Sonntagsblatt 2/2023 | Page 21

ES IST NICHT GUT UM DEN UNGARISCHSPRACHI- GEN UNTERRICHT IN SIEBENBÜRGEN BESTELLT – ER KÄMPFT UMS ÜBERLEBEN
Findest Du , dass der Begriff Nationalität heutzutage noch von Relevanz ist ?
Aufgrund starker politischer Polarisierungen habe ich immer mehr das Gefühl , dass der Begriff der Nationalität negativ besetzt ist . Identität beschreibt ja die Art und Weise , wie Menschen sich selbst aus ihrer biografischen Entwicklung heraus in der ständigen Auseinandersetzung mit ihrer sozialen Umwelt wahrnehmen und verstehen . Die Nationalität ist also nur ein Element unter vielen , die Einfluss auf unsere Identität haben - also nicht unwichtig , aber auch nicht das wichtigste Kriterium . Eine Relevanz des Begriffes ist also durchaus gegeben , aufpassen sollte man allerdings mit einer zu starken Fixierung auf diesen Aspekt .
Du hast an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder studiert , wo die Studierenden polnisch-deutsch gemischt sind . Wie hast Du Dich in dieser Umgebung wiedergefunden , als wer hast Du Dich vorgestellt ?
1989 kam ich als Pole nach Deutschland und musste erst das Deutsche erlernen . Der polnische Akzent wurde dann über Jahre weniger und an seine Stelle trat die badische Sprachfärbung . Mein Polnisch hatte wiederum eine schlesische Färbung , da ich zu Hause Schlesisch redete . Für meine polnischen Kommilitonen im Studium war ich ein Ausländer , bei dem das Polnische nicht das eines Polen war - ein identitäres Wechselbad der Gefühle also . Aber in dieser Umgebung mit Polen und Deutschen fühlte ich mich jedoch ziemlich schnell wie ein Fisch im Wasser . Ohne dies irgendwie mit Absicht betrieben zu haben , wurde ich von den Deutschen als Experte für alles Polnische und für die Polen als Experte für alles Deutsche verstanden und war mit einem Mal interkultureller Berater . Lustig ist , dass ich diese Rolle auch weiterhin nebenberuflich als Trainer im Bereich der Interkulturalität im grenznahen Raum betreibe .
Ist es so , dass Du in Deutschland als Pole und in Polen als Deutscher wahrgenommen wirst ? Spielt das Schlesischsein auch eine Rolle dabei , wie man Dich sieht ?
Geboren bin ich als Szymon Kopiecki , aber nach der „ Eindeutschung “ bin ich laut Personalausweis Simon Kopietzki . So oder so – in beiden Ländern werde ich zunächst als Pole betrachtet . Erst nachdem man mich etwas näher kennenlernt , beginnt der eine oder andere zu zweifeln . In Berlin ist ein solcher Vor- und Nachname kein großes Ding , denn es gibt viele „ waschechte “ Berliner * innen , die eingedeutschte , polnische Nachnamen tragen und sich ihrer Familiengeschichte überhaupt nicht bewusst sind . In Polen ist das so , dass die meisten Menschen , die mit mir zu tun haben , mir gegenüber immer beteuern , dass ich doch Pole bin . Nur bei denjenigen , die ich über Jahre hinweg kenne , sagen welche , dass ich in einigen Aspekten sehr „ deutsch “ bin . Den Menschen geht es ja immer darum , die Einordnung so vornehmen zu können , dass man sagen kann : „ Er ist einer von uns “. Wenn ich so recht überlege , dann können dies weder Polen noch Deutsche tun . Wer das tun kann , sind die Schlesier , die in ihren Familiengeschichten gelernt haben , mit der „ nationalen Uneindeutigkeit “ umzugehen . Ich komme von „ hier “ und hoffe , dass die Offenheit für die Uneindeutigkeit als Wesensmerkmal der schlesischen Seele bestehen bleibt .

ES IST NICHT GUT UM DEN UNGARISCHSPRACHI- GEN UNTERRICHT IN SIEBENBÜRGEN BESTELLT – ER KÄMPFT UMS ÜBERLEBEN

( A FENNMARADÁSÉRT KÜZD , ÉS NEM ÁLL JÓL AZ ERDÉLYI MAGYAR NYELVŰ OKTATÁS )
Der Beitrag von Noémi Martini ist in der Wochenzeitschrift für Wirtschaft und Politik „ HVG ” erschienen ( 13 / 2023 ). Zweitveröffentlichung in deutscher Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Redaktion . Deutsche Übersetzung : Richard Guth ungarischsprachige Gemeinschaftsleben am Leben .
„ Arad bleibt ”, sagen die Domino spielenden älteren Männer am Flußufer des Mieresch umgeben von sprossenden Bäumen . Es stellt sich schnell heraus , dass dies auch der Leitspruch der madjarischen Gemeinschaft im Komitat Arad ist und zum Ausdruck bringen soll , dass die Bewahrung der nationalen Identität durch den Schulunterricht , die Kultur und das örtliche Gemeinschaftsleben einen ständigen Überlebenskampf darstellt .
Die ungarischen / madjarischen Schulen in den Nachbarländern schließen der Reihe nach ihre Pforten : Die Zahl der Schüler nimmt ab , die Abwanderung ist beträchtlich . Die Sisyphusarbeit einiger Führungsfiguren und Lehrer halten auch am Schauplatz unserer Reportage , dem Komitat Arad , den ungarischsprachigen Schulunterricht und das
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Arad war nie rein madjarisch , aber vor dem Ersten Weltkrieg , als größte Stadt der Region , betrug der Anteil der Ungarischsprachigen noch 62 %. „ Heute sind wir in der Diaspora , nicht einmal 10 % erreichen wir noch ”, sagt Levente Bognár , der 20 Jahre lang Erster Stadtrat war . Er fügt hinzu : „ Wir wollten nie mehr als das , was uns zusteht , aber selbst das wurde uns nicht immer zuteil .”
Nach den rumänischen Gesetzen soll bei einem Bevölkerungsanteil von über 20 % der Gebrauch der
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