FEUILLETON HEIMAT ALS ANEIG- NUNG UND GEDÄCHTNIS
Von Stefan P . Teppert
Der Historiker und Studiendirektor i . R . Ingomar Senz gehört noch zur sog . Erlebnisgeneration . Er wurde 1936 in Filipowa in der Batschka geboren , heute Provinz Woiwodina in Serbien , und ist Verfasser diverser Bücher über die Donauschwaben , zuletzt erschien als krönender Abschluss sein Geschichtswerk „ Rückkehr ins Sehnsuchtsland “, in dem er die Etappen der Integration der Donauschwaben in der deutschen Nachkriegsgesellschaft behandelt , von denen er jeden Schritt selbst miterlebt hat und somit als wissenschaftlich forschender Zeitzeuge sprechen kann .
Nach einer gründlichen Definition des Begriffes „ Eingliederung “ als freies Spiel der Kräfte mit einem gegenseitigen Geben und Nehmen sowie Lernprozessen sowohl bei der hinzukommenden wie auch bei der aufnehmenden Gruppe zeigt der ehemalige Lehrer in Deutsch und Geschichte an Gymnasien in Bayern den Ablauf dieser Eingliederung , indem er nach der Theorie des Vertriebenenministeriums von 1959 vier praxisorientierte Phasen der Eingliederung zur Grundlage der Einteilung seines Buches macht .
In einer ersten Phase der Heimatlosigkeit nach ihrer Ankunft in Deutschland und ihrer Zerstreuung über das ganze Land mussten die Flüchtlinge notdürftig versorgt und häufig in Barackenlagern untergebracht werden . Sie suchten ihre weit verstreuten Angehörigen und Freunde und kämpften mühsam um Arbeit . Am konkreten Beispiel dreier Familien mit allen ihren Mitgliedern veranschaulicht der Autor diese Notjahre und beschreibt die Situation in fünf verschiedenen Lagern . Dort entstanden langsam Infrastruktur und Hierarchien , die denen in den deutschen Gemeinden des alten Heimatgebietes glichen . Die Insassen nahmen ihr Schicksal bald selbst in die Hand , organisierten Schulbildung sowie Freizeitbeschäftigung und knüpften Kontakte nach außen . Die Sehnsucht nach heimatlicher Tradition ließ etwa Orchester , Fußballvereine , Volkstumsabende und Kerweihfeste entstehen . Das Zusammensein mit Menschen des gleichen Schicksals ließ das Unsichere der Fluchtzeit in den Hintergrund treten und mehr Selbstbewusstsein aufkommen . Aber auch hemmende Momente bei der Integration wie Heimweh und Diskriminierungen durch die Bevölkerung des Gastlandes werden klar benannt . Den seelischen Verletzungen durch Heimatverlust und Entwurzelung mit nicht selten lebenslanger Schockstarre und psychischen Deformationen ist ein verständnisvolles Kapitel gewidmet .
SoNNTAGSBLATT
Diese erste Phase wurde abgelöst durch eine Epoche des Aufbaus mit der Suche nach neuer Beheimatung und das neue Dasein bejahenden Lebensformen . Dies geschah vor allem mit dem Beziehen menschenwürdiger Wohnungen , dem Bau von Eigenheimen und einem beruflichen Neuanfang - letzterer meist erschwert durch die Umstellung oder Umschulung auf neue Berufe und Arbeitsweisen . Viel Fleiß , Zielstrebigkeit , Aufbauwille , Pionier- und Erfindergeist wurde den Vertriebenen abverlangt . Den krisenhaften Erfahrungen in der Transformationsgesellschaft entspringt die Tatsache , nicht nur eine Heimat haben zu können - sondern sowohl die durch gestaltende Aneignung neu erworbene als auch die alte als Sehnsuchts- und Gedächtnisraum . Dieser Umschichtungsprozess wurde einerseits erleichtert durch staatliche Förderung wie Hausratshilfen , Lastenausgleich sowie gesellschaftliche Absicherung durch Gleichstellungs- und Einbürgerungsgesetze . Andererseits bauten sich alle Vertriebenengruppen Organisationen zur Selbsthilfe und Betreuung ihrer Landsleute auf ; sie gründeten Ortsgemeinschaften und Landsmannschaften sowie Institutionen , um das kulturelle Erbe zu sichern , es aber auch im binnendeutschen Raum als Teil einer gesamtdeutschen Kultur zu verankern und bekanntzumachen . Beide Komponenten erwiesen sich als wesentliche Bausteine für das Heimischwerden der Neubürger . Eine weltweit ausstrahlende Stätte der Begegnung und Kulturpflege erhielten die Donauschwaben durch die Patenschaft der Landes Baden-Württemberg in Sindelfingen , regionale Häuser haben sie in Mosbach , Speyer , Frankenthal und München . Das Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde in Tübingen erforscht und lehrt diese Geschichte mit dem Umfeld der Nachbarvölker , das Donauschwäbische Zentralmuseum in Ulm wahrt das dingliche Kulturgut der Donauschwaben und sucht es historisch im multiethnischen Umfeld der Öffentlichkeit nahezubringen . Diesen Institutionen und Organisationen , den einzelnen Landsmannschaften der Ungarndeutschen , der Sathmarer und Banater Schwaben sowie der Donauschwaben aus Jugoslawien , die wesentlich zur Bildung eines donauschwäbischen Gemeinschaftsbewusstseins beigetragen habmit en , widmet Senz jeweils eigene Kapitel , ebenso der Jugendarbeit , den Presseorganen , dem St . Gerhardswerk , dem Südostdeutschen Studentenring , den Arbeitskreisen der Familienforscher und Lehrer , dem Südostdeutschen Kulturwerk sowie der Donauschwäbischen Kulturstiftung . Geschichte kann nicht geschrieben werden ohne die Biographien der gestaltenden und prägenden Persönlichkeiten . Senz befasst sich demgemäß näher mit einigen von ihnen wie Josef Haltmayer als „ Apostel der Streusiedler “, Franz Hamm als ausgleichender Führungspersönlichkeit , Stefan Kraft als bedeutendem Politiker in drei Epochen , Josef Trischler als erstem donauschwäbischen Vertreter im deutschen Bundestag und Annemarie Ackermann als zweiter . Jakob Wolf wird gewürdigt als Alleskönner , Dichter und Seele des Hau-
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