Sonntagsblatt 2/2022 | Page 21

Die Hauptorganisatoren waren zugleich Gründungsmitglieder der hessischen Landsmannschaft der Deutschen aus Ungarn wie beispielweise Ernst Gori ( auf Ung . Góri Ernő ) aus der Donausiedlung oder die in Frankfurt a . M . lebende Schlesierin Irma Steinsch . Gori wurde 1949 zum Vorsitzenden der landsmannschaftlichen Vereinigung der sogenannten „ Deutschbewussten “ in Hessen gewählt . Seit Juni 1950 unterrichtete er in der gerade eben aufgebauten Friedrich-Ebert-Schule Heimstättensiedlung / Darmstadt . Irma Steinsch war die Begründerin der Donausiedlung Darmstadt , ferner die „ Managerin “ und Aufsichtsratsvorsitzende der Ungarndeutschen Bau- und Siedlungsgenossenschaft Darmstadt-Süd / Donausiedlung e . V . Sie nahm auch die Geschäftsleitung der hessischen Landsmannschaft wahr .
Als Veranstaltungsstätte fungierte beim ersten Schwabenball noch der kleine Concordiasaal , bei den darauffolgenden die viel größeren Säle auf der Mathildenhöhe . „ Die Schwabenbälle waren gesellschaftliche Ereignisse , zu denen die Landsleute von weit her angereist kamen , um Verwandte und Freunde zu treffen und mit ihnen ‘ wie zu Hause ‘ zu feiern und die wunderschönen bäuerlichen Trachten der einzelnen Dörfer stolz zu präsentieren “, erinnerte sich der Zeitzeuge Landrat a . D . Josef Lach jun . 2008 an die immense Bedeutung der ersten Darmstädter Schwabenbälle beim Heimisch-Werden der ungarndeutschen Heimatvertriebenen in der Bundesrepublik . Ferner schrieb Lach ebenfalls 2008 zu der sozusagen Neuerfindung des Schwabenballs und der Reaktivierung der Trachtenkleider auf hessischem Boden Folgendes : Da viele Frauen nicht mehr im Besitz ihrer Trachten waren , weil sie sie bei der Flucht oder Vertreibung gar nicht hätten mitnehmen können oder aber bereits moderne Kleider für ihre Töchter daraus gefertigt hätten , hätten die Mütter für die Mädchen und jungen Frauen in der Regel aus noch vorhandenen Stoffen extra für die Teilnahme am Schwabenball eine heimatliche Tracht anfertigen müssen .
Der Erfolg des Schwabenballs inspirierte Ernst Gori , für den Erhalt des mitgebrachten Kulturguts in der Donausiedlung einen Kulturverein zu gründen . Zwei weitere Zielsetzungen des Ungarndeutschen Kulturvereins sollten primär die Chancen für den sozialen Aufstieg der Siedlerkinder erhöhen . Man wollte den Bildungsrückstand aufholen und die Integration auch durch Kennenlernen der neuen Heimat durch Fahrten und Vorträge fördern . Es war geplant , einen Chor und eine Laienspielgruppe aufzustellen . Die noch bei der Ankunft in der Notunterkunft des Evangelischen Hilfswerks Darmstadt entstandene Tradition der gemeinsamen Weihnachts- , Silvester- , Geburtstags- und Trauerfeier der „ Siedlerfamilie ” sollte auch der Kulturverein weiterführen .
Teil 2 Der Konflikt innerhalb der landsmannschaftlichen Vereinigung der Deutschbewussten in Hessen
Goris persönliches Engagement für die Darmstädter
SoNNTAGSBLATT
Etablierung des Schwabenballs diente – durch eine realitätsbezogene Neukonzipierung – der Wiederbelebung der in Ungarn gepflegten Kulturtradition . Sein primäres Anliegen war eine „ heimatlich geprägte “ Feier , ein großes „ Familienfest “, das den überall in der Bundesrepublik zerstreut lebenden Landsleuten , die sich zuletzt in den Verteilungslagern gesehen hatten , die Chance bot sich wiederzusehen . Zudem sollte eine sogar für einheimische Hessen oder US-amerikanische Besatzungskräfte attraktive Plattform für ein gegenseitiges Kennenlernen sowie für fröhliche , gesellschaftsschichtübergreifende Geselligkeit geschaffen werden . Mit diesen „ laschen “ der gesellschaftlichen Valenzbildung dienenden Zielsetzungen , denen es an sozialpolitischen Ecken und Kanten mangelte und die somit zur offensiven vertriebenenpolitischen Profilierung ungeeignet schienen , waren aber die von Heinrich Mühl ( 1901 – 1963 ) angeführten ehemaligen Volksdeutschen Kameraden und Kameradinnen ( wie beispielweise Irma Steinsch und Heinrich Neun ) nicht zufrieden . Sie betätigten sich ab 1951 in der Arbeitsgemeinschaft zur Wahrung ungarndeutscher Interessen ( Frankfurt a . M .), um sowohl die laufende Ansiedlung und Eingliederung als auch die eventuelle gemeinsame Rückkehr der ungarndeutschen Heimatvertriebenen in das von Kommunisten befreite Ungarn maßgeblich mitbestimmen und mitgestalten zu können . Sie hatten noch den Usus der vormaligen Volksgruppen- bzw . Volksbundführung in lebhafter ( und guter ) Erinnerung . So konnte der alljährliche Budapester „ Landesschwabenball “ gegenüber den Regierungsstellen als minderheitenpolitisches Druckmittel zur imposanten Großkundgebung der inneren Geschlossenheit und Stärke der überwiegend bäuerlichen „ Volksgruppe “ instrumentalisiert werden . Die gelungene Darmstädter Festveranstaltung wurde von ihnen bereits 1952 zur „ würdigen Schau der ungarndeutschen Volksart “ verklärt , um ihr einen übergeordneten vertriebenenpolitischen Sinn zu geben und sie auch als Forum für landsmannschaftliche Agitation und Propaganda zu nutzen .
Nachfolgend einige Beispiele für die 1952 – 1954 anlässlich des jährlich wiederkehrenden Fests in Darmstadt vor einer landesweiten Öffentlichkeit verkündeten Thesen des Arbeitskreises um Heinrich Mühl :
Der Darmstädter Schwabenball sei ein Ball , der ungarndeutsche Heimat stiftet ; daher sei er ein „ Heimatball “ der „ Volksgruppe “,
der die Manifestierung der Anerkennung durch die Landes- und Stadtregierung sei , dass die Ungarndeutschen „ vollwertige Staatsbürger “ seien ,
der die Erinnerung daran sei , dass ein Teil der jetzigen ungarndeutschen Vertriebenen über Vorfahren verfügt , die vor etwa 200 – 250 Jahren aus Hessen ausgewandert sind , folgerichtig sozusagen urhessisch ( historisch gesehen hessischer als die meisten heutigen Hessen ) sei ,
21