Sonntagsblatt 2/2023 | Page 20

MIKROKOSMOS

EIN DEUTSCHER IN POLEN , EIN POLE IN DEUTSCHLAND

Von Andrea Polański . Erstmalig erschienen am 13 . August 2022 im polendeutschen „ Wochenblatt ”. Zweitveröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Chefredakteur Dr . Rudolf Urban .
entschieden sich in einem telefonischen Gespräch , dass wir in Deutschland bleiben und mein Vater unseren Haushalt auflöst und uns nachfolgt . So kam ich nach Lahr in den Schwarzwald , machte dort mein Abitur und Zivildienst und danach verschlug es mich zum Doppelstudium der Rechtswissenschaften an die Europa-Universität Viadrina und die Adam-Mickiewicz-Universität in Posen . Später lebte ich jahrelang abwechselnd auf der deutschen oder polnischen Seite der Grenzregion , bis ich schließlich vor ca . 8 Jahren nach Berlin gezogen bin und hier arbeite und lebe .
War es Dir zu dem Zeitpunkt , als Ihr ausgewandert seid , bewusst , dass Du deutsche Wurzeln hast ?
Noch in Polen besuchten wir die Großeltern in Brinnitz und bei diesen Aufenthalten stellte ich immer wieder fest , dass irgendetwas „ anders “ ist . Es gab mit Leder eingebundene Bücher mit komischer Schrift , in einer anderen Sprache , einen ganzen Stapel von Geldscheinen , Reichsmarken , mit denen man spielen konnte und ab und zu , wenn Besuch zu meinen Großeltern kam , wurde Deutsch gesprochen . Aber all diese Elemente waren aus meiner damaligen Perspektive eines 11-Jährigen einfach nur verwunderlich . Ich machte mir hinsichtlich meiner Identität und der Tatsache , dass es einen „ Deutschlandbezug “ meiner selbst gibt , keine Gedanken . Das kam dann peu à peu .
Mit dem Spätaussiedler Simon Kopietzki aus Berlin sprach Andrea Polański über seine Familiengeschichte , die Definition von Nationalität und wie seine Identität in Deutschland und Polen wahrgenommen wird .
Simon , Du bist in Polen geboren , hast aber dann Deine ganze Jugend in Deutschland verbracht . Was genau ist Dein Background ?
Wenn ich danach gefragt werde , was doch ziemlich oft passiert , sage ich immer , dass es kompliziert ist . Schaut man sich allerdings die Lebensläufe vieler Schlesier an , dann ist mein Background überhaupt nicht kompliziert , denn in sehr vielen schlesischen Familien kennt man Menschen mit diesen Lebensläufen , die für den sog . „ Otto Normalverbraucher “ aber durchaus nicht typisch sind . Geboren bin ich in Kochlowitz , einem Stadtteil von Ruda . 1989 mit einem 14-tägigen Reisevisum ausgestattet , machte sich meine Mutter gemeinsam mit mir auf den Weg nach Baden-Württemberg zum Begräbnis meines Großvaters . Es war eine Reise , bei der das Rückticket nicht gebraucht wurde , denn meine Eltern
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Für viele Menschen in Schlesien ist es auf Grund der turbulenten Geschichte schwer zu definieren , welche Nationalität man eigentlich hat . Manche sehen sich noch als Deutsche , andere schon als Polen , wieder andere bezeichnen sich als Schlesier . Wie sieht es bei Dir aus ?
Wenn man sich mit der eigenen Identität beschäftigt , merkt man ganz schnell , dass diese ja meist sehr facettenreich ist und dass die Reduktion auf ein Merkmal , auf einen Begriff der eigenen Identität ja nicht wirklich Rechnung trägt . Was sind denn die Wesensmerkmale eines durchschnittlichen Polen , Deutschen oder Schlesiers ? Statistische Werte können da helfen , aber im Grunde genommen geht mit diesen Begriffen ja eine gewisse Stereotypisierung einher . Ich bin ein Schlesier , der überzeugter Europäer ist und über eine polnisch-deutsche kulturelle Prägung verfügt . Mir persönlich geht es sehr gut damit , es nicht eindeutig sagen zu können . Es ist eher die Außenwelt , die es eindeutig haben möchte , weil Gruppenbildung ja auch immer bedeutet , dass diejenigen , die sich nicht eindeutig zu einer Gruppe zuordnen lassen , ausgeschlossen werden . Das bringt mich also naturgemäß in die Rolle eines Mittlers zwischen den Kulturen .
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