Sonntagsblatt 2/2020 | Page 21

während Pfarrer Schlattner nicht nur die Worte Gottes erklärt, sondern mit seiner Stimme die Stimme Gottes erschallen lässt. Im allgemeinen Bittgebet wird auf den Bitte-Teil der größere Wert gelegt. An diesem Gebet nehmen in den meisten Orten auch die Mitglieder der Gemeinschaft teil. Inmitten der alten Wände der Kirche von Rothberg jedoch bleiben die Versammelten stumm. Wie sie auch das Vaterunser vor dem Segen nicht mit ihrem Pfarrer zusammen beten. Auch ein Kreuzzeichen machen sie nicht, wie sie sich auch nicht zurück in ihre Bänke setzen, obwohl vor ein paar Jahren noch Hunderte die Gesänge und Gebete erklingen ließen. Obwohl der Pastor die Kirche mit flinken Schritten verlässt, folgen Ihm die Gemeindemitglieder nicht. Es gibt niemanden zum Händeschütteln, es gibt niemanden, den man nach seiner Gesundheit fragen könnte und niemanden, dem man „Guten Appetit!” zum Mittagessen wünschen könnte. Gottes Haus ist leer, genau wie vor dem Gottesdienst und wie während des Gottesdienstes. Der Pastor will Gott und sich selbst trösten All das ist nicht Produkt der Fantasie eines Schreiberlings, auch ist es nicht das Werk des Zufalls. Dies ist die gnadenlose Wahrheit. Den eingestürzten Turm, die aus dem unbedeckten Kirchenschiff guckenden Bäume und Büsche habe ich schon gesehen, ein Schloss am Hause Gottes auch, einen ohne Herde gebliebene und auf eine weitere „Stelle” abgewanderten Pastor ebenfalls - aber einen einer leeren Kirche predigenden Pastor noch nie! Obwohl in der Mitte des Landes - im Hermannstadt-Fugreschmarkt-Agnetlen-Dreieck -, versteckt zwischen den wunderschönen, sattgrünen Hügeln gelegen, lebt ein alter Pastor im von den Siebenbürger Sachsen Ritbarch, in der Schriftsprache Rothberg genannten Dorf, der trotzend jeglichem Menschenverstand sagt: „Es macht Sinn!”. Auch so! Oder hauptsächlich so! „Vierzehn Jahre lang habe ich jede Woche, mit jährlich höchstens 1-2 Unterbrechungen, jeden Sonntag diesen Mauern und diesen leeren Bänken meine Predigt gehalten. Vierzehn Jahre lang…”, unterstreicht der 86 Jahre alte Eginald Schlattner die Zahl, die ein Dutzend übersteigt, während er lange ins Nichts starrt. Mit mindestens 45 Wochenenden gerechnet bedeuten die 14 Jahre auch so 630 Sonntage und gleich viele Gottesdienste. Er sagt, dies sei der einzige Weg für ihn das von einem Tag auf den anderen abgelaufene Verschwinden seiner Gemeinde mit klarem Kopf zu überstehen. Es ist deprimierend, leeren Bänken zu predigen. Noch deprimierender wäre es gewesen, es nicht zu tun. „Aus zwei Gründen habe ich weitergemacht: Mit meinem Dienst wollte ich erstens Gott und danach mich trösten. Wissen Sie, welch schöne Predigten ich gehalten habe?!.. .die leeren Bänke haben sich sicher wohl gefühlt”, sagt der alte Pastor halbwegs scherzend, aber vielleicht auch halbwegs ernst. Vier Jahrzehnte zuvor, im Jahr 1978, als er als junger Pastor in das von Herrmanstadt 18 km entfernte Dorf kam, hatte er an die 700 Gläubigen in seiner Gemeinde. Zwar waren die Rothberger Sachsen vor Trianon zweimal so viele, so schien die Gemeinde dennoch als lebensfähig, da ein Drittel Kinder waren. Aus den damaligen 700 sind heute vier übriggeblieben: der Pastor und seine drei Gläubigen - solche, die nicht mal mehr bis zur Kirche watscheln können. Seitdem er über eine Bank des Gotteshauses gestolpert ist - und wie er es mit Humor sagt -, ist er direkt vom Altar auf den OP-Tisch gekommen, ist Eginald Schlattner nicht der Alte, er kann nur noch schwer mit der Hilfe einer Krücke laufen. Währenddessen haben ihn auch allerlei Krankheiten ergriffen, deshalb musste er in den letzten drei Jahren zweimal unters Messer. Viel mehr als die physischen Schmerzen setzte ihm der seelische Schmerz zu, welchen das Auswandern der Siebenbürger Sachsen im Jahr 1989 verursacht hat. „Nach der Wende zu Ostern war die Kirche noch voll; alle waren hier. Zu Weihnachten blieb fast niemand hier. Wir haben uns zusammengezogen wie in der Krippe von Bethlehem. Wir haben schreckliche Zeiten erlebt. Jeden Sonntag habe ich eine Liste mit den Namen der die Woche zuvor nach Deutschland Gezogenen im Gottesdienst vorgelesen”, erzählt der Pastor. Er kann es auch jetzt noch nur schwer fassen, dass das, was weder den Türken noch den Tataren gelungen ist, die rumänischen kommunistischen und prokommunistischen Systeme innerhalb ein paar Jahrzenten fertiggebracht hatten: das Vertreiben der Sachsen aus Siebenbürgen. Von einem Deutschen höre ich jetzt das erste Mal, welche große Rolle in der Entscheidung der Gemeinde der blutige März von Neumarkt am Mieresch gespielt hat, in dem es gewalttätige Zusammenstöße zwischen Madjaren und Rumänen gab, mit einer angeblichen Beteiligung von Resten des gefürchteten Inlandsgeheimdienstes Securitate. ”Damals haben sich viele die Frage gestellt: „Wenn wir angegriffen werden, wer wird uns dann verteidigen, Herr Pastor?” Wir sind weniger als die Madjaren und schwächer. Was hätte ich darauf antworten können? Wir wussten, dass uns die Rumänen nicht mögen. Sie haben uns nie gemocht. Sie haben 1918 alles versprochen, aber davon haben sie nichts eingehalten! Einmal haben sie uns schon verraten, als sie nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, am 13. Januar 1945, 70.000 Sachsen in die Sowjetunion deportiert haben. Nur die Kinder und die Alten sind geblieben… Dann kam die Agrarreform, als sie uns alles genommen haben - nur um etwas zu haben, wo sie einziehen können. Dann haben sie uns 1955 die Häuser zurückgegeben, mit der Auflage Mitglied in der LPG zu werden.“ In Kenntnis dieser Tatsachen überraschen Schlattner die heutzutage noch alltäglichen „Nazi”-Beschimpfungen nicht. Er sagt, er habe vor der Präsidentschaftswahl 2014 einen Brief an Klaus Johannis geschrieben, indem er ihn darum gebeten hat, Bürgermeister von Hermannstadt zu bleiben, anstatt sich als Staatspräsident zu versuchen. Er wollte seinen sächsischen Bruder vor allem schützen, womit man rechnen konnte und was letztendlich auch geschah. Vergeblich möchte der einstige Physiklehrer sich als „großer” Rumäne ausgeben, er wird als „Nazi” bezeichnet, seine Plakate mit Hitler-Schnauzern verunstaltet und die Kritiken beschäftigen sich viel mehr mit seiner Herkunft als mit seinem politischen Wirken, in der Hoffnung seine Wiederwahl zu verhindern. Der ausgezeichnete Schriftsteller Eginald Schlattner hat die Tragödie der Siebenbürger Sachsen in seinen in acht Sprachen übersetzten Romanen aufgearbeitet. Unter seinen mit biographischen Elementen gespickten Schriften sind „Der geköpfte Hahn” und „Rote Handschuhe” auch auf Ungarisch erhältlich. Die von der minderheitenfeindlichen und gnadenlosen Politik der an die Macht gekommenen kommunistischen Partei inspirierten Romane haben das Interesse des WIR Bedanken UNS bei Allen unseren LANDSLEUTEn IN UNGARN, Die DAS Sonntagsblatt unterstützen und weiterteilen. Zu Ostern waren sie noch hier, zu Weihnachten waren sie alle weg SoNNTAGSBLATT jakob bleyer GEMEINSCHAFT e.V. 21