Sonntagsblatt 2/2022 | Page 18

wasser segelt . Unter den jüngeren Elementen der Intellektuellen in Westungarn gibt es heute vielleicht kaum 100 Männer , die für deutsche Kultur überhaupt noch ein Verständnis haben . In der Landbevölkerung ist es anders . Dort konnte schon aus praktisch-technischen Gründen die Madjarisierung nicht in dem Maße durchgeführt werden . Der wenig tiefgehende Einfluss unserer Volksschule einerseits und der konservative Sinn unserer Landbevölkerung andererseits bewirkten , dass die Madjarisierung auf dem Lande ohne irgendwie bedeutsame Wirkung gewesen ist .
zur Staatssprache in Deutschland gemacht . – Der größte ungarische Dichter war ein Serbe und hieß ursprünglich nicht Petőfi , sondern Petrovics . – Dass Dürer der größte deutsche Bildkünstler ist , wird niemand bezweifeln . Dagegen muss es zum mindesten als strittig bezeichnet werden , ob Dürer germanischen oder madjarischen Ursprungs ist . Dürers Vater stammte nämlich aus dem kleinen , heute schon verschwundenen Dorfe Ajtós bei Großwardein resp . Gyula . Ajtó heißt nun Tür , und das „ s “ am Ende hat im Ungarischen dieselbe adjektivale Bedeutung , wie das „ er “ im Deutschen . Tatsächlich schrieb sich Dürers Vater noch in Nürnberg , wohin er als Goldschmiedegeselle einwanderte , „ Thürer “ und sein Wappen hatte eine Tür im Felde . Selbstverständlich beweist dies alles noch nicht die madjarische Abstammung , denn wie an vielen ungarischen Orten , könnte ja auch in Ajtós eine deutsche Ansiedlung gewesen sein . Aber höchst seltsam ist es , dass das Bild von Dürers Vater in den Uffizien ( natürlich vom berühmten Sohne gemalt ) ganz madjarische Züge aufweist !
Ähnliche Beispiele ließen sich noch viele anführen . Welche Verheerungen die madjarisierende Tendenz der letzten fünfzig Jahre in dem deutschen Kulturstand unserer Gegend ausübte , darüber ließen sich Bände schreiben . Ich will nur ein Moment herausheben , weil dasselbe hervorragende politische Bedeutung gewann . Dadurch , dass die Mittelschulen die deutsche Sprache vollkommen ausschlossen , wurde der fast unglaublich erscheinende Zustand hervorgerufen , dass unsere gesamte sogenannte Intelligenz , welche vor fünfzig Jahren fast rein deutsch war , heute der deutschen Kultur entschieden entfremdet ist und in politischer Beziehung in extrem madjarisch-chauvinistischem Fahr-
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Dieser Zustand hat in politischer Beziehung die verderbliche Wirkung , dass eine kompakt deutsche Bevölkerung von 300.000 Seelen von kaum einigen hundert madjarischen Beamten regiert und administriert wird . Tatsächlich hat die deutsche Bevölkerung also keine beziehungsweise eine ihr in wichtigen Beziehungen wesensfremde politische Vertretung . Nachdem die außerbeamtlichen Intelligenzkreise - weil in rein madjarischen Mittel- und Hochschulen herangebildet - für die deutsche Kultur überhaupt nicht in Betracht kommen und andererseits der nur Volksschulbildung besitzende Mann - auch wenn er die ungarische Sprache genügend beherrscht und über die nötige Intelligenz verfügt - aus angeborener Scheu vor den „ Studierten “ sich gern im Hintergrunde hält , konnte und kann es geschehen , dass die kulturellen Postulate und Wünsche der deutschsprachigen Bevölkerung offiziell überhaupt nicht zur Kenntnis der Regierungskreise gelangen , ja selbst von der Diskussion in der Presse ausgeschlossen sind . Wenn jemand heute unsere Behörden und Funktionäre vom Obergespan angefangen bis zum letzten Dorfnotär befragte , welche Wünsche unsere deutsche Bevölkerung in völkischer oder kultureller Beziehung hegt , so wird er auch jetzt noch ausnahmslos die Antwort erhalten : „ Ilyen kívánságok sem hivatalosan , sem magánúton tudomásunkra nem jutottak !“ („ Solche Wünsche sind weder amtlich , noch auf privatem Wege zu unserer Kenntnis gelangt !“) Das Allermerkwürdigste ist nun , dass diese Auskunft loyal und wahr ist ! Die westungarische deutsche Bevölkerung war und ist in völkisch-politischer Beziehung so passiv , dass es fast den Anschein hat , als ob sie es nicht der Mühe wert fände oder aber nicht den Mut und die Kraft fühle , ihre Wünsche auszusprechen und auf deren Erfüllung zu bestehen .
Woher diese Passivität , die fast krankhaft erscheint ? Ich glaube , dass dieselbe hauptsächlich zwei Ursachen hat . Wie schon oben erwähnt , konnten unsere Vorfahren nicht jenen Überblick haben , den wir heute besitzen . Sie sahen vielleicht diese ganze chauvinistische Bewegung als eine vorübergehende Erscheinung an . Sie gedachten wahrscheinlich des Umstandes , dass Ungarn durch 900 Jahre keinen Chauvinismus kannte , sondern im Gegenteile gerade seine deutschen Staatsbürger auf das Beste behandelte und ihnen mannigfache Privilegien schenkte . Und dann hatten es unsere Vorfahren im Achtundsechziger Gesetze und in zahllosen feierlichen Deklarationen gerade der liberalen Regierungen schwarz auf weiß verbrieft , dass jede Nationalität Ungarns die Möglichkeit der freien Pflege ihrer Sprache und Kultur in Familie , Schule und Öffentlichkeit besitze . Die andere Ursache scheint mir in der Scheu des Deutschen zu liegen , seine heiligsten Gefühle – und dazu zählt er auch Liebe und Treue zu Heimat und Vaterland – offen zur Schau zu tragen oder gar damit zu prunken . Es ist ihm die Vaterlandsliebe etwas so Selbstverständliches , dass er davon so wenig spricht wie über die Liebe zu den Eltern oder die Treue zur Gattin usw .
SoNNTAGSBLATT