während Pfarrer Schlattner nicht nur die Worte Gottes erklärt,
sondern mit seiner Stimme die Stimme Gottes erschallen lässt.
Im allgemeinen Bittgebet wird auf den Bitte-Teil der größere Wert
gelegt. An diesem Gebet nehmen in den meisten Orten auch die
Mitglieder der Gemeinschaft teil. Inmitten der alten Wände der
Kirche von Rothberg jedoch bleiben die Versammelten stumm.
Wie sie auch das Vaterunser vor dem Segen nicht mit ihrem Pfarrer
zusammen beten. Auch ein Kreuzzeichen machen sie nicht,
wie sie sich auch nicht zurück in ihre Bänke setzen, obwohl vor
ein paar Jahren noch Hunderte die Gesänge und Gebete erklingen
ließen. Obwohl der Pastor die Kirche mit flinken Schritten
verlässt, folgen Ihm die Gemeindemitglieder nicht. Es gibt niemanden
zum Händeschütteln, es gibt niemanden, den man nach
seiner Gesundheit fragen könnte und niemanden, dem man „Guten
Appetit!” zum Mittagessen wünschen könnte. Gottes Haus
ist leer, genau wie vor dem Gottesdienst und wie während des
Gottesdienstes.
Der Pastor will Gott und sich selbst trösten
All das ist nicht Produkt der Fantasie eines Schreiberlings, auch
ist es nicht das Werk des Zufalls. Dies ist die gnadenlose Wahrheit.
Den eingestürzten Turm, die aus dem unbedeckten Kirchenschiff
guckenden Bäume und Büsche habe ich schon gesehen,
ein Schloss am Hause Gottes auch, einen ohne Herde gebliebene
und auf eine weitere „Stelle” abgewanderten Pastor ebenfalls
- aber einen einer leeren Kirche predigenden Pastor noch
nie! Obwohl in der Mitte des Landes - im Hermannstadt-Fugreschmarkt-Agnetlen-Dreieck
-, versteckt zwischen den wunderschönen,
sattgrünen Hügeln gelegen, lebt ein alter Pastor im
von den Siebenbürger Sachsen Ritbarch, in der Schriftsprache
Rothberg genannten Dorf, der trotzend jeglichem Menschenverstand
sagt: „Es macht Sinn!”. Auch so! Oder hauptsächlich so!
„Vierzehn Jahre lang habe ich jede Woche, mit jährlich höchstens
1-2 Unterbrechungen, jeden Sonntag diesen Mauern und
diesen leeren Bänken meine Predigt gehalten. Vierzehn Jahre
lang…”, unterstreicht der 86 Jahre alte Eginald Schlattner die
Zahl, die ein Dutzend übersteigt, während er lange ins Nichts
starrt. Mit mindestens 45 Wochenenden gerechnet bedeuten die
14 Jahre auch so 630 Sonntage und gleich viele Gottesdienste.
Er sagt, dies sei der einzige Weg für ihn das von einem Tag auf
den anderen abgelaufene Verschwinden seiner Gemeinde mit
klarem Kopf zu überstehen. Es ist deprimierend, leeren Bänken
zu predigen. Noch deprimierender wäre es gewesen, es nicht
zu tun. „Aus zwei Gründen habe ich weitergemacht: Mit meinem
Dienst wollte ich erstens Gott und danach mich trösten. Wissen
Sie, welch schöne Predigten ich gehalten habe?!.. .die leeren
Bänke haben sich sicher wohl gefühlt”, sagt der alte Pastor halbwegs
scherzend, aber vielleicht auch halbwegs ernst.
Vier Jahrzehnte zuvor, im Jahr 1978, als er als junger Pastor in
das von Herrmanstadt 18 km entfernte Dorf kam, hatte er an die
700 Gläubigen in seiner Gemeinde. Zwar waren die Rothberger
Sachsen vor Trianon zweimal so viele, so schien die Gemeinde
dennoch als lebensfähig, da ein Drittel Kinder waren. Aus den
damaligen 700 sind heute vier übriggeblieben: der Pastor und
seine drei Gläubigen - solche, die nicht mal mehr bis zur Kirche
watscheln können. Seitdem er über eine Bank des Gotteshauses
gestolpert ist - und wie er es mit Humor sagt -, ist er direkt
vom Altar auf den OP-Tisch gekommen, ist Eginald Schlattner
nicht der Alte, er kann nur noch schwer mit der Hilfe einer Krücke
laufen. Währenddessen haben ihn auch allerlei Krankheiten
ergriffen, deshalb musste er in den letzten drei Jahren zweimal
unters Messer.
Viel mehr als die physischen Schmerzen setzte ihm der seelische
Schmerz zu, welchen das Auswandern der Siebenbürger
Sachsen im Jahr 1989 verursacht hat. „Nach der Wende zu Ostern
war die Kirche noch voll; alle waren hier. Zu Weihnachten
blieb fast niemand hier. Wir haben uns zusammengezogen wie
in der Krippe von Bethlehem. Wir haben schreckliche Zeiten erlebt.
Jeden Sonntag habe ich eine Liste mit den Namen der die
Woche zuvor nach Deutschland Gezogenen im Gottesdienst
vorgelesen”, erzählt der Pastor. Er kann es auch jetzt noch nur
schwer fassen, dass das, was weder den Türken noch den Tataren
gelungen ist, die rumänischen kommunistischen und prokommunistischen
Systeme innerhalb ein paar Jahrzenten fertiggebracht
hatten: das Vertreiben der Sachsen aus Siebenbürgen.
Von einem Deutschen höre ich jetzt das erste Mal, welche große
Rolle in der Entscheidung der Gemeinde der blutige März von
Neumarkt am Mieresch gespielt hat, in dem es gewalttätige Zusammenstöße
zwischen Madjaren und Rumänen gab, mit einer
angeblichen Beteiligung von Resten des gefürchteten Inlandsgeheimdienstes
Securitate. ”Damals haben sich viele die Frage
gestellt: „Wenn wir angegriffen werden, wer wird uns dann verteidigen,
Herr Pastor?” Wir sind weniger als die Madjaren und
schwächer. Was hätte ich darauf antworten können? Wir wussten,
dass uns die Rumänen nicht mögen. Sie haben uns nie gemocht.
Sie haben 1918 alles versprochen, aber davon haben
sie nichts eingehalten! Einmal haben sie uns schon verraten,
als sie nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, am 13. Januar
1945, 70.000 Sachsen in die Sowjetunion deportiert haben. Nur
die Kinder und die Alten sind geblieben… Dann kam die Agrarreform,
als sie uns alles genommen haben - nur um etwas zu
haben, wo sie einziehen können. Dann haben sie uns 1955 die
Häuser zurückgegeben, mit der Auflage Mitglied in der LPG zu
werden.“ In Kenntnis dieser Tatsachen überraschen Schlattner
die heutzutage noch alltäglichen „Nazi”-Beschimpfungen nicht.
Er sagt, er habe vor der Präsidentschaftswahl 2014 einen Brief
an Klaus Johannis geschrieben, indem er ihn darum gebeten
hat, Bürgermeister von Hermannstadt zu bleiben, anstatt sich
als Staatspräsident zu versuchen. Er wollte seinen sächsischen
Bruder vor allem schützen, womit man rechnen konnte und was
letztendlich auch geschah. Vergeblich möchte der einstige Physiklehrer
sich als „großer” Rumäne ausgeben, er wird als „Nazi”
bezeichnet, seine Plakate mit Hitler-Schnauzern verunstaltet und
die Kritiken beschäftigen sich viel mehr mit seiner Herkunft als
mit seinem politischen Wirken, in der Hoffnung seine Wiederwahl
zu verhindern.
Der ausgezeichnete Schriftsteller
Eginald Schlattner hat die Tragödie der Siebenbürger Sachsen
in seinen in acht Sprachen übersetzten Romanen aufgearbeitet.
Unter seinen mit biographischen Elementen gespickten Schriften
sind „Der geköpfte Hahn” und „Rote Handschuhe” auch auf
Ungarisch erhältlich. Die von der minderheitenfeindlichen und
gnadenlosen Politik der an die Macht gekommenen kommunistischen
Partei inspirierten Romane haben das Interesse des
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Zu Ostern waren sie noch hier, zu Weihnachten waren sie
alle weg
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jakob bleyer
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