Sonntagsblatt 2/2020 | Page 22

Regisseurs Radu Gabrea geweckt, der beide Werke verfilmt hat. „Die Babeş-Bolyai-Universität hat mich mit einem Ehrendoktor-Titel ausgezeichnet, das Außenministerium hat mich zum Kulturbotschafter Rumäniens ernannt und von der Bundesrepublik Österreich habe ich das Verdienstkreuz erhalten, dennoch halte ich mich nicht für einen Schriftsteller. Ich bin ein einfacher siebenbürgischer Dorfpastor, der sein Kreuz trägt und seine Arbeit verrichtet. Ich wollte nicht nach Deutschland ziehen, nicht mal die Staatsbürgerschaft habe ich beantragt, obwohl meine Frau, meine Kinder und alle meine Verwandten ausgewandert sind. Ich muss meiner Herde hier dienen, um genauer zu sein ihren Resten. Alle acht Bücher hat die Mischung aus Glauben, Schmerz und Hoffnungslosigkeit in mir schreiben lassen. Das hat nicht jedem gefallen. Es gab Leute, die mich als Spitzel bezeichnet haben - obwohl ich in meinem ganzen Leben niemanden verpfiffen habe, das lässt sich auch in meinem Dossier lesen. Eins ist sicher, mein Gewissen ist sauber, ich muss mich nicht davor fürchten durch die Hintertür der Geschichte gehen zu müssen”, meint er. Gott hat seine Bitten erhört Inzwischen haben wieder Gläubige den Weg zu seinen Gottesdiensten gefunden - nicht die an das Bett gebundenen Alten, sondern gänzlich andere: Orthodoxe, Rumänen, Zigeuner…Insgesamt vier. „Vierzehn Jahre lang habe ich Gott gebeten die Tür der Kirche wenigstens einem Menschen zu zeigen. Und, siehe da, meine Bitten wurden erhört: Die Bänke sind nicht mehr leer.” Wie ich sehe, schlagen drei der Besucher des zweisprachigen Gottesdienstes Kreuze, der vierte nickt nur. Vater Eginald spricht alle mit ihren Namen an und manchmal stellt er ihnen auch eine rhetorische Frage. Der einfach nur Domul Ion genannte mittelalte Mann antwortet nach jedem zweiten-dritten Satz, auch ohne gefragt zu werden. „Da, da“, murmelt er. Der Zigeuner wurde orthodox getauft, aber seit drei-vier Jahren findet er in der evangelischen Kirche seinen Seelenfrieden. Ioana Bădescu geht manchmal hier hin, manchmal dahin, aufgrund ihrer vor vierzehn Jahren angenommenen Arbeit als Glöcknerin zur evangelischen Kirche, nur zu Festen besucht sie die Kirche mit der Zwiebel-Kuppel. Ihr gegenüber sitzt ein junges, auf alles mit einem Lächeln antwortendes Mädchen mit Zipfelmütze. Carmen, die die Aufgaben der Haushälterin übernommen hat, ist vor ein paar Jahren vor ihrem gewalttätigen Bruder aus dem Zigeunerviertel geflohen. Seitdem hat sie im Pfarrhaus Zuflucht und Arbeit gefunden. ”Gäbe es sie nicht, wäre ich schon längst im Altenheim, dort, wo man auf deinen Tod wartet”, gesteht der Pastor. Als die Zigeuner noch Sachsen sein wollten Zwar wohnt er in dem im Jahr 1762 errichteten Pfarrhaus, aber trotz seines fortgeschrittenen Alters ist er Angestellter mit Arbeitsbuch und erfüllt jeden Sonntag seinen Dienst. Wegen dem Mangel an Gläubigen ist Eginald Schlattner seit langem kein beauftragter Pastor mehr. In der Gemeinde Rothberg ist er der 99. Pastor, seit dem Übertritt zum Glauben Luthers der 51. - und letzte. Im Vergleich dazu ist ein gewisser orthodoxer Priester, genannt Bînda, erst 1905 ins Dorf gekommen. Anhand historischer Quellen wird die im romanischen Stil erbaute evangelische Kirche von Rothberg in fünf Jahren ihren 800. Jahrestag des Erbauens feiern. Die Siebenbürger Sachsen bewohnen die Region schon seit acht Jahrhunderten, die ersten rumänischen Hirtenfamilien fingen erst um 1750 an aus den Bergen in die Region zu ziehen. „Die Rumänen haben zwei große Tugenden: Sie wissen, wie man betet und Kinder zeugt”, sagt Eginald Schlattner. Die Ereignisse der vergangenen Jahre hatten großen Einfluss auf die sächsische Bevölkerung Siebenbürgens. Dies hatte auch zur Folge, dass neben vier alten, kranken Sachsen fast alle anderen Einwohner Rumänen sind oder sich zumindest als solche bekennen, wie auch die Zigeuner, die in sechsfacher Überzahl 22 sind, obwohl sie einst Sachsen sein wollten. Als Schlattner vom Bischof von Hermannstadt nach Rothberg geschickt wurde, wurde er von seinen Kollegen damit aufgezogen, er würde es nicht länger als ein Jahr da aushalten. „Die Sachsen sind gespalten, die Rumänen mögen uns nicht und die Zigeuner stehlen dir selbst die Haare vom Kopf!”, so haben mich meine Kollegen verabschiedet. „Jedoch habe ich als politischer Gefangener als Ziegelschlepper gearbeitet, wo ich gelernt habe, welche Sprache das Zigeunerherz erreicht. So hatte ich keine Angst vor ihnen, so konnte ich schnell ihr Vertrauen gewinnen und habe unter den sächsischen Priestern als erster ihre Bruchbuden betreten.” Eginald Schlattner wusste schon von Anfang an: „Zigeuner kann man am besten mit Bildung zivilisieren.“ Den Kindern hat er geholfen lesen und schreiben zu lernen, die acht Grundschulklassen zu absolvieren und in Hermannstadt einen Beruf zu erlernen. Unter ihnen gab es auch jene, die nicht mit dem Abitur zufrieden waren und erfolgreich an einer Universität angenommen wurden. Das zwischen dem Pastor und der Roma-Gemeinde entstandene Vertrauen hat nicht nur bis dato als undurchdringbar geltende Mauern durchbrochen, sondern auch einen neuen Höhepunkt erreicht. „An einem schönen Tag kamen sie zu mir mit dem Wunsch evangelische Deutsche zu werden. Kein Problem, habe ich gesagt, jedoch müsst ihr vorher die Sprache lernen und euch konfirmieren lassen. Das haben sie jedoch nicht mehr umgesetzt”, erzählt er. Danach ist es nicht verwunderlich, dass auch die Baptisten einen Versuch zur „Kirchenbesetzung” gestartet haben, jedoch wollten sie die alten Mauern nur für eine Hochzeit „einnehmen”. Da er die Familie kannte, wäre der Pastor willig gewesen, der Bitte nachzukommen, als er jedoch hörte, die Hochzeitsgesellschaft wolle nur die Mauern ohne den Priester, hat er abgelehnt - und das, obwohl der Brautvater gut gezahlt hätte… Eginald Schlattner ging „heim” in den Knast „Bis heute habe ich ein staatliches Gehalt. Ich bin Gefängnispastor, deshalb auch das Gehalt. Jedoch gibt es keine Sachsen mehr in rumänischen Gefängnissen, das Durchschnittsalter der Gemeinde dort beträgt sechzig Jahre. Zwölf Jahre zuvor waren es noch dreißig Leute im Gefängnis von Straßburg am Mieresch, der letzte inhaftierte Sachse kam 2018 aus dem Gefängnis von Neumarkt frei. Deshalb erfülle ich eher die Seelsorge von Zigeunern, rumänischen und madajerischen Inhaftierten. Interessant, oder? Aber nicht nur deshalb gelte ich als Kuriosum. Als ich in der Kirche mein Bein brach, galt das als Arbeitsunfall. Die Ärzte, die die Papiere machten, haben nur so gestaunt, denn einen über Achtzigjährigen mussten sie noch nie krankschreiben”, lacht er. Schlattner hat seine Bekanntschaft mit dem rumänischen Zuchthaus-System nicht erst nach 1989 gemacht. Mit den schmerzhaften Erinnerungen eines Scheinverfahrens und dessen Folgen kehrte er hinter die Gitterstäbe zurück. Sein Vater wurde von Fugreschmarkt aus in ein sowjetisches Arbeitslager deportiert; seine Familie wurde enteignet; er wurde aus der theologischen Fakultät Klausenburg ausgeschlossen. Schlattner hatte sich dann eingeschrieben für Mathematik, später für Hydrologie, aber vor seinem Staatsexamen wurde er im 1959er „Verfahren gegen die deutschen Schriftsteller Kronstadts” wegen des Versäumens einer Anzeige mit seinem Bruder inhaftiert. Eginald Schlattner kam nach drei Jahren frei. Erst arbeitete er als Tagelöhner in einer Ziegelsteinfabrik, danach als Hilfsarbeiter auf einer Tierfarm, dann als Eisenbahnbrücken-Bauer und technischer Zeichner, bis das „System” ihm auf „gnädige Weise” erlaubte sich das Staatsexamen zu absolvieren. „Nach elf Jahren Unterbrechung konnte ich meinen Abschluss machen. Die Fakultät, an der ich früher studierte, existierte längst nicht mehr, weshalb man eine Kommission einberufen musste, um mein Wissen zu testen. Ich habe jedoch nicht lange als Hydrologe gearbeitet, denn ich erhörte den Ruf Gottes im Jahr 1973 und bewarb mich für Theologie”, erzählt er. Erniedrigung, Verschleppung und Enteignung haben auch die SoNNTAGSBLATT