Literatur
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SB: Sie sind Musiker, allerdings gehört Bluesgitarre nicht
zu den traditionellen ungarndeutschen Musikinstrumenten -
hatte das musikalische Leben in Tscholnok dennoch einen
Einfluss darauf?
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Erinnerungsstücke
Der Tscholnoker Musiker und Schriftsteller Gábor Pfeiffer
über sein neues Buch „Fußspuren im Matsch“
SB: Sie sind gerade mit einem Roman fertig geworden, der
den Titel „Fußspuren im Matsch“ trägt. Was hat Sie dazu
bewogen die Pfeiffer-Familiengeschichte in dieser Form zu
verarbeiten?
GP: Ehrlich gesagt habe ich mich früher nicht wirklich mit der
Vergangenheit meiner Familie und meines Heimatdorfes Tscholnok/Csolnok
beschäftigt. Ich habe von meinen Eltern und Großeltern
in meiner Kindheit wohl Geschichten gehört, aber diese
berührten mich damals nicht wirklich. Beim Urlaub – vor etwa
vier Jahren – habe ich eine fünfköpfige deutsche Familie erblickt.
Der Junge, der dabei war, erinnerte mich an ein anderes Kind
aus der Verwandtschaft. Erst habe ich mir vorgenommen, dem
Lebenslauf dieses Kindes zu folgen. Es kam aber anders. Aber
als ich dann doch Nachforschungen angestellt habe, kamen mir
die vor langem gehörten Geschichten wieder in den Sinn. Der
Roman selbst besteht aus drei Teilen. Alles hat einen Tatsachenkern,
aber die Geschichte enthält auch fiktionale Elemente.
Beim ersten Teil geht es um die Lebensgeschichte um des jüngeren
Brudersmeines Großvaters väterlicherseits. Er verschwand
in der Ukraine. Wir wissen nicht viel über ihn. Dieses Kapitel
ist meist fiktional. Natürlich taucht in der Geschichte der Alltag
im damaligen schwäbischen Dorf auf. Es geht dabei um Liebe,
Krieg, Freundschaft, Geburt und Tod. Beim zweiten Teil des Romans
geht es um die Geschichte der jüngeren Schwester meiner
Großmutter mütterlicherseits. Dieser Teil fußt auf mehr Tatsachen.
Diese Schwester heiratete einen Wudigesser und wurde
von dort mit vier weiteren Familienmitgliedern vertrieben. Eine
Reihe tragischer Ereignisse erwartete sie in der neuen Heimat.
Zum Glück hat einer ihrer Söhne vieles aufgezeichnet, deshalb
hatte ich bei diesem Kapitel ein leichteres Spiel. Der dritte Teil
des Romans beschreibt schließlich den Deutschlandbesuch meiner
Eltern im Jahre 1965. Ich habe recht viel geforscht, damit das
Buch, soweit möglich, authentisch wirkt. Viele der Information
waren neu für mich. Und ich denke, sie werden auch für viele anderen
neu sein. Womöglich werden auch einige Politikernamen
überraschend vorkommen. Ich wollte keinen Roman schreiben,
der die Ereignisse dokumentiert, sondern vielmehr ein Lebensgefühl
vermitteln, nichtsdestotrotz enthält das Werk unzählige
konkrete Angaben zum historischen Hintergrund. Dienerschaft,
Holocaust, Kirmesball, SS-Rekrutierung, Gefangenenlager, der
Sozialismus der 1960er Jahre...
SB: Wie haben Sie das ungarndeutsche Dasein selber erlebt?
GP: Ich habe bereits als Kindergarten- bzw. Grundschulkind
Deutsch gehabt. Mein Bruder hat erst im Kindergarten Ungarisch
gelernt. Bis dahin sprach er nur Schwäbisch, die Sprache in der
Familie. Meine Großeltern trugen noch Ende der 70er, Anfang
der 80er Jahre die Volkstracht. Ich selbst fühlte mich – was ich
ein wenig bedauere und wofür ich mich schäme – in meiner Kindheit
und Jugend kaum mit dem Schwabensein verbunden. Die
Zusammensetzung der Bevölkerung hatte sich in der Zwischenzeit
bedeutend verändert. Ich habe auch eine Nichtschwäbin
geheiratet. Leider Gottes sprechen meine Söhne kein Deutsch,
obwohl sie diese Sprache 12 Jahre lang gelernt haben. Daran
bin ich auch schuld. Trotzdem ist bei uns die deutsche Identität
immer noch sehr stark, weil es viele Kulturgruppen gibt, die die
Traditionen pflegen. In der Umgebung gilt Tscholnok immer noch
als schwäbisches Dorf.
GP: Mein Bruder hat einige Jahre Trompetenunterricht in der
örtlichen Großkapelle genommen, aber diese Art von Musik hat
mich nie fasziniert, auch jetzt stehe ich nicht wirklich auf Schrammelmusik.
Obwohl ich die Bläser in meiner Musikrichtung durchaus
mag. Bereits früh habe ich Rock und Blues gehört. Ich war,
glaube ich, fünf Jahre alt, als ich eine Spielgitarre bekommen
habe. Ich wollte schon immer Gitarre spielen und singen, obwohl
Singen mittlerweile nicht mehr Teil meines Alltags ist. Im Übrigen
ist das musikalische Leben im Dorf sehr rege. Es gibt Blaskapellen,
Chöre und Tanzgruppen.
SB: Wie sehen Sie die gegenwärtige Lage der Ungarndeutschen
in Tscholnok und anderswo?
GP: Ich denke, wenn jemand sein Schwabensein erleben möchte,
kann er das auch. Die Kinder lernen in der Nationalitätenschule
Deutsch und es gibt unzählige Gruppen in Tscholnok, die
die Traditionen bewahren wollen. Leider tat die Politik der Nachkriegszeit,
egal welchen Couleurs, dem Verhältnis zwischen
Schwaben und Madjaren nicht gut, aber das spürt man heute
nicht mehr. Auch darüber schreibe ich in meinem Roman. Hin
und wieder, von hie und da höre ich despektierliche Äußerungen,
aber ich denke, das ist heute nicht mehr allgemeingültig.
SB: Sie haben sechs Jahre in Österreich, im deutschsprachigen
Umfeld verbracht - welchen Einfluss hatte es auf ihre
(ungarndeutsche ) Identität?
GP: Da ich Mundart spreche, dachten in Österreich viele, dass
ich die Sprache sehr gut beherrsche, was anfangs nicht ganz
stimmte. Es war aber eine gute Gelegenheit, um meinen Wortschatz
aufzufrischen. Ein Beispiel: Ganz am Anfang fragte mich
in Innsbruck ein Kollege von mir, seit wann ich dort arbeite. Ich
zeigte mit dem Finger: seit zwei. „Seit zwei Jahren?”, fragte er?
„Nein”, sagte ich, „seit zwei Monaten.” In meiner letzten Arbeitsstelle
gab es einen Mazedonier, der seit seiner Kindheit in Österreich
lebte. Er hat mich oft korrigiert, weil er nur Hochdeutsch
sprach. Es ist witzig, mein jetziger Chef in Ungarn ist ein deutscher
Herr, der meint, ich würde österreichisch sprechen. Ich
habe eine beachtliche Karriere mit meinen lückenhaften Sprachkenntnissen
durchlaufen. Da ich in dem Umfeld eher akzeptiert
wurde als Söhne von anderen Nationen oder waschechte Madjaren,
habe ich mich gefreut und war stolz, dass meine Eltern und
Großeltern mir damals das Schwäbische beigebracht haben. Ich
fühlte mich wie ein Verwandter unter ihnen. Vielleicht spielte es
mit eine Rolle, dass ich mit dem Romanschreiben begann.
SB: Wir haben bei der Vergangenheit begonnen, werfen wir
deswegen einen Blick in die Zukunft: Wie sehen Sie die Zukunft
der Deutschen in Ungarn?
GP: Ich denke, wir haben in unserer Heimat alle Möglichkeiten,
um unser Schwabensein zu erleben. Vielleicht - unsere parlamentarische
Vertretung ist nicht gelöst. Ich hoffe, dass ich mit
meinem Buch dazu beitragen kann, dass unsere Vergangenheit,
Bräuche und Sprichwörter nicht in Vergessenheit geraten.
Das Motto meines Buches lautet ja: „Manch einem wird mehr,
man einem weniger Zeit auf Erden zuteil“. Dennoch hinterlässt
jeder Spuren in uns und der unendlichen Geschichte. Es kann
vorkommen, dass wir nur für Tage oder Monate im Leben eines
anderen auftauchen, aber durchaus auch, dass wir zu Weggefährten,
Partnern und Freunden eines anderen werden. Es gibt
Menschen, denen nur ein-zwei Jahrzehnte gegönnt wird und die
das Gefühl haben, nichts hinterlassen zu haben. Es gibt aber
solche, denen wesentlich mehr Zeit gegönnt ist, aber dennoch
meinen, ein langweiliges Leben zu führen. Es gibt welche, die
nur ein Gedicht hinterlassen und welche, die ein Lied und wiederum
welche, die ein Haus, mit den eigenen Händen gebaut oder
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