Sonntagsblatt 2/2023 | Page 36

und erreichen . Deshalb ist es auch schwer , in einer deutschen Nationalitätengrundschule die ungarndeutschen Bräuche zu vermitteln . Bei uns in unserer Region sprechen leider nur wenige Menschen eine Mundart . In den Siedlungen , wo es keine Aussiedlung gab , sprechen auch noch Jugendliche „ Schwäbisch ”. Ich kenne und singe nur Volkslieder in dieser Sprache , aber es ist immer gut , jemanden eine Mundart sprechen hören .
SB : Mit welchen Herausforderungen , falls , habt ihr im Verein zu kämpfen ?
Gábor Balog : Meiner Meinung nach hat ein Verband nur eine Herausforderung zu bewältigen , nämlich , dass unsere Mitglieder ein gemeinsames Ziel sehen und danach handeln ; sie müssen sich das Ziel des Vereins zu Eigen machen . Wenn dies der Fall ist , dann muss die Führung des Vereins nur die Mitglieder motivieren und das Ziel im Auge behalten .
Richárd Tálas-Tamássy : Wir sind Erwachsene , wir haben Familien und arbeiten auch . Musikspielen ist nur ein Hobby für uns . Es ist nicht einfach , dass wir uns für die Proben und Auftritte Zeit nehmen und das dann allen passt .
SB : Wie seht ihr die Zukunft des Ungarndeutschtums ?
Sonja Földházi : Die alten Sachen , die ehemalige Familiensprache – in erster Linie Deutsch - und die Traditionen sind heutzutage nicht besonders wichtig und beliebt . Für die jüngere Generation können sie kein Erlebnis bedeuten . Sie will sich eher mit den neuen Dingen beschäftigen . Für diese Generation bieten diese Programme keine Unterhaltungsmöglichkeiten mehr . Allein mit den Bällen kann sie sich identifizieren . Ein kleiner Kreis in dieser Minderheit soll die Bräuche weitergeben und die Traditionen bewahren . Unsere Aufgabe ist , dass wir diese Minderheit und ihre Sitten weiterleben lassen und an die nächsten Generationen weitergeben . Man muss eine jugendbezogene Strategie aufbauen , andernfalls werden die ungarndeutschen Traditionen verschwinden und diese traditionsreiche Minderheit voller kultureller Werte wird aussterben .
Anna Bálinger : Ich bin optimistisch . Im Kreis der Jugendlichen ist die Traditionspflege cool , wie ich sehe . Ich hoffe , es wird noch besser . Wir haben noch viel zu tun , aber es gibt noch Hoffnung . Es leben noch ältere ungarndeutsche Männer und Frauen unter uns , deren Erinnerungen und Bräuche wir noch sammeln sollten .
Franz Holczer : Wir sind Deutsch-Ungarn , also versuchen wir , die Traditionen aufrechtzuerhalten und an unsere Kinder weiterzugeben .
Richárd Tálas-Tamássy : Ich denke , dass die Ungarndeutschen und anderen Nationalitäten in den letzten zehn Jahren viel mehr Unterstützung erhalten haben als zuvor . Nicht überall kann man alle Traditionen wie die schwäbische Mundart vollständig bewahren , aber die Möglichkeit dazu ist auf alle Fälle da .
SB : Vielen Dank für das Gespräch !
Das deutschsprachige Gespräch führte Richard Guth .

„ SOLANGE ICH IDEEN HABE , MA- CHE ICH MIR KEINE SORGEN “

Interview mit der ungarndeutschen “ Marlene Dietrich ”
Ildikó Frank , ihr Name ist für alle im ungarndeutschen Kulturkreis bekannt . Manche kennen sie von den „ Koffermärchen “, einige haben sie beim „ Marlene-Dietrich-Abend “ gesehen oder werden auf ihren Namen durch „ Theater Jetzt Pécs “ aufmerksam . Sie war von 2004 bis 2017 Intendantin der Deutschen Bühne Ungarn in Seksard . Jetzt ist sie freischaffende Schauspielerin . Ihr letztes Theaterstück , das hier im Nationaltheater in Budapest aufgeführt wurde , war der “ Schleier ”. Ihre Schauspielkunst auf der Bühne hat mich gefesselt und am Ende konnte ich meine Faszination von ihrer Schauspielerei kaum in Worte fassen . Ich war sehr beeindruckt von der Darstellung . Im “ Schleier ” schlüpft sie in die Rolle einer drogensüchtigen Mutter und zeigt deren ständigen täglichen Kampf gegen ihre Sucht . In meinem Interview möchte ich hinter die Kulissen blicken und Ildikó Frank über ihre jetzigen und zukünftigen Pläne befragen .
_______________________________________
SB : Wie kannst du dich immer so gut mit deinen Rollen identifizieren ? Wie soll sich der Laie deine Vorbereitung auf die Rolle in “ Schleier ”, “ Bündeltanz ” oder “ Marlene Dietrich ” vorstellen ?
IF : Der Ausgangspunkt ist meistens der Text , der gelernt werden muss . Das verlangt jeden Tag
36 mehrere Stunden Beschäftigung . Während ich versuche , den Text in meinen Kopf zu kriegen , beschäftige ich mich automatisch mit den Gedanken und Gefühlen der jeweiligen Person . Es ist ein komplexer Prozess , die Figur kennen zu lernen , und läuft parallel mit dem Text-Lernen . Je mehr man die Figur versteht , desto besser kann man sie vermitteln . Und das verlangt wirklich viel Übung und Beschäftigung . Und dafür braucht man Zeit . Nicht umsonst probt man ein Stück 4-6 Wochen lang zweimal vier Stunden am Tag . Wenn man an einem Solostück arbeitet , sieht es etwas anders aus : Das kann man nicht acht Stunden , höchstens sechs Stunden am Tag proben . Mehr geht nicht - man ist allein auf der Bühne und Energie und Konzentration haben ja auch ihre Grenzen . Aber in Gedanken ist man auch nach den Proben beim Stück - ganze 24 Stunden . So gelingt es dann nach einer Zeit , dass man sich mit der Rolle identifiziert . Natürlich hat man nicht immer genauso viel Zeit für die Vorbereitung . Im Dezember und Januar hatte ich Glück : Ich durfte mich gänzlich meiner „ Schleier-Geschichte “ widmen . Ich habe mir z . B . eine tägliche Routine aufbauen können , die folgenderweise aussah : um 6 Uhr aufstehen , von 7 bis 9 Uhr Text lernen , dann ab zur Probe und am Abend wieder Text lernen . Man muss also wirklich die Zeit haben , um sich mit einer Rolle auseinandersetzen zu können .
SoNNTAGSBLATT