inseln in Ungarn liegt , musste es sich irgendwann aus praktischen Gründen ( Wirtschaft , Arbeit ) doch öffnen . Heutzutage gibt es sehr viele Zugezogene , die mit Schwäbisch überhaupt nichts zu tun haben . Das ist der eine Grund für den Verlust . Dagegen kann man nichts machen , man kann ja niemanden zwingen , in Ungarn einen fremdsprachigen Dialekt zu sprechen .
Jahrzehnten . Es wird aber in Erinnerung behalten - ganz lange , da bin ich mir sicher . Dazu trägt unser Wörterbuch auch bei .
SB : Frau Endrész , vielen Dank für das Gespräch ! Das Gespräch führte Richard Guth .
Ein anderer Grund für den Verlust ist , dass dem deutschen Volk nach dem Zweiten Weltkrieg Kollektivschuld zugewiesen wurde . So war es ja nicht günstig , einen deutschen Dialekt zu sprechen .
Ein dritter Grund ist , dass wir hier , im Nordosten einfach vergessen wurden . Die Dialektforschung beschäftigt sich fast ausschließlich mit der Sprache der Sprachinseln . Das finde ich sehr traurig . Aufmerksamkeit hätte Wunder bewirken können . Uns selber ist es auch spät bewusst geworden , wie großartig und rührend das ist , in Ostungarn einen deutschen Dialekt so lange und allein gelassen pflegen zu können . Die Ignoranz ist eine große Enttäuschung , denn seien wir mal aufrichtig : Sprachinseln hatten und haben es viel leichter .
SB : Was wird unternommen , dem Verlust des Dialekts / der deutschen Sprache entgegenzuwirken ? Gibt es schulische oder kirchliche Angebote in Deutsch und wenn ja , wie schätzen Sie deren Wirkungsgrad ein ?
JE : Deutsch wird in der Schule unterrichtet . Es gab vor ein paar Jahren sogar ein Experiment für eine zweisprachige Unterrichtsmethode , das jedoch nicht erfolgreich war . Großeltern bringen noch schwäbische Sprüche und Lieder den Enkelkindern bei . Der Verein „ Schwarzwald “ organisiert auch oft Treffen für die Dorfbewohner und es gibt auch das von der Gemeinde organisierte , jährlich veranstaltete Nationalitätenfestival .
Ich finde aber , dass man nichts mehr machen kann . Einerseits ist es zu spät . Andererseits gibt es die Zuwanderung , mit der alle Dialektgruppen zu kämpfen haben .
SB : Hat dieser Verlust auch Auswirkungen auf die Identität der Bewohner ? Wie viele Deutsche / Deutschstämmige leben eigentlich noch im Ort ?
JE : Identität ist eine schwierige Frage . Was heißt das , zu dieser oder zu jener Volksgruppe zu gehören ? Keine Volksgruppe ist besser als die andere und man ist ja dieselbe Person , auch wenn man sich als Ungar / in oder als Ungarndeutsche bekennt . Warum hat das trotzdem eine Bedeutung ? Die Antwort weiß ich bis heute nicht , obwohl ich sehr viel darüber nachdenke . Wir sind so aufgewachsen , dass man uns gesagt hat , dass wir „ Schwaben “ sind . Das ist für viele Deutsche natürlich unverständlich , wenn sie das hören , weil Schwaben ja schwäbisch reden . Ich persönlich formuliere das so : Wir sind Ungarn mit deutschen Vorfahren . Zum zweiten Teil der Frage : Ich würde sagen , ca . 60-70 % des Dorfes .
SB : Wie sehen Sie die Zukunft Ratkas - Demografie , Sprache , Identität , Wirtschaft / Arbeit ?
JE : Ratka wird nicht verschwinden . Es ist ein schönes , sauberes Dorf zu ostungarischen Verhältnissen . Für junge Familien ist es in den letzten Jahren attraktiv geworden , auch wenn es im Dorf nicht viele Arbeitsmöglichkeiten gibt . Schwäbisch verschwindet aber höchstwahrscheinlich in ein paar
Das VORWORT des Wörterbuchs
Nicht weil wir uns der Hoffnung hingaben , dass das altschwäbische Idiom unseres kleinen nordostungarischen Dorfes namens Ratka dadurch gerettet werden könnte , entschieden wir uns , ein Wörterbuch seiner Mundart zu widmen . Dadurch dass wir das dort gesprochene Schwäbisch aber schriftlich wiedergeben und gleichsam festhalten , kann es nicht ganz verloren gehen – davon sind wir überzeugt .
Überdies fanden wir etwas ungerecht , dass wir hier , im Nordosten Ungarns , in Vergessenheit gerieten . Und so wollen wir mit dem vorliegenden Wörterbuch nicht zuletzt die Aufmerksamkeit der Sprachwissenschaft auf uns lenken . Wenn man auch bei der Untersuchung der Sprache den ungarischen Einfluss , was Satzbau , Lehnwörter , Hungarismen , Aussprache usw . betrifft , nicht verleugnen kann , hat sie in sprachwissenschaftlicher wie soziologischer Hinsicht einen nicht zu unterschätzenden Wert . Sie eröffnet uns nicht nur einen Einblick in den Zustand des Schwäbischen des 18ten Jahrhunderts , sondern eigentlich auch in den des damaligen Hochdeutschen . Spannende sprachwissenschaftliche Umstände und die - dank der Nähe des alemannischsprachigen Schwarzwaldes zu den schwäbischsprachigen Herkunftsorten in den Landkreisen Tuttlingen und Sigmaringen - merklichen alemannischen Eigenheiten verleihen dieser Mundart eine ganz spezielle Färbung . Aus dem Wortschatz können wir auch darauf schließen , wie unsere Vorfahren damals den Alltag meisterten , wovon sie lebten , welche Gegenstände sie dabei gebrauchten , welche Eigenschaften sie hochschätzten , welche Gefühle sie damit ausdrückten .
Es erscheint bemerkenswert , sogar rührend , dass diese Mundart seit fast 300 Jahren in einer fremdsprachlichen Umgebung - selbst nach den katastrophalen Folgen des Zweiten Weltkriegs , die das Leben der deutschsprachigen Minderheit unter dem Zeichen kollektiver Anschuldigung prägten ( im Falle von Ratka hieß das : Verschleppung nach Russland in die Zwangsarbeit ) - weit weg von der ursprünglichen Heimat bewahrt wurde .
Es ist sicherlich für jedermann einfach nachzuvollziehen , warum Dialekte es heutzutage generell schwierig haben . Wir bewegen uns freier , sind nicht mehr so ortsgebunden wie früher . Dafür brauchen wir „ Hochsprachen “, damit Einheimische und „ Neigschmeckte “ sich leichter verständigen können . Das erschwert die Bewahrung von Mundarten natürlich enorm . Besonders schwierig ist die Lage der Dialekte , die weit weg von der ehemaligen Heimat , in Ländern gesprochen werden , deren Nationalsprache mit dem jeweiligen Dialekt gar nichts Gemeinsames haben : so wie des Schwäbischen in Ungarn . In Ungarn gibt es zwar aus mehreren Siedlungen bestehende schwäbische Sprachinseln ; was aber unser Untersuchungsobjekt betrifft , ist das nicht der Fall . Ratka liegt allein im Nordosten . Es gibt in der Nähe ( 40-50 km weit entfernt ) zwei Siedlungen , die zur selben Zeit und im Rahmen derselben privaten Besiedlungsaktion des Habsburgischen Hofes mit Schwaben aus Baden-Württemberg besiedelt wurden , nämlich Hercegkút ( Trautsondorf ) und Károlyfalva ( Karlsdorf ), dort redet aber niemand mehr die Sprache . In Ratka spricht leider auch nur noch die älteste Generation Schwäbisch . Die Generationen mittleren Alters verstehen es zwar , reden es aber nicht und die ganz Jungen kennen nur noch einige Gedichte und Sprüche . Im Laufe der dreieinhalb Jahre , in denen wir unsere Recherchen und Befragungen durchführten - zumeist in der Tagesstätte für alte Leute - , starb die Hälfte der befragten Personen ! Sie waren alle über 80 und noch Mitglieder der Generation gewesen , deren Muttersprache Schwäbisch war und die erst in der Grundschule Ungarisch lernten .
Die Zukunft ? – Hat es denn heute noch einen Sinn in unserer nutzorientierten Welt , diese Sprache zu erlernen , die von deutschen Muttersprachlern zwar gewissermaßen verstanden wird , aber vom heutigen Schwäbischen stark abweicht , größtenteils veraltet wirkt und mit ungarischen Lehnwörtern angereichert ist ? – Die Antwort fällt uns schwer . Uns beruhigt aber einigermaßen , dass wir dieses Wörterbuch endlich in der Hand halten , auch wenn sehr bald nur noch unsere DNA unser Schwäbisches Erbe bewahren wird .
Ratka , den 07 . 12 . 2021 Georg Endrész , Judit Endrész
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