Sonntagsblatt 2/2023 | Page 28

deutschen Namen , einige sogar ungarisch . Wir - wie alle anderen - versuchen uns immer zu unseren Vorfahren hinzusetzen . Diese Relikte alter Zeiten sind nicht nur für die Gemeinde , sondern auch für die einzelnen Familien von immenser Bedeutung .
Punkt ist sie in der Form der Gemeinde erhalten geblieben . Die Sprache ist unser Kulturerbe , das willig oder unwillig in uns lebt . Wir haben es erhalten und geben es weiter , sowohl im weiteren als auch im engeren Sinn .
Doch darf man sich gar nicht nur auf die Gottesdienste beschränken . Die im Rahmen des evangelischen Gemeindelebens angebotenen Veranstaltungen sind unzählig . Diese sprechen jede Altersgruppe an und bieten Platz und Möglichkeit nicht nur für die Vorbereitung auf die Konfirmation , für die Diskussion der den Jugendlichen relevanten Themen in der Ifi-Gruppe ( Jugendgruppe ) oder für die Themen der Älteren im Glaubensgesprächskreis oder in der Wochenpredigt . Wir musizieren zusammen an dem jährlich veranstalteten Musikalischen Advent , fahren gemeinsam zu unseren Partnergemeinden nach Bad Wimpfen oder Seinäjoki und plaudern im Gemeindehaus nach dem Gottesdienst beim Kirchencafé . Das Kirchencafé bietet außerordentliche Möglichkeiten , sich besser kennen zu lernen und sich auszutauschen . All diese Erlebnisse sind Teil der evangelisch-lutherischen Identität in Ödenburg und sie tragen wesentlich dazu bei , dass die jüngere Generation das Erbe weiterführt .
Die Identität der Stadt beruht seit langer Zeit jedoch nicht nur auf der Kirche . Das evangelische Lyzeum ist sogar vor einer offiziellen städtischen Gemeinde gegründet wurde . Die seit 1557 im Sinne des Protestantismus ausgeübte Bildung stellt bis heute einen wichtigen Partner der evangelischen Gemeinde in Ödenburg dar . Mithilfe der seit der politischen Wende eingeführten Nationalitätenklasse verbindet die Schule die evangelischen Schüler über den vom amtierenden Pfarrer gestalteten Religionsunterricht unmittelbar mit dem deutschen Gemeindeleben . Und natürlich dürfen wir nicht vergessen , den evangelischen Friedhof zu erwähnen , auf dem unsere Vorfahren ihre ewigen Träume träumen . Der lutherische Friedhof in der Schlippergasse wurde 1886 eröffnet , nachdem der bisherige Friedhof im Hintergarten des Lyzeums voll war bzw . die Stadt über ihn hinausgewachsen war .
All diese Facetten des evangelischen Gemeindelebens - seien sie der geistlichen , seien sie der weltlichen Sphäre zuzurechnen - sind durch ein kräftiges Bindeglied vereinigt : durch die deutsche Sprache . Für die aktiven Gemeindemitglieder wird sie immerwährender Teil des Alltags bleiben , auch wenn sie sie sonst nirgendwo verwenden . Als ein stabiler
Natürlich muss festgestellt werden , dass dies nicht mehr der deutsche Sprachgebrauch ist wie noch vor wenigen Jahrzehnten , als die Großeltern mit den Enkeln auf den Markt gingen und sich mit den „ alten “ Onkeln und Tanten nur auf Deutsch unterhielten . Damals sprach in Ödenburg die Altersgruppe über 20-30 mehr oder weniger auf muttersprachlichem Niveau Deutsch - natürlich nur , wenn sie sich das an einem öffentlichen Ort trauten . Zu Hause war das anders ... Natürlich ist jetzt alles anders . Jeder , der möchte , kann sein Deutschtum bekennen , die deutsche Sprache üben und sogar die schönen deutschen Zeilen von Thomas Mann oder Goethe aufsagen .
Unterschiede können natürlich vorkommen . Niemand kann sich wundern , dass das durch einen Muttersprachler bzw . eine Muttersprachlerin gesprochene Deutsch von der Sprachqualität her anders ausgestaltet ist als jenes von einer Person , die vielleicht überhaupt keinerlei Beziehung zum Ungarndeutschtum hat . An der Motivation besteht aber kein Mangel . Die Explosion der Gemeinde ist in unseren Augen vor allem diesem Faktum zu verdanken . Unsere deutschsprachige Gemeinde verfolgt nicht den Zweck , ihre Tätigkeit und Handlung ausschließlich auf Ungarndeutsche bzw . Muttersprachler zu begrenzen und damit als eine Art Sprachverein zu funktionieren . Unsere Gemeinde öffnet die Türe für alle , die das Evangelium auch in deutscher Sprache genießen und ihre Perspektiven unter Miteinbeziehung neuer Kommunikationskanäle erweitern wollen . Für die Neuhinzugekommenen entstehen somit neue Erkenntnisse und werden Teil einer lebendigen Vereinigung . Für die eingeborenen Ödenburger Ungarndeutschen wird das Forum weiterhin existent , wo sie sich in ihrem Glauben und ihrer Muttersprache austauschen können .
Die Stadt , die einst nur deutsch sprach und dann ungarisch wurde , hat wieder den wunderbaren Weg der Mehrsprachigkeit eingeschlagen – den besten Weg , miteinander bekannt zu werden , einander zu akzeptieren und die wahre Geschichte der Stadt und der in der Stadt lebenden Ungarndeutschen sowie das Deutschtum besser kennen zu lernen .

EINE EVANGELISCHE GEMEIN- DE IM WANDEL DER ZEIT

Im Gespräch mit dem Jerkinger Ortshistoriker Johann Brunn
SB : Herr Brunn , Sie sind als Ortshistoriker gewissermaßen ein Jerkinger Urgestein – erzählen Sie bitte ein wenig über sich selbst , Ihren Werdegang , aber auch über Ihre Familie !
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JB : Ich bin 1947 in Jerking / Györköny geboren . Meine Eltern waren beide deutscher Abstammung . Mein Vater war damals ein selbständiger Landwirt . Nach der Kollektivierung wurde er zum Vorsitzenden der sogenannten „ Schwaben ” - LPG des Dorfes gewählt . Es war damals eine wahre Herausforderung , um den anderen LPGs zu zeigen , dass die deutschen Mitglieder auch in der Kollektivwirtschaft erfolgreicher sind . Meine Mutter arbeitete im Haushalt oder in der persönlichen Hauswirtschaft der LPG . Nach der Grundschule besuchte ich den deutschen Klassenzug des Klara-Leöwey-Gymnasiums in Fünfkirchen . Nach dem Abitur absolvierte ich an der Universität in Segedin die Fächer Ungarisch und Deutsch . Ich unterrichtete bis zur Rente in derselben Mittelschule in Seksard und war jahrelang auch stellvertretender Direktor . Meine Frau war Lehrerin in der Unterstufe . Ihre Mutter war Ungarin , ihr Vater Deutscher und – obwohl sie die deutsche Sprache nicht be-
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