Sonntagsblatt 2/2020 | Page 25

ben, für die Jüngeren ist es jahrzehntelang das Land gewesen, in dem Milch und Honig fließen und man dort endlich frei leben könnte. Viele haben deshalb auch in den 70er, 80er und sogar 90er Jahren den Weg nach Deutschland angetreten, sodass Deutschland auch die neue Heimat vieler Familienmitglieder der Hiergebliebenen geworden ist. Heute ist Deutschland vor allem ein Partner in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht, denn es war die deutsche Minderheit, die unzählige Städtepartnerschaften zum Leben erweckt hat, die den deutsch-polnischen Beziehungen guttun und der Minderheit einen ständigen Kontakt zum aktuellen Kulturleben und der Sprache ermöglichen. Wirtschaftlich ist Deutschland wohl der wichtigste Partner für Polen. Viele Deutschstämmige haben früh in den 90er Jahren das Potenzial erkannt und gründeten Firmen, die bis heute auf deutsch-polnische Wirtschaftspartnerschaften bauen. SB: Wo wird das Wochenblatt in 30 Jahren stehen? WB: Das ist eine gute Frage... Die Welt verändert sich heute so schnell, auch die Medienlandschaft in im ständigen Wandel und wir müssen unseren Weg darin irgendwie finden, auch als kleines Nischenmedium. Ich hoffe und wünsche mir, dass wir in 30 Jahren in irgendeiner Form weiterhin auf dem Markt sein werden und über die Deutschen in Polen und die deutsch-polnischen Beziehungen berichten werden. SB: Herr Urban, vielen Dank für das Gespräch! Das Gespräch führte Richard Guth. Ansichten - Einsichten Ungarndeutsche Gleichgültigkeit, aus der Sicht eines „Spielverderbers“ SoNNTAGSBLATT Von Dr. Jenő Kaltenbach Diejenigen, die meine Beiträge im Sonntagsblatt lesen (wenn überhaupt), besonders die, die mit der ungarndeutschen Realität nicht vertraut sind, werden denken, dass ich ein ewiger Spielverderber bin, der immer auf etwas herumhacken muss, dem nichts gut genug ist. So geht es auch denjenigen Interessenten, die die „offiziellen“ Zeitungen des Ungarndeutschtums lesen, weil darin ein äußerst unkritisches Bild vermittelt wird. Aber dazu später! Nun, ich leugne es gar nicht, dass ich die Welt um mich herum kritisch betrachte, ist das doch eine der Grundtugenden jeden/r anständigen Journalisten/in, der/die diese Bezeichnung überhaupt verdient. Bei den Ungarndeutschen ist das außerdem auch besonders angebracht, weil ihre „offiziellen“ Blätter, nach dem obigen Maßstab, kaum als Presseprodukte bezeichnet werden könnten. Also, schon aus dem Zweck des Ausgleichs bzw. für die Balance hat eine andere Herangehensweise ihre Gültigkeit. Das ist natürlich nur dann der Fall, wenn man voraussetzt, dass es sich um eine demokratische Gemeinschaft handelt. Demokratie lebt, wie bekannt, von der Teilnahme. In einer lebendigen Demokratie ist es selbstverständlich, dass man mitmacht, mitbestimmt. Die Aushöhlung einer Gemeinschaft beginnt damit, dass die Leute sich abwenden, die Teilnahme verweigern, alle Geschäfte der Gemeinschaft einer kleinen Berufselite überlassen. Das führt dann dazu, dass diese kleine Elite sich vom Rest der s Gemeinschaft abkapselt und die Leute nur dazu braucht den demokratischen Schein zu wahren, also die Herrschaft der Elite regelmäßig mit Stimmen zu legitimieren. Aber was hat das mit den Ungarndeutschen zu tun? Sehr viel, meine ich. Nach dem ersten Weltkrieg, als das Ungarndeutschtum das letzte Mal versucht hat sich wie eine lebendige Gemeinschaft zu verhalten - als man noch Leute wie Jakob Bleyer hatte - ging das Ganze wegen Hitler und Horthy in die Hose. Dann kam die Verfolgung, die Vertreibung und der real existierende Sozialismus mit Rákosi, dann Kádár, an der Spitze, und an Demokratie, an eine richtige Gemeinschaft konnte man gar nicht denken. In jener Zeit wandelte sich die ungarndeutsche Gemeinschaft in eine Art „Elitedemokratie“, die ich oben beschrieben habe. Die Gemeinschaft war halbtot, nur die Elitetruppe war von Gnaden der Machthaber lebendig. Nach der Wende kam erst die Hoffnung auf, dass nicht nur ganz Ungarn, sondern unser kleiner Teil davon, nämlich die ungarndeutsche Minderheit, sich in eine lebendige Demokratie verwandeln kann. Lange Rede kurzer Sinn, dies ist weder Ungarn als Ganzes noch dem Teil davon gelungen. Um zu sehen, dass es so ist, genügt ein kurzer Blick in die heutige ungarndeutsche Presse. (Die ungarische lassen wir jetzt mal außer Acht.) Als ich nämlich neulich auf der Internetseite der Neuen Zeitung, des Wochenblattes der Ungarndeutschen, herumblätterte, sah ich lauter fröhliche positive Meldungen, über Ereignisse, Erfolge, Veranstaltungen, Tagungen, herausragende Leistungen von Landsleuten, Anerkennung, Auszeichnung, feuchtfröhliche Feste… Als ob sie nicht Teil der ungarischen Realität wären! Kein einziges Wort über die aktuelle Lage des Landes, in dem man beheimatet ist, nichts über die Pandemie, über Not und Sorgen der Menschen! Ist es möglich, dass kein einziger Ungarndeutscher seine Arbeit und sein Einkommen verloren hat, dass keine ungarndeutsche Familie von der Zwangsräumung der Krankenhäuser oder vom Virus betroffen ist? Oder überlässt man sowas der ungarischen Presse? Ist das ein Lebenszeichen einer lebendigen Gemeinschaft? Wohl kaum! Diese Art von Berichterstattung zeigt doch, dass die Mitglieder der Gemeinschaft sich nicht durch die ungarndeutsche Presse informieren lassen. Übrigens, bei der obengenannten Stöberei, bei den vielen Berichten in der Neuen Zeitung war die Zahl der Likes der Leser meistens unter Zehn und zu all den Beiträgen gab es keinen einzigen Kommentar. Keiner hat sich die Mühe genommen, seine Meinung kundzutun. Hat das mit mangelnden Sprachkenntnissen oder einfach nur mit Gleichgültigkeit zu tun? Ist das nicht ein Zeichen dafür, dass sich die alte-neue „Elitedemokratie“ wieder durchgesetzt hat? Besteht nicht zumindest ein begründeter Verdacht, dass die Neue Zeitung nicht für die Gemeinschaft geschrieben wird, deren Mitglieder sind ja, mit wenigen Ausnahmen, desinteressiert? Die ungarndeutsche Elite berichtet von sich selbst für sich selbst. Kritische Berichte über den Zustand des Landes, um zu zeigen, dass man auch Teil des Ganzen ist, sind anscheinend unerwünscht oder vielleicht nur Routine. Niemand beschwert sich ja und die Zeitung läuft bzw. erscheint ohne richtig interessierte Leser. Sie finanziert sich ja nicht selbst wie bei einem unabhängigen Presseorgan üblich, sondern wird vom Staat finanziert, also muss man dafür auch eine Gegenleistung bringen. So bleibt mir nichts anderes übrig als den „Berufsspielverderber“ zu spielen. Ah ja und der Georg Krix mit seinen Merkwürdigkeiten tut es auch. 25