Sonntagsblatt 2/2020 | Page 7

Schwaben? Wer denkt an sie? Man müsste aber gleichzeitig fragen, warum diese Schwaben das nicht einfordern? Weil sie der (Groß-) Muttersprache etwa nicht mehr mächtig sind? Hatte Georg Sawa wieder mal Recht gehabt und wir haben uns billig verkauft?! Epilog Dass es insgesamt anders geht, dafür liefert uns das öfters zitierte Bistum Temeswar wieder mal ein gutes Beispiel. Kurz nach der Verkündigung der Einschränkungen in der Seelsorge trat Bischof Josef-Csaba Pál vor die Mikrofone oder besser gesagt vor das Smartphone und wandte sich an das Kirchenvolk und zwar in drei Sprachen: auf Deutsch, Rumänisch und Ungarisch. Eine Erfahrung, die uns in Ungarn nicht zuteil wurde, wahrscheinlich feilt die Ungarische Bischofskonferenz immer noch an ihrem Hirtenbrief in deutscher, slowakischer, kroatischer und Lovari- sowie Beasch-Sprache. Genauso fehlten Hinweise, wann Messen in solchen Sprachen im Internet übertragen werden. Hier waren die in Rumänien wieder Vorreiter - einfach, weil es dort authentisch ist und das ohne Prädikat „mustergültig”. Von Minderheitenrechten in Ermächtigungszeiten Von Richard Guth Wir erleben ohne Zweifel eine besondere Zeit: eine Zeit, die unterschiedliche Reaktionen auslöst, je nach Persönlichkeit, kulturellem Hintergrund, Mentalität oder Traditionslinien. Manche beschwören die Kraft der Gemeinschaft sowie die Bedeutung des Zusammenhalts und meinen es auch ernst. Andere tun dies wiederum, aber viele zweifeln an der Ernsthaftigkeit dieser Verlautbarung. Manche meinen, gerade in solchen Zeiten sollte man demokratische Strukturen stärken und auf die Eigenverantwortung und auf die Mündigkeit des Bürgers setzen, anderenorts wiederum schränkt man verbriefte Rechte ein. Wenn es um unser höchstes Gut, die Gesundheit, geht, dann mag man sogar zustimmen, aber wenn dies nur als Attrappe dient, dann löst das zu Recht Kopfschütteln aus. Man könnte das soeben Geschilderte auf viele Bereiche anwenden, ich beschränke mich aber auf das Religionsleben. Verbrieftes Recht jedes Minderheitenangehörigen ist die Seelsorge in der Muttersprache, was selbst in „Friedenszeiten” nicht jedem gewährt wird. Die Gründe sind vielfältig: Man beruft sich mal auf die historische Entwicklung, mal auf die sprachliche Assimilierung und mal darauf, dass es an Nachfrage fehle. Mag in bestimmten Fällen was dran sein, aber eins stört mich dabei immer: Wir sprechen hier von etwas, was in anderen Minderheitengemeinschaften um uns herum eine Selbstverständlichkeit ist. Gerne nehme ich von Zeit zu Zeit das Beispiel des Bistums Temeswar: Nach dem Massenexodus der Deutschen in der Wendezeit werden die Angehörigen unterschiedlicher Nationalität und Muttersprache der dortigen katholischen Diözese mehrheitlich von madjarischen Geistlichen betreut – selbst der neue (aber seit 1985 im Bistum aktive) Bischof ist ein Madjare, ein Novum in der Geschichte des Bistums, waren doch bislang alle Bischöfe deutscher Nationalität. Für diese madjarischen Priester ist es dennoch eine Selbstverständlichkeit, dreisprachige Seelsorge (mancherorts aber auch Seelsorge in kroatischer und tschechischer Sprache) zu betreiben. Mit einem solchen Priester haben wir an Ostern ein Interview geführt – zu seiner Berufung gehörte nach eigenen Angaben auch diese Multilingualität. Wer meint es hier mit Einzelkämpfern zu tun zu haben, der irrt sich: Das Bistum schickte diesen Pfarrer zur Vertiefung seiner Deutschkenntnisse nach Fulda. Wäre auch mal ein gutes Beispiel für die ungarischen Bischöfe! Denn wir wissen: Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Dieser genannte Geistliche hält in Coronazeiten im Übrigen regelmäßig Heilige Messen auf Ungarisch, Rumänisch und Deutsch. Aber er ist keineswegs ein Einzelfall: Auch sein Bischof liest regelmäßig Messen in allen drei Sprachen. Also: Wo eine Struktur herrscht, da läuft es. In Ungarn sucht man Derartiges selbst in „Friedenszeiten” nur mit der Lupe. Deutsche Messen sind rar und hängen immer noch oft von dem Willen oder Unwillen des Ortspfarrers und vom Durchsetzungsvermögen engagierter Pfarrgemeinderatsmitglieder und Mitglieder der DNSVW ab. Oft schließt man (eigentlich faule) Kompromisse, um dem Pfarrer entgegenzukommen: Liturgie auf Deutsch (oder wie es gerade vorgelesen wird), Predigt und Ansprachen (und alles andere) auf Ungarisch. Dabei trägt die Geistlichkeit keinesfalls die alleinige Schuld: Jeder weiß, wie es um die Fremdsprachenkenntnisse der Ungarn bestellt ist. Jeder weiß, dass es keine intakten Dorfgemeinschaften nichtungarischer Sprache mehr gibt. Jeder weiß, dass die Katholische Kirche schon immer eine eifrige Madjarisiererin war. Dennoch wäre es ungerecht, die Situation nur schlechtzureden. Ein positives Beispiel in diesen Coronazeiten liefert eine ehemalige Bergbaustadt unweit von Budapest, die von der Vertreibung verschont geblieben ist. Der Ort hatte echt Glück und nicht nur in dieser Hinsicht: Zwischen Kriegsende und Wendezeit diente ein Pfarrer deutscher Nationalität und Muttersprache hier, der selbst in den dunkelsten 50er Jahren auf Deutsch predigte. Aber auch nach seinem Rückzug dienten und dienen solche Priester (wenn bis auf eine Ausnahme nicht der jeweilige Pfarrer), die der deutschen Sprache mächtig sind und sich Predigten in der Sprache der Ahnen zutrauen. Corona hat ab dem Frühjahr dazu geführt, dass Messen nur im kleinen Kreis stattfinden können, die dann mitunter im Lokalfernsehen übertragen werden. Erfreulich zu beobachten war, dass eine der vier Messen im April eine deutschsprachige war. Man könnte motzen, warum nur eine, aber angesichts der Tatsache, dass dieser besagte Gottesdienst am dritten Ostersonntag der einzige der Woche war, sollte man Ruhe walten lassen. Man könnte genauso monieren, dass der konzelebrierende Ortspfarrer seine Schlussansprache auf Ungarisch hielt, obwohl er ja seit fast zwei Jahrzehnten deutsche Messen liest (im wörtlichen Sinne). Aber wir wissen, alles ist relativ. Zwei Orte weiter, eine Gemeinde, zur Hälfte vertrieben, regelmäßige deutsche Messen seit über zwei Jahrzehnten wieder (zuvor waren einmal im Monat die Grundgebete und die Lieder auf Deutsch)! Die Vertreibungsmesse im April wird seit dem 50. Jahrestag der Vertreibung im Jahre 1996 in deutscher Sprache gefeiert - bis Corona kam, denn in diesem Jahr las sie der Ortspfarrer auf Ungarisch, lediglich die Lieder waren auf Deutsch. Alles im kleinen Kreis, aber übertragen vom bereits erwähnten Lokalsender! Ein einmaliger Ausrutscher? Das bleibt zu hoffen. Ich habe zwar in der Vergangenheit bei der vormaligen DNSVW-Vorsitzenden vielfach reklamiert, dass die anschließende Kranzniederlegung nicht zweisprachig vonstattenging, aber dieser neue Vorfall übertraf es bei weitem. Es wäre sicherlich müßig, den Pfarrer nach seinen Beweggründen zu fragen. Es ist halt so gelaufen, wir sprechen ja alle Ungarisch, könnte man meinen. Aber lassen wir uns wirklich ohne weiteres so einfach unsere erkämpften Rechte nehmen? Für mich bleibt diese Frage jedenfalls eine rhetorische. Epilog: Im Juni kehrt allmählich Normalität ein – es werden in beiden Orten unweit von Budapest, nach fast zwei Monaten Pause (denn die Aprilmesse in der ehemaligen Bergbaustadt war die vorerst letzte), wieder regelmäßig deutsche Messen gelesen. SoNNTAGSBLATT 7