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mein (ungarn-) deutschtum (31)
Die pensionierte Grundschullehrerin Elisabeth Falk (67)
aus Wemend im SB-Gespräch über ihre Erfahrungen als
Schwäbin deutscher Muttersprache
SB: Wie haben Sie das ungarndeutsche Milieu, in dem Sie
aufgewachsen sind, empfunden?
EF: Meine Mutter wurde am 26. Dezember 1944 nach Russland
verschleppt, zur Malenkij Robot. Sie kam am 22. August 1947
zurück. Nach zwei Wochen kam das Aussiedlungskomitee und
forderte die Familie auf, Haus und Hof zu verlassen. Sie teilten
ihnen mit, sie nach Deutschland vertreiben zu wollen. Damals
war Mutti erst drei Wochen zu Hause. Sie stellte sich vor das
Komitee und sagte, dass sie jetzt mehrere Jahre gekämpft habe,
bis sie endlich wieder nach Hause kommen konnte, daher gehe
sie nirgends hin, sie sollten sie jetzt sofort totschießen. Imre Kovácsi
aus Hadikfalu hat unser Haus bekommen. Er hat es erledigt,
dass Mutti, ihre Geschwister und die Eltern im Haus bleiben
durften, sie durften die hintere Küche und das Zimmer behalten.
Als Tagelöhner arbeiteten sie auf ihren eigenen Feldern fürs tägliche
Brot.
1949 haben sie sich entschieden, auf das verstaatlichte Schleier-Gut
zu ziehen: 12 Jahre waren wir auf der Dömörkapupuszta.
Dort wohnten ca. 15 vertriebene Familien, fast alle aus Wemend.
Wir Kinder waren dort glücklich, fühlten uns dort wohl. Die Leute
sprachen dort alle „wemenderisch“. So wuchsen wir auf und kamen
in die Schule und konnten kein Wort Ungarisch. Die ungarische
Sprache haben wir in der Schule gelernt. Auf der Pußta haben
wir Kinder untereinander in Wemender Dialekt gesprochen.
Auch zu Hause und mit den Nachbarn haben wir schwäbisch
gesprochen. Die Erwachsenen trugen die Wemender Volkstracht,
wir Kinder aber nicht mehr. Als wir aufs Gymnasium nach
Fünfkirchen kamen, haben unsere Mütter ihre Volkstracht abgelegt
und sich „herrisch“ angezogen. Sie dachten, sie würden in
ihrer Volkstracht in der Stadt abgesehen. In den Familien, in den
die Kinder nicht weitergelernt haben, dort haben die Mütter die
Tracht länger behalten, es gab aber Ausnahmen. Für uns war
das schwäbische Umfeld gesichert. Mein Vater hat mir erzählt,
dass er, als er im Zug mit seinem Freund schwäbisch redete, von
einer Frau angesprochen wurde – diese fragte: „Milyen kenyeret
eszik maga?“ (Was für ein Brot essen Sie?, R. G.) Er sagte:
„Búzakenyeret (Weizenbrot, R. G.).“ Sie wartete auf die Antwort:
„Magyar kenyeret (ungarisches/madjarisches Brot, R. G.).“
Im Jahre 1961 sind wir nach Wemend gezogen. Da wohnten
viele Ungarn aus Rumänien und der Slowakei. Da sprachen wir
schon ungarisch auf der Straße, aber zu Hause deutsch. Damals
hast sich die Lage zwischen den Deutschen und Ungarn bereits
beruhigt. Wir wohnten im Frieden miteinander. Meine Kinder,
1974 und 1977 geboren, hörten zu Hause den Dialekt, sie verstanden
auch alles, aber sie reagierten bereits auf Ungarisch.
Als die Wemender GJU gegründet wurde, waren sie sehr aktiv,
da fingen sie an, untereinander im Dialekt zu sprechen – da kamen
sie und sagten, lasst uns, Mutti, das Schwäbische üben,
sie haben auch ein Theaterstück einstudiert und vorgetragen im
Mundart, der Titel war „Lustiger Sonntag“.
SB: Religion spielte in ungarndeutschen Dörfern lange eine
bestimmende Rolle: Gab es in den Jahren, die Sie beschrieben
haben, deutsche Seelsorge durch katholische Priester?
EF: Adalbert Hernai (Hesz), unser Kantorlehrer und Direktor,
schrieb in seinem Tagebuch im Jahre 1945, im Mai seien die
Ungarn (Sekler) aus der Bukowina gekommen. Von nun an
war alles ungarisch in der Kirche. Es änderte sich alles schlagartig,
denn bis dorthin war die Seelsorge deutschsprachig und
dann nur ungarisch. Obwohl wir immer zweisprachige Priester
mit deutscher Abstammung hatten. Eigentlich kann ich nur von
meinen Erfahrungen erzählen, ab etwa 1961. Innerhalb von zwei
Wochen waren an dem einen Sonntag die Frühmesse um 8 Uhr
ungarisch, die Hochmesse um 10 Uhr ungarisch. Nächste Woche
Frühmesse ungarisch, Hochmesse deutsch. Das bedeutete
zwei Hochmessen im Monat in deutscher Sprache. Da kam 1979
ein Pfarrer, er sagte, es wäre so gerecht, wenn vier Messen auf
Deutsch, vier Messen auf Ungarisch zelebriert werden. Daraufhin
brach in Wemend ein Krieg zwischen den ungarischen und
den deutschen Christen aus. Die Ungarn wollten die gewohnte
Ordnung wiederherstellen, die Deutschen freuten sich. Die Sache
kam vor den Bischof: Er setzte den Pfarrer ab, er musste
fort und es waren dann wieder zwei deutsche Messen im Monat,
heutzutage gibt es nur noch eine deutsche Messe, was jetzt
auch genügend ist, weil die alten Deutschen schon gestorben
sind. Damals war die Lage so kritisch, dass einige vor die Landesselbstverwaltung
(sic!) kamen um Frieden zu machen. Damals
wurden deutschsprachige Schilder an der Schule und dem
Kindergarten sowie am Dorfanfang und -ende angebracht.
SB: Wie würden Sie sich definieren?
EF: Ich bin von Leib und Seele ein Schwabenmädchen und bleibe
auch bis zum Tode. Meine schwäbische Abstammung hatte
immer eine positive Auswirkung auf mein Leben gehabt. Ich studierte
in Baaja an der Hochschule für Lehrerbildung. Ich wurde
Primarstufenlehrerin und hatte eine Ausbildung für deutschsprachigen
Nationalitätenunterricht absolviert. Also mit meiner Muttersprache
konnte ich mein Brot verdienen. Der Unterricht war
für mich mein Hobby. Der liebe Gott hat mich auf diesen Posten
gestellt und das war mein schönstes Geschenk, das liebte ich
über alles.
Die deutsche Sprache den Kindern zu übergeben, damit sie
sich bereichern, das fand ich wundervoll – viele verdienen heute
ihr Brot damit. Wir sammelten mit den Kindern von den Omas
die alten Bräuche, alten Rezepte, Lieder. An Projekttagen haben
wir die vorgeführt. Typische Speisen und Backwaren gekocht
beziehungsweise gebacken. Das konnten die Kinder alles
in der Wirklichkeit erleben. Die Eltern und Großeltern, Alte und
Junge haben wir zu Projekttagen eingeladen. Sie durften wieder
wie früher das Christkind erblicken, die Gebete und Weihnachtslieder
hören, Weinsuppe essen. Die Kinder hatten auch
die Weihnachtstracht an. Wir hatten nicht nur lustige Momente:
Als von der Aussiedlung und der Verschleppung die Rede war,
blieb kein Auge trocken. In der achten Klasse habe ich mich mit
der Aussiedlung und Verschleppung beschäftigt. Ein jedes Kind
musste zu Hause oder von den Verwandten, unter dem Motto
„Die Leidensgeschichte meiner Ahnen“, Interviews machen und
Material sammeln. Als sie die traurige Geschichte hörten, waren
sie ganz geschockt. In den meisten ungarndeutschen Familien
hat man nämlich davon nicht geredet. 95% der Kinder erfuhren
bis dorthin nichts davon. Wir hatten Russlandbriefe, Russlandlieder
gesammelt. Auch noch eine russische „Pufaika“ haben sie
gebracht. Ich hielt es wichtig, dieses große Unrecht, was man
mit den Ungarndeutschen gemacht hat, mit den Kindern auch
seelisch durchleben zu lassen, durch die Erzählungen der Großeltern
oder Bekannten und durch Dokumentarfilme. In der letzten
Stunde dieses Themenblocks sind wir mit einem Blumenstrauß
immer zum Heldendenkmal gegangen und erinnerten uns an das
schreckliche Schicksal der Ungarndeutschen und beteten für
die Opfer – da kam für mich die größte Überraschung und das
schönste Geschenk meiner pädagogischen Laufbahn nach vierzig
Jahren: Einer von den Achtklässlern stellte sich auf die Treppe
des Heldendenkmals, zog einen Zettel vor und trug ein selbst
geschriebenes Gedicht vor. Er hieß Christian Gálosi (Herbert).
Für mich war es sehr wichtig, das Identitätsbewusstsein der
Schwaben zurückzugeben. Wir waren verachtete, weggeschmissene
Leute, aber das war ein großes Unrecht. Wir können ruhig
stolz sein auf unsere deutsche Abstammung. Wir sind fleißige,
wertvolle Leute. Uns hat man alles weggenommen. Wir konnten
ohne laure Empörung wieder aufstehen, von Neuem anfangen,
und haben es wieder geschafft alles auf die Füße zu stellen. Wir
können auf unsere Volkstracht, schönen Volkslieder und Tänze
stolz sein. Wenn die Muttis, Omas, Väter und Opas ihre Kinder,
Enkelkinder auf der Bühne in wunderschöner Tracht tanzen sehen,
da glänzen die Augen, lachen die Herzen.
Als das Heldendenkmal und die Aussiedlungsgedenktafel eingeweiht
wurden, durfte ich die Festrede halten. Es war so wohltuend,
dass ich das große Unrecht in die Welt schreien durfte.
Nach der Rede haben viele gesagt, endlich hat es jemand ge-
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