Dies ist ja überhaupt ein germanischer Wesenszug - im Gegensatze zu den Romanen oder den Madjaren . Ich erinnere mich nicht , bei Shakespeare auch nur einmal das Wort „ Vaterlandsliebe “ gelesen zu haben . Und auch das Wort „ Vaterland “ kommt kaum vor . Und wer hat je sein Vaterland mehr verherrlicht als Shakespeare ! Man denke nur an die berühmte Prophezeiung in Richard dem Zweiten ! Bei den Deutschen ist das Wort auch nicht sonderlich beliebt , was schon dadurch erhellt wird , dass meistens das Fremdwort „ Patriotismus “ gebraucht wird . Wie anders bei den Romanen oder Madjaren ! Eine Geschichtsstunde , eine Jugendfeier oder irgendeine Veranstaltung und Zusammenkunft , bei der das Wort Vaterlandsliebe nicht mindestens zehnmal gebraucht wird , ist einfach undenkbar . Andere Übertreibungen z . B . die Madjarisierung der Familiennamen und dergleichen haben die Deutschen in Ungarn nicht als patriotische Überschwänglichkeit , sondern einfach als Pietätlosigkeit empfunden . Nebenbei sei bemerkt , dass sich in den Zeiten nach Goethe auch in Deutschland manches geändert hat . Maßhalten besonders bei den heiligsten Gefühlen scheint man in Deutschland auch schon verlernt zu haben . Für den , der geschichtlichen Sinn hat , ist es nicht ohne Interesse zu beobachten , wie gerade der Chauvinismus die Völker gleich , das heißt monoton und uninteressant macht . Wenn man in Ungarn reist , so wird man in jeder Stadt ein Kossuth- , Széchenyi- oder Deák-Denkmal oder zumindest einen Platz oder eine Straße mit diesen Namen finden . In Italien ist im kleinsten Flecken ein Victor Emanuel- , ein Garibaldioder ein Cavour-Denkmal . In Deutschland aber heißt es Bismarck , Moltke oder Kaiser Wilhelm der Erste . Unsere Vorfahren waren etwas behutsamer in der Verewigung . Dafür aber haben ihre Denkmäler den Vorzug , dass sie tiefen Eindruck machen . Und das scheint mir die echte Dankbarkeit zu sein .
Ich fasse das Ergebnis obiger Darstellung kurz zusammen . Unsere intellektuellen Kreise , worunter ich alle jene verstehe , die eine Mittelschule absolvierten , sind fast ohne Ausnahme im chauvinistischen Lager . Die deutsche Landbevölkerung und das deutsche städtische Volk - soweit es nur Volksschulbildung hat - stehen dem Madjarentum gleichgültig , ja an vielen Orten mit passiver Resistenz gegenüber . Dass dies an und für sich ein politisch unhaltbarer , ja gefährlicher Zustand ist , bedarf keiner weiteren Ausführung .
Aber auch in kultureller und gesellschaftlicher Beziehung ist dieser Zustand verhängnisvoll . Die breitesten Volksschichten nehmen an der Betätigung madjarischer Kultur nicht teil , von der Pflege deutscher Kultur aber sind sie gleichfalls ausgeschlossen , da die hierzu notwendigsten Behelfe ( Mittelschulen , Präparandien usw .) fehlen . Unser deutscher Bauernstand , der der Welt Liszt und Hyrtl schenkte , ist seit fünfzig Jahren kulturell entschieden zurückgegangen . Es ist eben totale Ebbe in der deutschen Kultur Westungarns eingetreten und das Burgenland ist heute ein verwildertes und verwuchertes Dornröschenland . Die Meinung vieler erfahrener Offiziere und Beamter über den „ buta német paraszt “ ist daher durchaus nicht ganz aus der Luft gegriffen .
Aber wer darf sich darüber verwundern ? Jedes Volk muss verrohen , wenn man ihm die Schule raubt . In gesellschaftlicher Beziehung macht sich gegenseitige Zurückhaltung bemerkbar . Das Vereinsleben , besonders die ehemals blühenden deutschen Gesangsvereine stagnieren .
SoNNTAGSBLATT
Während eben die deutschen Vereine bei jedem Anlasse ein oder mehrere ungarische Lieder bringen , fällt es den ungarischen Vereinen gar nicht ein , ein deutsches Kunstwerk vorzuführen . Heftigere Zeitungspolemiken zwischen den zwei Volksstämmen kommen schon seit Jahrzehnten nicht vor . Die Deutschen hüten sich davor , als „ unpatriotisch “ angesehen zu werden . Dabei ist noch ein ungemein interessanter Umstand zu erwähnen . Es wurde schon oben deutlich gemacht , dass die gesamte gebildete Jugend in einer extrem-chauvinistischen Ideenwelt lebt . Trotzdem ist es höchst selten , dass ein geborener deutscher Ödenburger in der Beamtenklasse bei der Stadtverwaltung dient . Bei dem Komitat kommt dies überhaupt nicht vor . Ja , unsere jungen Leute aus urdeutschen Familien , denen der Chauvinismus in Mittelschule und Hochschule eingeimpft wurde , kehren überhaupt selten in ihre Heimat zurück . Es scheint , als ob ihnen die Heimat nicht genug patriotisch sei . Sie finden keinen rechten Zusammenhang mehr mit dem Volke , das in Stadt und Land deutsch geblieben . Andererseits sind es nicht wenige , aber meist schon ältere Leute , die die Abneigung vor dem Chauvinismus zum Ergreifen des Wanderstabes bewog . So blieb das Feld der Politik fast gänzlich den „ Dahergelaufenen “ überlassen , die wahrlich nicht bescheiden davon Besitz ergriffen .
Das in Zahlen sichtbare Resultat madjarischer Nationalitätenpolitik ist folgendes :
Im Jahre 1892 ( Frühere Daten stehen uns momentan nicht zur Verfügung .) zählte man in der Stadt Ödenburg Deutsche 17.300 Madjaren 8.100
Im Jahre 1914 zählte man : |
Deutsche |
17.000 |
Madjaren |
15.000 |
Während also die Deutschen sich in 22 Jahren überhaupt nicht vermehrt haben , sondern an Zahl zurückgegangen sind , haben die Madjaren sich um das Doppelte vermehrt . Selbstverständlich nicht so sehr durch natürlichen Zuwachs oder Zuwanderung , sondern so , dass ein großer Teil des deutschen Nachwuchses ( eben die „ Gebildeten “) ins madjarische Lager überging ! Dass dabei oft ein kleiner „ Druck “ nicht vermieden wurde , dafür spricht das folgende Erlebnis : Als ich im Jahre 1912 vor dem Matrikelführer erschien und derselbe meine Personalien aufnahm , gab ich als Muttersprache selbstverständlich die deutsche an . Der Standesbeamte war darüber nicht wenig erstaunt , worauf ich wiederholte , dass meine Muttersprache tatsächlich die deutsche sei . Der Beamte meinte darauf , dass man den Begriff Muttersprache auch so auffassen könnte , dass darunter jene Sprache zu verstehen sei , die man am liebsten spreche . Als ich darauf betonte , dass auch in diesem Falle die deutsche meine Muttersprache sei , fing er an , von patriotischen Motiven usw . zu sprechen und es gelang mir erst mit der energischen Bemerkung , dass ich mir Belehrungen in puncto Patriotismus verbitten müsste , der Diskussion ein Ende zu machen . Wenn nun der Matrikelführer mir - einem Lateiner - gegenüber , derlei Kapazitierung wagt , so ist es plausibel , wie viel er bei den ungebildeten Leuten wagt und erzielt . Selbstverständlich war das Vorgehen des Beamten kein eigenmächtiges , sondern ein von der Oberbehörde gewünschtes und inspiriertes . Tatsächlich haben auch die Formulare zur Volkszählung einen Vermerk enthalten , wonach unter Muttersprache auch jene verstanden
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