ben, für die Jüngeren ist es jahrzehntelang das Land gewesen,
in dem Milch und Honig fließen und man dort endlich frei leben
könnte. Viele haben deshalb auch in den 70er, 80er und sogar
90er Jahren den Weg nach Deutschland angetreten, sodass
Deutschland auch die neue Heimat vieler Familienmitglieder der
Hiergebliebenen geworden ist.
Heute ist Deutschland vor allem ein Partner in wirtschaftlicher
und kultureller Hinsicht, denn es war die deutsche Minderheit,
die unzählige Städtepartnerschaften zum Leben erweckt hat, die
den deutsch-polnischen Beziehungen guttun und der Minderheit
einen ständigen Kontakt zum aktuellen Kulturleben und der
Sprache ermöglichen. Wirtschaftlich ist Deutschland wohl der
wichtigste Partner für Polen. Viele Deutschstämmige haben früh
in den 90er Jahren das Potenzial erkannt und gründeten Firmen,
die bis heute auf deutsch-polnische Wirtschaftspartnerschaften
bauen.
SB: Wo wird das Wochenblatt in 30 Jahren stehen?
WB: Das ist eine gute Frage... Die Welt verändert sich heute so
schnell, auch die Medienlandschaft in im ständigen Wandel und
wir müssen unseren Weg darin irgendwie finden, auch als kleines
Nischenmedium. Ich hoffe und wünsche mir, dass wir in 30
Jahren in irgendeiner Form weiterhin auf dem Markt sein werden
und über die Deutschen in Polen und die deutsch-polnischen Beziehungen
berichten werden.
SB: Herr Urban, vielen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch führte Richard Guth.
Ansichten - Einsichten
Ungarndeutsche Gleichgültigkeit,
aus der Sicht eines „Spielverderbers“
SoNNTAGSBLATT
Von Dr. Jenő Kaltenbach
Diejenigen, die meine Beiträge im Sonntagsblatt lesen (wenn
überhaupt), besonders die, die mit der ungarndeutschen Realität
nicht vertraut sind, werden denken, dass ich ein ewiger Spielverderber
bin, der immer auf etwas herumhacken muss, dem nichts
gut genug ist. So geht es auch denjenigen Interessenten, die die
„offiziellen“ Zeitungen des Ungarndeutschtums lesen, weil darin
ein äußerst unkritisches Bild vermittelt wird. Aber dazu später!
Nun, ich leugne es gar nicht, dass ich die Welt um mich herum
kritisch betrachte, ist das doch eine der Grundtugenden jeden/r
anständigen Journalisten/in, der/die diese Bezeichnung überhaupt
verdient. Bei den Ungarndeutschen ist das außerdem auch
besonders angebracht, weil ihre „offiziellen“ Blätter, nach dem
obigen Maßstab, kaum als Presseprodukte bezeichnet werden
könnten. Also, schon aus dem Zweck des Ausgleichs bzw. für
die Balance hat eine andere Herangehensweise ihre Gültigkeit.
Das ist natürlich nur dann der Fall, wenn man voraussetzt, dass
es sich um eine demokratische Gemeinschaft handelt. Demokratie
lebt, wie bekannt, von der Teilnahme. In einer lebendigen
Demokratie ist es selbstverständlich, dass man mitmacht, mitbestimmt.
Die Aushöhlung einer Gemeinschaft beginnt damit, dass
die Leute sich abwenden, die Teilnahme verweigern, alle Geschäfte
der Gemeinschaft einer kleinen Berufselite überlassen.
Das führt dann dazu, dass diese kleine Elite sich vom Rest der
s
Gemeinschaft abkapselt und die Leute nur dazu braucht den
demokratischen Schein zu wahren, also die Herrschaft der Elite
regelmäßig mit Stimmen zu legitimieren.
Aber was hat das mit den Ungarndeutschen zu tun? Sehr viel,
meine ich. Nach dem ersten Weltkrieg, als das Ungarndeutschtum
das letzte Mal versucht hat sich wie eine lebendige Gemeinschaft
zu verhalten - als man noch Leute wie Jakob Bleyer hatte
- ging das Ganze wegen Hitler und Horthy in die Hose.
Dann kam die Verfolgung, die Vertreibung und der real existierende
Sozialismus mit Rákosi, dann Kádár, an der Spitze, und an
Demokratie, an eine richtige Gemeinschaft konnte man gar nicht
denken. In jener Zeit wandelte sich die ungarndeutsche Gemeinschaft
in eine Art „Elitedemokratie“, die ich oben beschrieben
habe. Die Gemeinschaft war halbtot, nur die Elitetruppe war von
Gnaden der Machthaber lebendig.
Nach der Wende kam erst die Hoffnung auf, dass nicht nur ganz
Ungarn, sondern unser kleiner Teil davon, nämlich die ungarndeutsche
Minderheit, sich in eine lebendige Demokratie verwandeln
kann.
Lange Rede kurzer Sinn, dies ist weder Ungarn als Ganzes noch
dem Teil davon gelungen. Um zu sehen, dass es so ist, genügt
ein kurzer Blick in die heutige ungarndeutsche Presse. (Die ungarische
lassen wir jetzt mal außer Acht.)
Als ich nämlich neulich auf der Internetseite der Neuen Zeitung,
des Wochenblattes der Ungarndeutschen, herumblätterte, sah
ich lauter fröhliche positive Meldungen, über Ereignisse, Erfolge,
Veranstaltungen, Tagungen, herausragende Leistungen von
Landsleuten, Anerkennung, Auszeichnung, feuchtfröhliche Feste…
Als ob sie nicht Teil der ungarischen Realität wären! Kein einziges
Wort über die aktuelle Lage des Landes, in dem man beheimatet
ist, nichts über die Pandemie, über Not und Sorgen der
Menschen!
Ist es möglich, dass kein einziger Ungarndeutscher seine Arbeit
und sein Einkommen verloren hat, dass keine ungarndeutsche
Familie von der Zwangsräumung der Krankenhäuser oder vom
Virus betroffen ist? Oder überlässt man sowas der ungarischen
Presse? Ist das ein Lebenszeichen einer lebendigen Gemeinschaft?
Wohl kaum!
Diese Art von Berichterstattung zeigt doch, dass die Mitglieder
der Gemeinschaft sich nicht durch die ungarndeutsche Presse
informieren lassen. Übrigens, bei der obengenannten Stöberei,
bei den vielen Berichten in der Neuen Zeitung war die Zahl der
Likes der Leser meistens unter Zehn und zu all den Beiträgen
gab es keinen einzigen Kommentar. Keiner hat sich die Mühe
genommen, seine Meinung kundzutun. Hat das mit mangelnden
Sprachkenntnissen oder einfach nur mit Gleichgültigkeit zu tun?
Ist das nicht ein Zeichen dafür, dass sich die alte-neue „Elitedemokratie“
wieder durchgesetzt hat?
Besteht nicht zumindest ein begründeter Verdacht, dass die
Neue Zeitung nicht für die Gemeinschaft geschrieben wird, deren
Mitglieder sind ja, mit wenigen Ausnahmen, desinteressiert?
Die ungarndeutsche Elite berichtet von sich selbst für sich selbst.
Kritische Berichte über den Zustand des Landes, um zu zeigen,
dass man auch Teil des Ganzen ist, sind anscheinend unerwünscht
oder vielleicht nur Routine. Niemand beschwert sich
ja und die Zeitung läuft bzw. erscheint ohne richtig interessierte
Leser. Sie finanziert sich ja nicht selbst wie bei einem unabhängigen
Presseorgan üblich, sondern wird vom Staat finanziert, also
muss man dafür auch eine Gegenleistung bringen.
So bleibt mir nichts anderes übrig als den „Berufsspielverderber“
zu spielen. Ah ja und der Georg Krix mit seinen Merkwürdigkeiten
tut es auch.
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