Sonntagsblatt 2/2023 | Page 19

der zu Vertreibenden missbrauchend mit deren Gütern Handel trieb , um sie danach zu vertreiben . Die ersten Pferdewagen setzten sich langsam in Bewegung aus Edeck Richtung Bahnhof Wiehall-Kleinturwall / Biatorbágy , wo die „ Vaterlandsverräter ” bereits von Viehwaggons erwartet wurden .
Die Fahrt in den Viehwaggons nach Deutschland dauerte zwei Wochen ohne Mindeststandards an Hygiene . Viele - allen voran Ältere - starben wegen dem Stress , dem sie ausgesetzt waren , bereits in den Waggons . Die Zugbegleiter stoppten dann den Zug und setzten die Leichen aus , ohne sich weiter um sie zu kümmern . Es gibt unter ihnen auch solche , deren Schicksal seitdem unbekannt ist , ihre Familien konnten sie nicht beisetzen .
Viele dachten , die Vertreibung wäre aus irgendeinem Missverständnis heraus geschehen und sie könnten bald nach Ungarn zurückkehren . Bis Ende der 1960er Jahre verflog diese Hoffnung und die meisten erkannten , dass es keinen Weg zurück gibt . Heilend wirkte , dass sie ab Ende der 1960er Jahre als deutsche Staatsbürger und Touristen Ungarn besuchen durften . Zu dieser Zeit konnte man oft Menschen am Ungarischbrunnen beobachten - die Augen voller Tränen , die die schönen Erinnerungen an die Jugend gerade wachgerufen zu haben schienen .
Diejenigen , die mit dem quälenden Gefühl des Heimwehs nicht fertig wurden , kehrten heimlich heim und versteckten sich . Meine Mutter erzählte von einem Edecker Schwaben , der sich jahrelang in der Fünfhäusergasse versteckt hielt . Andere versteckten sich in den Presshäusern des Dorfes . Diejenigen , die man entdeckte , wurden nach Deutschland abgeschoben .
Unter den Edecker „ Vaterlandsverrätern ” starben als ungarische Soldaten 176 Personen im Ersten und 212 im Zweiten Weltkrieg den Heldentod . Und diejenigen , die den Weltkrieg überlebt hatten und auch der Vertreibung entgangen waren , wurden Opfer der inneren Deportation : 53 Personen – Familien mit Kindern – ließ das blutrünstige kommunistische Regime nach Tiszaszentimre deportieren . Über dieses Ereignis berichteten meine Familienmitglieder folgendermaßen : „ In der Nacht auf den 6 . Februar 1953 erschienen mitten in der Nacht so gegen zwei Uhr mit Maschinenpistolen Bewaffnete und richteten ihre Gewehre auf die dort Schlafenden . Sie befahlen ihnen – natürlich im Namen des Gesetzes - , sofort aufzustehen und zu packen . Dafür hatten sie 20 Minuten Zeit und konnten nur einige Habseligkeiten mitnehmen . Danach wurden sie auf Lkws geladen und fuhren nach Tiszaszentimre ins kommunistische Umerziehungslager .
Die als wertlos eingestuften Habseligkeiten – wie Familienfotos – landeten auf dem Misthaufen , die anderen als wertvoll betrachteten wurden , in den damaligen Kindergarten und auf den Schulhof gebracht , um dort die im Namen des Volkes konfiszierten Wertgegenstände zu verwerten . Die Begründung für die Beschlagnahmung war , dass sie den rechtmäßigen Besitz ( es ging da um Möbel , Essgeschirr und Sonstiges ) nicht durch Rechnungen belegen konnten , so dass der Verdacht aufgekommen sei , sie wären im Besitz von gestohlenen Gegenständen . Auf die Idee kamen sie wohl erst gar nicht , dass das , was sie selber tun , Diebstahl ist . Aber das war ja kein Diebstahl , da es im Namen des Volkes erfolgte ! Nebenbei bemerkt haben sie nicht im Namen des Volkes gehandelt , denn niemand hat sie als dessen
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Vertreter gewählt . Die Macht haben sie mit Gewalt an sich gerissen , deshalb waren sie weder berechtigt sich auf das Gesetz noch auf den Volkswillen zu berufen .
Die nach Tiszaszentimre Deportierten wurden auf unbeheizten , mit gefrorenem Schafmist durchtränkten Schlafplätzen untergebracht - auf Pritschen , die 50 cm breit waren . Sie mussten jeden Tag harte Arbeit leisten . Die kommunistischen Handlanger konnten nicht wissen , dass harte Arbeit den Schwaben nicht fremd ist , so konnte man sie nicht brechen - obwohl öfters verlautbar wurde , dass man die Schwaben so lange arbeiten lassen werde , bis sie sterben , um den madjarischen Mutterboden mit ihren Überbleibseln zu düngen .
Ein Jahr nach dem Tod von Stalin am 5 . März 1953 wurden die ungarischen Arbeitslager aufgelöst , aber der Zustand der Entrechtung und des Enteignetseins wurde weiterhin aufrechterhalten . Mein Opa durfte mit Angehörigen nach Edeck heimkehren , aber durfte das Haus der Familie nicht mehr betreten , weil es beschlagnahmt wurde . Sie kamen in Kleinturwall bei einer befreundeten Familie unter - mit einer Schlafgelegenheit im Hühnerstall und das für eine ziemlich lange Zeit .
Zum Schluss lasst uns einen solchen Vorwurf gegenüber dem Schwabentum in Erinnerung rufen , der von völliger Ahnungslosigkeit zeugt : „ Der Boden , der nun dem Schwabentum gehört , wurde dem madjarischen Bauern geklaut .” Ja , es ist so , aber nicht die Schwaben , sondern die Osmanen . Von der Niederlage bei Mohatsch im Jahre 1526 bis zur Rückeroberung Ofens herrschten die Osmanen in Ungarn . Der von ihnen beherrschte zentrale Landesteil entvölkerte sich . 50 Jahre nach der Vertreibung blieb dieser Landstrich unbewohnt , denn es bestand die Gefahr einer Rückkehr der Osmanen ( Anm . des Übersetzers : Dies mag auf bestimmte Gebiete zutreffen , aber die ersten Siedler von Werischwar / Pilisvörösvár beispielsweise kamen bereits 1689 an , einer der Vorfahren des Übersetzers mit dem Familiennamen Manhertz im April 1696 .). Als dies nicht mehr als möglich erschien , richtete Maria Theresia einen Aufruf an die Völker des Habsburgerreiches ( und nicht nur an die Deutschen !), dieses verwilderte , ein halbes Jahrhundert lang brachliegende Territorium zu bevölkern . Eine bedeutende - aber nicht die einzige - Rolle bei dieser Neubesiedlung spielten die Schwaben . Um weiterer Legendenbildung entgegenzutreten muss betont werden , dass diese Ansiedlung nicht reibungslos verlief . Die deutschen Fürstentümer versuchten die Abwanderung aus ihren Gütern zu unterbinden , der ungarische Hochadel versuchte sie zu fördern . Oft kam es vor , dass die ungarländischen Werber zwar in deutschsprachige Gebiete entsandt , dort aber verhaftet und ins Gefängnis gesperrt wurden , um so die Auswanderung zu unterbinden .
Ich möchte die Zeilen des Gedenkens mit einem Zitat schließen , das die Vertriebenen mit Kreide auf einen der Waggons schrieben : „ Isten veled hazánk , mi jó magyarok voltunk !” ( Auf Wiedersehen , unsere Heimat , wir waren gute Ungarn !)
Ich möchte hinzufügen , dass wir es nicht nur waren , sondern auch sind und werden !
Wir ungarischen Schwaben werden das Gedenken an unsere vertriebenen Brüder und Schwestern stets bewahren !
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