es grünt so grün , wenn Spaniens Blüten blühn ”. Wir sind zwar nicht in Spanien , sondern in Neuhausen und Umgebung . Hier verbreiten die ausgedehnten Frühlingswiesen eine Naturpracht besonderer Schöpfung mit berauschenden Blütendüften .
Die Bäume standen dort in ihrem schönsten Blütengedicht . Alles war friedlich . Die Apfelblüten in Rot und Rosa entfachten mit dem Weiß der Birnenblüten den reinsten Naturfarbaustausch oder sogar Wettbewerb . Und immer wieder spielte ich den Kuckuckswalzer auf meinem kleinen Akkordeon . In Wolfschlugen , wo die “ Hexenbanner ” wohnen , beendeten wir unseren 1 . Mai-Ausflug mit einer kleinen Einkehr mit Limonade . Meine Eltern freuten sich sehr , dass ich so musikalisch war und dass ich so fleißig mit meinem Schifferklavier spielte . Und zu meiner großen Freude kauften sie mir ein Akkordeon HOHNER VERDI IA . Der stolze Preis DM 320,00 . Da hieß es natürlich noch fleißiger zu üben , und Otto Altenburger lehrte mich , auch nach Noten zu musizieren .
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In dieser Zeit war es sehr schwierig , eine Lehrstelle zu bekommen . In der Beratungsstelle des Arbeitsamtes in Stuttgart hieß es für mich : “ Hände weg vom Kaufmann !” Man gab mir zwar zwei Adressen zur Vorstellung , aber ich durfte den Firmen nicht sagen , dass ich vom Arbeitsamt komme . Im krassen Gegensatz zu dieser Aussage habe ich dann im Jahre 1955 meinen Industriekaufmann mündlich und schriftlich mit “ sehr gut ” abgeschlossen ! Davon später mehr ! In der Übergangszeit arbeitete ich von Anfang September bis Ende Dezember 1950 bei der Firma EBERSPACHER in Esslingen-Oberesslingen . Halb Auszubildender , halb Laufbursche war ich in der “ Blechabteilung ” in der Stanzerei , Zuschneiderei und im angeschlossenen Lager beschäftigt . Bemerkenswert hierzu : Mein Nebensitzer in der Georgii-Oberschule , Hans Eberspächer , wurde nach seinem Studium Geschäftsführer im Familienbetrieb I . Eberspächer . Weil ich zum Vesper öfters auch Paprika dabei hatte , wurde ich von einigen Arbeitskollegen auch ““ Paprik ” genannt . Und in dieser Zeit spielte ich zum ersten Mal in einem Verbandsspiel in der 1 . Fußballmannschaft von Neuhausen ausgerechnet gegen Oberesslingen . Einer meiner Arbeitskameraden und Fan vom VfB Oberesslingen sagte zu mir , als er erfuhr , dass ich als Rechtsaußen aufgestellt war : “ Mein lieber Paprik , da schießt ihr kein Tor !” Wir schossen vier Tore und gewannen am Sonntag , den 19.11.1950 in Oberesslingen mit 4:3 !
Am Montag , den 5 . Februar 1951 begann für mich auf Vermittlung von Herrn Karl Fahlbusch eine interessante Arbeit bei der “ Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft ” in der Fabrik Stuttgart-Bad Cannstatt . Meine Aufgabe als “ Sachbearbeiter ” für die Hauspost und als “ Laufbursche ” bestand aus folgenden zu erledigenden Arbeiten : Verteilen der gesamten Hauspost von Abteilung zu Abteilung aller Büros und auch der technischen Abteilungen , also Werkstätten und Meisterstellen aller Fertigungshallen . Auch besorgte ich verschiedene Einkäufe mit dem Fahrrad , so z . B . die Medikamente für den Betriebssanitäter , Herrn Rettstatt .
Am Montag , den 16 . April 1951 war für unsere Familie ein besonderer Tag : Einzug in unser Siedlungshaus in die Lenaustraße 5 in Neuhausen . In der “ Fronackersiedlung ” in Neuhausen begann für uns ein neuer Lebensabschnitt . Von der Württ . Landessiedlung GmbH Stuttgart , Weimarstraße 25 erwarben wir im Rahmen eines Kaufvertrags folgende Immobilie : Wohnhaus ( Doppelhaushälfte ) mit Hofraum , Schuppen , Gemüsegarten , Herd , 325 Quadratmeter Grundstück .
Schwabenball der Ungarndeutschen in der “ Neuen Heimat ” am Sonntag , den 10 . Februar 1952 in der Stadthalle in Ludwigsburg . Die Ungarndeutsche Landsmannschaft in Württemberg-Baden e . V . organisierte den 1 . Schwabenball nach dem Krieg in Deutschland . Der große Saal der Ludwigsburger Stadthalle bildete eine repräsentative Kulisse und war bis zum letzten Platz besetzt . Es strömten mehr als 2500 Landsleute und einheimische Freunde aus allen Gegenden herbei . Freudige Wiedersehens-Szenen spielten sich ab .
Die größte Freude bereiteten vor allem die 60 Trachtenpaare . Sie bescherten eine vielfältige Farbenpracht . Eine großartige Stimmung kam auf , als die Trachtenträger / Innen in den festlich geschmückten Saal zu den Klängen des “ Prinz Eugen-Marsches , komponiert von Andreas Leonhardt , einzogen . Die Heimat-Blaskapelle unter der Leitung von Franz Landauer spielte diesen Einzugsmarsch so schmissig , dass es die Besucher des Balls von den Sitzen riss !
Mit besonderer Heimatliebe zu seinem Budaörs , in der Mundart Wudersch genannt , hat mein Vater mit seinem Wissen und seiner Erfahrung als Erlebnisträger das “ Budaörser Heimatbuch ” zusammengestellt . Die Erfahrungen , die er bei der Ausarbeitung seiner Doktorarbeit mit dem Dissertationsthema “ Formenlehre der deutschen / mittelbayerischen Mundart - auf Ungarisch “ A BUDAÖR- SI NÉMET KÖZÉPBAJOR NYELVJÁRÁS ALAKTANA ” - gewonnen hat , konnte er bei der Gestaltung zweckdienlich nutzen . Seine jahrelange heimatgeschichtliche Arbeit
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