Sonntagsblatt 2/2020 | Page 29

einen Nussbaum, eigens gepflanzt. Wenn wir selbst keine guten Menschen waren, hinterlassen wir ein talentiertes Kind oder Enkelkind – unauslöschbar. Sinnlos wird keiner geboren. Jeder hat irgendeine Mission, auch wenn wir uns darüber im Moment unseres Todes nicht im Klaren sind. Obwohl die Helden meiner Historie stürmische Zeiten erlebt haben, dürfen wir nicht vergessen: Jede Zeitepoche ist historisch. Denken wir daran, wenn wir das Gefühl haben, dass unser Leben keinen Sinn hat. Auch wenn die Zeit das Andenken an uns hinwegfegt wie die unbarmherzigen Wellen des Meeres die im Sand hinterlassenen Fußspuren, sind diese da gewesen und wenn auch nur ein wenig haben sie Welt verändert. Wir werden geboren, wir lieben, hassen, genießen, leiden, legen uns schlafen, stehen auf, machen Liebe, streiten uns, unterhalten uns, arbeiten, verdienen Geld und geben dieses aus, führen Kriege, schließen Frieden, umarmen uns, stoßen uns gegenseitig ab, man passt auf uns auf und wirft uns weg, wir ärgern uns, sind glücklich, weinen, lachen, beeilen uns, ruhen uns aus, akzeptieren, lehnen ab, bauen, zerstören, fügen Wunden zu, heilen, sind treu, betrügen, sind gut, böse, schön, hässlich, leben und sterben, sind Menschen und hinterlassen nach dem Regen im Matsch unsere Fußspuren. SoNNTAGSBLATT ______________________ Auszug aus dem neuen Roman „Fußspuren im Matsch” (Lábnyomok a sárban) von Gábor Pfeiffer, Tscholnok. Deutsche Übersetzung: Richard Guth Josef, Rosa, auf ihrem Rücken im Tuch eingewickelt Michael, Elisabeth, der alte Hoffer und zwei ältere Jungs fanden Platz auf dem Plateau eines Militärfahrzeugs. Um sie herum ihr Hab und Gut, was sie schnell zusammentragen konnten. Am Vortag goss der Frühlingsregen wie aus Eimern, ununterbrochen, ohne ihn trösten zu können. Erst spätnachts ließ er nach. Frühmorgens waren Hof und Straße voller Pfützen und Matsch. Rosa verpackte, auf entschlossene Anweisung ihres Mannes hin, selbst das von Frau Frida geschenkte Kaffeeservice. Als ob sie auf ihrer Reise das am nötigsten hätten! Die Jungs verstanden nicht wirklich, wohin die Reise führt, aber da alle weinten, taten sie dasselbe, während sie ihr Lieblingsspielzeug an sich pressten. Die Straße verlor sich allmählich zwischen den Bäumen der Allee, aber sie sahen noch in der Kurve, wie Gastl, der Hirt, die Herde auftrieb und wie sich die Gänse in den Pfützen auf der Wiese vor dem Haus mit gekräuselten Federn wuschen. Josef hatte sich bemüht, seine Frau zu beruhigen: „Es wird alles gut, Rosa. Glaub mir! Wir gehen nicht zu Fremden. Wir bekommen ganz sicher eine schöne Wohnung, wir sind ja doch Deutsche! Einen guten Schuster braucht man auch dort. Deutsch sprechen wir alle gut. Über kurz oder lang werden wir die Kurve kriegen, das wirst du schon sehen. Später, wenn wir ein Stück Land erwerben können, dann werden wir wieder Wein anbauen. Denk an die, die man zu den Russen verschleppt hat. Sie müssen Zwangsarbeit leisten. Uns erging es auf alle Fälle besser. Im Vergleich zu ihnen werden wir wie Herren leben. Ich verspreche, dass du auch ein Bad haben wirst! Kormosch lief ausdauernd, hechelnd ihnen hinterher. Die Jungs wollten dieses arme Viech auf jeden Fall mitnehmen obwohl ihre Mutter beteuerte, dass dies nicht möglich wäre, weil die Genehmigung dazu fehle. Johann löste sich mit Gewalt aus den Armen seiner Mutter und sprang vom Wagen. Seine Patschker – die er an Weihnachten voller Stolz anzog, wohlwissend, dass sie von seinem Vater in Handarbeit angefertigt worden waren… – er sank im Matsch bis zu den Knien ein. Er umarmte den Hund und hielt ihn verkrampft, weinend und zitternd fest. Der Verzögerung wurde von einem ungeduldigen Wächter ein Ende gesetzt. Er entriss dem Kind den Hund, schob Johann beiseite, zog das Gewehr und schoss auf das Tier. Der Hund fiel mit einem leisen Wau um. Ungewollt trat er noch zweimal mit seinen Hinterbeinen, bis er sich bewegungslos ausbreitete. Das Ganze dauerte weniger als ein paar Sekunden. Der Bewaffnete trat zum Abschied seine verdreckten Stiefel am Kadaver ab. Das konnte Josef nicht mehr zulassen. Er sprang vom Wagen und spuckte dem Wärter ins Gesicht. Er schnappte sich den Jungen und kletterte auf das Plateau. Rosa zog verschreckt das weinende Kind zu sich. Die winzigen Fußspuren von Johann blieben im Matsch zurück. Mehr haben sie nicht hinterlassen, bis auf den Kadaver von Kormosch, der allmählich auskühlte. Der Hundemörder drohte weiter mit seiner Waffe und fluchte lange. Josef versuchte erneut, Rosa zu beruhigen: „Weine nicht, Rosa! Es wird uns gut gehen in der neuen Heimat! Ich wollte eigentlich schon immer da hin. Erinnerst du dich, dass wir einmal drüber sprachen, einst dorthin zu ziehen?! Natürlich war es nicht ganz so geplant. Aber wenn es so gekommen ist, dann sehen wir die gute Seite der Sache!” Aber jedes Wort war umsonst. Dieser ruhmlose Tag fiel auf den 19. März 1946, als sie ihre ungarische Staatsbürgerschaft verloren haben. Als wir in Kleinturwall ankamen, war der Bahnhof bereits mit Menschen gefüllt, die das gleiche Schicksal geteilt haben. Der Nachbar Koller und seine Familie mussten mit der eigenen Kutsche das innig geliebte Heimatdorf verlassen. Der Fuhrmann fiel an den Gleisen wie ein Kind weinend ins Gesicht seiner Pferde, während er mit beiden Händen an deren Haaren streichelte. Die Soldaten trieben ihn mit Schlägen von den Tieren fort. Csillag blickte den Schotterstein tretend, seinen Kopf senkend und dann wieder aufrichtend, mit traurig schimmernden Augen seinem Besitzer hinterher. Josef sah zum ersten Mal in seinem Leben ein Pferd, das weinte. Nach Erzählungen der Verbliebenen haben diese Tage jeden zutiefst erschüttert. Diejenigen, die - warum auch immer - bleiben konnten, und die im Dorf verbliebenen Madjaren beobachteten erschüttert, unter welchen Umständen ihre Verwandten, Bekannten und Familienmitglieder aufbrachen. Genauso herzzerreißend war der Anblick der verlassenen Höfe. Es war schwer, in der Atmosphäre von Angst und Misstrauen das gewohnte Leben fortzuführen. Das Dorf verlor einen Großteil seiner Bewohner. Die „Mitarbeiter” des Amtes für Volksfürsorge plünderten die leeren Häuser und viele wurde wieder bezogen. Später wurden die herrenlosen Höfe und Böden unter den anstehenden, aus Siebenbürgen und dem ehemaligen Oberungarn Zwangsumgesiedelten verteilt. Es ist heute schwer vorstellbar, was für ein Verhältnis zwischen den Alteingesessenen und den „telepesek” entstand. Sie hatten auch nicht hierherkommen kommen wollen. Auch ihnen war Haus und Grund genommen worden. Die traumatisierten Altbewohner sahen jedoch in ihnen nur Eindringlinge. Es dauerte lange, bis sich die Situation normalisierte. Viele der nach Deutschland Deportierten konnten ihre Verwandten nie mehr wiedersehen und das Glockengeläut von Wudigess nie wieder hören. _________________________________________________ Das Buch ist in ungarischer Sprache erschienen. Zu beziehen beim Autor über die E-Mail-Adresse [email protected] oder die Mobilfunknummer +36303601853. Öffentliche Buchvorstellung am 1. August 2020, 14:30 im Café und Bistro „Dióhéj“ in Schambek/Zsámbék. Die Donauschwaben - eine Filmkritik Von Armin Stein Die Rubrik „Filmkritik“ des Sonntagsblattes widmet sich der Aufgabe Aufmerksamkeit auf Filme und Dokus zu lenken, welche von den Ungarndeutschen oder den deutschen Minderheiten Ostmitteleuropas handeln. Als Erstes stelle ich das Dokudrama „Die Donauschwaben“ (Originaltitel „Podunavske Svabe“) vor. Der Film von Regisseur und Drehbuchautor Marko Cvejić ist eine serbische Produktion von 2011. Das Thema ist der Niedergang der deutschen Minderheit in der Wojwodina. (Fortsetzung auf Seite 30) 29