Sonntagsblatt 2/2023 | Page 31

genommenen Schüler hinter Fünfkirchen an der zweiten Stelle stand . 1971 wurde der Muttersprachunterricht auch im Kindergarten eingeführt und daraufhin wurde die Schule offiziell zu einer Einrichtung mit deutschem Nationalitätenunterricht . In den 1970er Jahren begann die Sammlung von alten Gegenständen der traditionellen deutschen Kultur , die dann 1983 im feierlich übergebenen Dorfmuseum ausgestellt wurden . Diese Initiativen bilden ein festes Fundament und haben eine entscheidende Wirkung auf die weitere Zukunft .
Auf die Gemeinschaftsstruktur des Dorfes wirkte sich aber in den letzten Zeiten neben den Mischehen und der Landflucht auch der Zuzug von vielen Madjaren negativ aus . Jerking hat infolge seiner ruhigen Lage und des berühmt gewordenen Kellerbergs eine besondere Anziehungskraft . Der Anteil der Deutschen erreicht zur Zeit nicht mehr die Hälfte der Einwohner , die Position und der Einfluss der Deutschen auf das Dorfleben sind aber viel stärker als ihre Anzahl . Trotz aller negativen Tendenzen ist Jerking noch immer ein „ Schwabendorf ” geblieben .
SB : Jerking ist schlechthin als Weindorf bekannt – welche Rolle spielt Weinbau heute noch im Wirtschaftsleben der Gemeinde ?
JB : Bis zum Zweiten Weltkrieg war Weinbau für die meisten Einwohner von Jerking die Haupteinnahmequelle , die Anbaufläche von Weinreben betrug 1000 Hektar , im Weinkellerviertel gab es 450 Presshäuser und jeder Winzer hatte einen eigenen Weingarten . Heute stehen nur mehr 300 Presshäuser , die Rebfläche beträgt etwa 60 Hektar . Viele von den Kellern werden schon seit mehreren Jahren an Liebhaber der einzigartigen Atmosphäre und der guten Weine des Kellerviertels im Land weitum verkauft . Diese Besitzer benutzen ihre Presshäuser nur als Wochenendhaus . Die meisten örtlichen Winzer haben kleine Weingärten , die nur für die Befriedigung des eigenen Bedarfs dienen . Es werden in den letzten Jahren aus aufgekauften kleinen Weingärten immer größere Weinplantagen angelegt . Bei einigen Winzern wird auch Beherbergung angeboten . Der Weinbau allein ist aber in Jerking keine Haupteinnahmequelle mehr . Im Jahr 2006 wurde der Verein für den Jerkinger Kellerberg gegründet , dessen Mitglieder sich u . a . zum Ziel gesetzt haben , das architektonische Erbe des Kellerbergs zu pflegen und den Tourismus im Zusammenhang mit dem Kellerberg zu entwickeln . Heute gibt es jedes Jahr mehrere Veranstaltungen , die mit guten Weinen und lokalen Speisespezialitäten viele Gäste von nah und fern anziehen .
SB : Die Jahre 1994 / 95 brachten den Aufbau von eigenen Selbstverwaltungsstrukturen . Im Laufe der Zeit übernahmen die deutschen Selbstverwaltungen immer mehr Institutionen , so auch die DNSVW Jerking den Kindergarten und die Grundschule - welche Bilanz würden Sie nach fast 30 Jahren ziehen ?
JB : Die seit 1994 funktionierende Deutsche Nationalitätenselbstverwaltung in Jerking hat in den vergangenen Jahrzehnten einen vorbildlichen Entwicklungsweg eingeschlagen . Die zivilgesellschaftliche Organisation hat schon am Anfang vielfältige Ziele zum Erreichen festgelegt . Es waren folgende Aufgaben zu bewältigen :
- das lokale , deutsche Kulturerbe zu erforschen , zu pflegen , aufzubewahren und weiterzugeben ,
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- den Deutschunterricht zu fördern sowie -eine Tanzgruppe und einen Chor zu gründen .
Den Rahmen für diese Arbeit bildete der ein Jahr später gegründete Jerkinger Verein für Traditionsbewahrung . Alle festgelegten Ziele wurden mit Hilfe des Vereins im Laufe der Jahre verwirklicht - was auch der engen und zielorientierten Zusammenarbeit mit der jeweiligen Gemeindeführung zu verdanken ist . ( Die einander folgenden Bürgermeister sind seit der Wende bis heute deutscher Abstammung .) Seit 1997 gibt es eine blühende Partnerschaft mit der Ortschaft Eckartsweier ( Baden-Württemberg ), die für die Gemeinde Jerking eine wertvolle Kooperation bedeutet . Der Verein hat eine Reihe von Heften über die noch erhalten gebliebenen kulturellen Werte des Jerkinger Deutschtums veröffentlicht („ So koch ( t ) en die Jerkinger ”, „ Die Jerkinger Tracht ”, „ Sitten und Bräuche in Jerking ”). Dem Jerkinger Verein für Traditionspflege wurde für seine engagierte und erfolgreiche Tätigkeit 2012 der Titel „ Die zivilgesellschaftliche Organisation des Jahres in der Tolnau ” verliehen .
Das wichtigste Ereignis der letzten Jahre ist , dass auch in Jerking der Kindergarten und die Grundschule von der Deutschen Selbstverwaltung übernommen wurden . Die Deutsche Nationalitätenschule hat sich einen hohen Rang erworben und es kommen auch aus den umliegenden Dörfern mehrere Kinder in diese Schule , um an einem erweiterten deutschen Sprachunterricht teilnehmen zu können . Den Kindern im Kindergarten und den Schülern in der Grundschule werden natürlich auch deutsche Tänze , Bräuche und Lieder beigebracht . Die heute noch sehr starke Einsatzbereitschaft der lokalen deutschen Organisationen und Institute in Jerking gibt für unsere Gemeinschaft Hoffnung und Perspektive .
SB : Im Herbst fand die Volkszählung 2021 ( bzw . 2022 ) statt , sie wird wieder schöne Zahlen liefern – wie sehen Sie die Zukunft der deutschen Gemeinschaft und wo würden Sie sagen , dass der Schuh drückt ?
JB : Während der Volkszählung im Jahr 2011 ist in Ungarn die Zahl derer , die sich zur deutschen Minderheit bekannten , in jeder Hinsicht gewachsen . Im Zensus 2022 wird meiner Meinung nach die Zahl jener Personen , die sich zur deutschen Nationalität bekennen , noch ein wenig zunehmen , aber in den beiden anderen Fragen erwarte ich einen Rückgang . Einerseits merke ich , dass das Bewusstsein zur deutschen Volksgruppe zu gehören bei allen Generationen heute immer stärker wird , anderseits ist auch festzustellen , dass die Mundart als Muttersprache verschwindet . Die in der Schule erlernte deutsche Sprache , die im alltäglichen Sprachgebrauch eigentlich nicht vorhanden ist , wird von vielen Ungarndeutschen nicht als Muttersprache betrachtet . Diese Personen werden weiterhin und in zunehmender Zahl neben der deutschen Nationalität Ungarisch als Muttersprache angeben . Das ist auf die Doppelidentität der meisten Ungarndeutschen zurückzuführen , die als eine bereits lange bestehende Gegebenheit unserer Minderheit berücksichtigt werden sollte . Ich bin mir aber sicher , dass die Ungarndeutschen trotzdem an ihrer Kultur und ihren Traditionen auch in der Zukunft festhalten werden .
SB : Herr Brunn , vielen Dank für das Gespräch !
Das Gespräch führte Richard Guth .
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