Sonntagsblatt 2/2020 | Page 27

sagt. Sie haben hinzugefügt, dass einige Jahre zuvor die mit den schwarzen Ledermänteln dich sofort ins Gefängnis verschleppt hätten. Nun saß ich aber gegenüber dem Bischof. SB: Welche Erfahrungen haben Sie als Pädagogin gesammelt? Ich denke hier in erster Linie an die Sprachkenntnisse und die Identität der Kinder. EF: Die Kinder haben von zu Hause fast keine deutschen Sprachkenntnisse mitgebracht. Einige verstanden den Dialekt, aber antworteten ihren Angehörigen ungarisch. Während meiner 40 Jahre in der Grundschule gab es drei Kinder, die den Dialekt sprechen konnten, haben ihn aber später auch verlernt. Als wir in der Volkskundestunde hier gesammelte Reime, Gedichte in Mundart lernen mussten, haben die Großeltern mitgeholfen. Das „Winsch‘ euch“ hat ein jedes Kind gekannt. Bei uns im Dorf gab es schon damals viele Mischehen, zu der Frage der Identität kann ich mich nicht wirklich äußern. SB: Ihre Kinder wohnen im deutschsprachigen Ausland. Welchen Einfluss haben die Aufenthalte bei ihnen auf Ihre Identität? EF: In Deutschland wird man meistens als Ausländer behandelt, obwohl man die Sprache gut beherrscht. In der christlichen Kirche werde ich sehr liebevoll, gleichberechtigt behandelt. Ich habe auch schon mehrere Freunde, Freundinnen dort. Mein Sohn lebt mit seiner Familie in Österreich. Auf seinem ersten Arbeitsplatz wurde er von einem Kollegen als Fremder, Migrant behandelt. Dieser Mann hat ihn nicht zurückgegrüßt, seine Fragen nicht beantwortet. Nach einem Jahr hat er deswegen gewechselt. Auf seinem neuen Arbeitsplatz ist er jetzt schon fünf Jahre. Hier fühlt er sich gleichberechtigt behandelt und wohl. In einem kleinen Ort hat er ein kleines Haus gekauft. Die Leute haben ihn und seine Familie liebevoll in die Gemeinschaft aufgenommen, sie sind stets behilflich und nett. Meine Tochter lebt mit ihrer Familie in Deutschland, sie haben dort ein Haus gekauft. Die Deutschen waren zuerst freundlich, aber fernhaltend, aber durch die Freundinnen und Freunde ihrer Kinder hat sie liebevolle, hilfsbereite Familien kennen gelernt. Ich fahre gerne nach Deutschland und Österreich, aber auf dem Heimweg, wenn ich unseren Kirchturm erblicke, dann klopft mein Herz schneller. Ich bin hier zu Hause, Wemend ist mein heißgeliebtes Heimatdorf und Ungarn ist meine liebe Heimat. Hier bin ich zu Hause, hier fühle ich mich richtig wohl. Ich bin stolz, dass ich zu den Ungarndeutschen gehöre. SB: Wie sehen Sie die Lage der Ungarndeutschen? Worin sehen Sie die größten Herausforderungen? EF: Die Lage der Ungarndeutschen sehe ich nicht rosig. Da wir Schwaben so verachtet wurden, war es am besten, wenn wir unsere Muttersprache zu Hause benutzten – daher hielten viele von uns unseren Mundart nicht mehr für wichtig. Mit unserer Generation (1940/50er Jahrgänge) verschwindet auch unser schöner Dialekt. Mein Vater erzählte einst, dass er einen schönen Plakat sah, auf dem mehrere Männer einen Baum mit der Wurzel herauszogen. Da stand: „Gyökerestül írtsuk ki a svábokat!“ (Mit der Wurzel zusammen rotten wir die Schwaben aus!) Bis zu den 1960er Jahren hatten wir keinen Deutschunterricht. Dann begann er mit wöchentlich zwei-drei Stunden, und diese waren entweder morgens um 7:10 oder nach der letzten Stunde um 13 Uhr. Ich war in den 1980er Jahren mit Hilfe der Österreichischen Landsmannschaft in Baden auf Fortbildung. Da kam eine Reporterin aus Rumänien mit deutsch-ungarischer Abstammung und fragte, wie zufrieden wir mit unserem Nationalitätenunterricht wären. Wir sagten, wir wären zufrieden, wir haben wöchentlich drei Stunden. „Das nennt ihr Nationalitätenunterricht?“, fragte die Reporterin, „ich ging in einen deutschsprachigen Kindergarten, wo wir nur deutsch sprachen, und in der ungarischsprachigen SoNNTAGSBLATT Grundschule lernten wir alle Fächer auf Ungarisch.“ Dann waren wir, Lehrer, schockiert, dass so etwas für Minderheiten erlaubt ist. Damals, als wir nur Deutsch sprechen konnten, wäre es wunderschön gewesen, wenn wir die Gelegenheit gehabt hätten, in deutschsprachigen Schulen zu lernen. Das war und bleibt für uns nur ein Traum, auch heutzutage bedeutet Nationalitätenunterricht fünf Deutschstunden plus eine Volkskundestunde pro Woche. Obwohl unsere führenden politischen Kräfte für die im Ausland lebenden Ungarn rein ungarischsprachige Schulen und den Unterricht der Landessprache in nur einigen Stunden fordern. Wo könnte man sowas bei uns vorstellen?! Wegen diesem mangelhaften Unterricht ist die Assimilation so groß geworden, dass vieles schon zu spät ist und vieles verschwindet. Ich bin sehr traurig, dass wir bis 2018 warten mussten, bis wir endlich einen einzigen deutschen Abgeordneten ins Parlament wählen durften, die anderen ungarländischen Minderheiten hatten nicht einmal so viel Glück. Bisher hatten wir auch einen Vertreter, der aber kein Stimmrecht hatte. Wir durften, wenn wir für unseren deutschen Abgeordneten gestimmt haben, für keine Partei stimmen, wo ist hier die positive Diskrimination, was vorher vorhanden war?! Darüber könnten auch unsere Politiker nachdenken, mit dem Ausland vergleichen und dann Selbstkritik üben. Die Registration brauchte man früher auch nicht, jetzt ist sie dafür gut, dass weniger Leute für die Minderheiten stimmen können. Die Alten können sich online nicht registrieren, und wenn die Mitglieder der Minderheitenselbstverwaltungen nicht von Haus zu Haus gehen, dann können die Minderheitenvertreter nicht gewählt werden, weil es zu wenig Registrierte gibt. Warum können unsere Angehörigen, die im Ausland leben, ihre Stimme nicht per Brief abgeben? Sie müssen hunderte Kilometer nach Wien oder Stuttgart fahren, wo sie ihre Stimme abgeben können. Für sie wäre Briefwahl auch besser. Es ist auch bedenklich, dass wir nur zwei Stunden Radiosendung pro Tag haben und wöchentlich eine halbe Stunde Fernsehsendung mit einmal Wiederholung. Unser Kirchendach in Wemend müsste dringend neugemacht werden, dafür bräuchten wir ca. 60 Millionen Forint (180.000 Euro, R. G.). Jetzt sammeln wir schon mehrere Jahre Spenden bei unseren Adventskonzerten für den Eigenanteil. Vielleicht bekommen wir auch einmal dafür Fördergeld vom ungarischen Staat. Wie ich gehört habe, hat der ungarische Staat 2018 nur an einem einzigen Ort im Ausland für die ungarischen Minderheiten mehr Fördergelder gespendet als für die ganzen Minderheiten in Ungarn. Liebe Politiker, wir sind auch da, fühlen uns aber benachteiligt, verglichen mit den im Ausland lebenden ungarischen Minderheiten. Ich möchte es betonen, dass ich die im Ausland lebenden ungarischen Minderheiten mag, ich weiß, dass sie viel Hilfe brauchen um ihre ungarische Identität bewahren zu können. Man kann auch helfen, aber man muss auch ein Auge haben für die im Ungarland lebenden Leute und Minderheiten. Weil ich viel ins Ausland fahre, sehe ich unterwegs in Ungarn viele kleine Orte, die in jämmerlichem Zustand sind. Dorthin kann man auch Fördergelder schicken, auch unsere Krankenhäuser könnte man in besseren Zustand bringen und unsere Ärzte und Krankenschwestern viel besser bezahlen, weil letztendlich gehen sie dann alle ins Ausland. SB: Frau Falk, vielen Dank für das Gespräch! Das Gespräch führte Richard Guth. 27