Sonntagsblatt 2/2022 | Page 5

die aktiven Anstrengungen der Mitglieder ist aber zu befürchten , dass die deutsche Sprache innerhalb der Gemeinschaft weiterhin an Bedeutung verlieren wird .
Wassertheurer : Kultur und Sprachen gehören zur Identität einer Volksgruppe . Wie lebendig ist die deutsche Identität innerhalb der Ungarndeutschen ? Welche kulturellen Aktivitäten und Veranstaltungen würden Sie nennen , die identitätsstiftend sind ? Ich denke hier an die Volksmusik oder Volkstänze , die immer eine große Rolle spielten .
Die Frage der ungarndeutschen Identität ist recht komplex . Ich glaube nicht , dass sich dazu eine eindeutige Definition finden lässt , weshalb man die Daten heranziehen soll , die ein Individuum zur Frage der eigenen Identität angibt . Kurz nach - und selbstverständlich auch vor der Wende - haben sich die meisten nicht getraut , sich zu ihrer deutschen Identität zu bekennen . Seit den 1990er Jahren wächst die Zahl jener stetig an , die sich als Ungarndeutsche bezeichnen . Aus diesen Daten ist ersichtlich , dass die Sprache nicht das alleinige identitätsstiftende Merkmal ist . Vor allem der Volkstanz und die Volksmusik erleben in ihrer Popularität eine Renaissance . Das Bildungssystem und die ungarndeutschen Vereine haben viele Jugendliche mit den traditionellen Aktivitäten bekannt gemacht . Auch Schwabenbälle sind sehr populär geworden , diese ziehen inzwischen auch Teilnehmer an , welche über keinen ungarndeutschen Hintergrund verfügen . Hier ist ein interessantes Detail zu beobachten : Während die meisten Volkstanzgruppen über jugendlichen Nachschub verfügen , ist die Lage der Chöre hingegen weiterhin kritisch . Für viele scheint die Sprache ein Hindernis zu sein . schätzen , dass sie nicht nur in der Zeit des Wahlkampfes mit ihm kommunizieren , sondern einsehen , dass dies während einer gesamten Amtszeit nötig ist .
Wassertheurer : Sprechen wir über das Problem der Überalterung der Volksgruppe ! Ist sie tatsächlich ein existenzgefährdendes Problem und wie sieht es mit der Jugendarbeit aus ? Gibt es ungarndeutsche Jugendvereine ? Was sind deren Ziele ?
SoNNTAGSBLATT
Generell ergeben sich aus den demographischen Daten der ungarndeutschen Volksgruppe keine maßgeblichen Unterschiede zur Mehrheitsbevölkerung , ebenso bezüglich Geburtenrate und Sterberate . Die Kinderzahl pro Frau in Ungarn beträgt in etwa 1,4 bis 1,5 und ist somit - wie in den meisten europäischen Ländern - weit unter dem Reproduktionswert von 2,1 . Da die Ungarndeutschen eine sehr stark in der Mehrheitsbevölkerung integrierte Volksgruppe sind und es als Ergebnis dieser „ Überanpassung “ viele Ehen zwischen Ungarndeutschen und Nichtungarndeutschen gibt , ist die Geburtenrate innerhalb der ungarndeutschen Gemeinschaft gleich ( niedrig ) wie in der Mehrheitsgesellschaft . Anhand dieser Daten ließe sich vermuten , dass die Überalterung für die Ungarndeutschen kein größeres Problem darstellt als für die Mehrheitsgesellschaft . Diese Schlussfolgerung beachtet jedoch nicht die Folgen der innerungarischen und innereuropäischen Migration . Die klassischen Siedlungsgebiete der Ungarndeutschen habe ich schon erwähnt ; entscheidend ist jedoch , dass diese größtenteils rurale und für ungarische Verhältnisse strukturschwache Gebiete sind . Dies führte Anfang der 1960er Jahre zu einer Migration der Arbeitnehmer in die lokalen Zentren ( z . B . Fünfkirchen ), welche mit einer Abwanderung nach Budapest ergänzt wurde . Nach dem Beitritt Ungarns in die EU 2004 und besonders nach der Öffnung der EU-Arbeitsmärkte 2011 wanderten zusätzlich Angehörige der deutschen Minderheit in den deutschsprachigen Arbeitsraum , was zu einem weiteren Verlust von Angehörigen der ungarndeutschen Gemeinschaft führte . Die wichtigste Motivation hinter den erwähnten Bevölkerungsbewegungen war und ist die Suche nach besseren Verdienstmöglichkeiten und einem höheren Lebensstandard . Diese Prozesse haben zur Folge , dass die ungarndeutschen Dörfer ihre jüngeren Generationen verloren haben und somit vom Aussterben bedroht sind . Währenddessen wachsen die meisten jungen Ungarndeutschen ohne wirklichen Kontakt zu anderen Angehörigen der Gemeinschaft auf . Ob es Lösungsansätze für dieses Problem gibt , entscheidet sich in den nächsten Jahrzehnten . Die bis jetzt aufgestellten Prognosen sind jedoch weitgehend negativ .
In der ungarndeutschen Gemeinschaft wird Jugendarbeit großgeschrieben . Jedoch liegt der Fokus hauptsächlich auf dem Bewahren der bäuerlichen Traditionen , das heißt Volkstanz , Trachten und Schweineschlachten . Diese Tätigkeiten können zwar als Grundelemente der Identitätsbewahrung betrachtet werden , sie ergeben aber keineswegs eine Lösung , denn sie setzen sich nicht grundsätzlich mit den Fragen des Identitätsmanagements auseinander . Mit dem zentralen Element der Identität - vor allem mit der deutschen Sprache - beschäftigt man sich nur in den Bildungseinrichtungen . Des Weiteren geht auch die Pflege der bürgerlichen Traditionen und die Geschichte der politischen Selbstvertretung des Ungarndeutschtums aus dem kollektiven Gedächtnis der Gemeinschaft verloren .
Die einzige , sogenannte Nachwuchsorganisation der Ungarndeutschen , die Gemeinschaft Junger Ungarndeutscher ( GJU ) wurde 1989 in Fünfkirchen gegründet . Die GJU hat das Ziel , der ungarndeutschen Jugend die ungarndeutsche Kultur und die Traditionen weiterzugeben . Den Jugendlichen soll eine aktive Beziehung zur eigenen Identität vermittelt werden . Die Organisation hat in den letzten Jahren ein starkes Wachstum bezüglich der Mitgliederzahl aufgewiesen . Dieser Anstieg der Mitgliederzahl hat jedoch auch die für die ungarndeutsche Gemeinschaft komplexe Frage des Sprachgebrauchs wieder in den Vordergrund gerückt . Manche Mitglieder der GJU interessieren sich für lokale Minderheitenpolitik und setzen ihre Arbeit bei lokalen Minderheitenselbstverwaltungen fort ; bei entsprechenden Fähigkeiten werden sie sogar zu Mitgliedern der LdU gewählt .
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