Sonntagsblatt 2/2020 | Page 23

Madjaren Siebenbürgens erleiden müssen. Da stellt sich die Frage: Erwartet die Madjaren das gleiche Schicksal wie die Sachsen? „Nein“, kommt die entschlossene Antwort. „Die Madjaren haben eine viel größere demographische Reserve. Doch wären sie nicht die ganze Zeit so trübselig und wehleidig! Ich verstehe ihre Frustrationen, aber man sollte trotzdem nicht jeden Tag mit dem Gedanken aufstehen und schlafen gehen: Mein Gott, wir verschwinden aus Siebenbürgen!” Jedoch versteht Schlattner auch die Seelenlage der Siebenbürger Sachsen. Es ist nicht einfach sich wieder aufzurichten für eine Nation, die vier Jahre lang für einen fremden Kaiser kämpfte, nur um dann Zweidrittel ihres Landes zu verlieren, besonders mit dem Wissen, dass den Rumänen nur ein Seitenwechsel von drei knappen Monaten genügte, um ihr Territorium zu verdoppeln. „Deshalb muss man den Autonomiewillen der Madjaren verstehen, akzeptieren und nicht von ihnen erwarten, dass sie am ersten Dezember auf die Straße gehen und applaudieren!”, meint Eginald Schlattner. Der Sachse, der ein bisschen auch Madjare sein kann Schlattners Empathie sowie seine fast perfekten Ungarisch-Kenntnisse muss man in seiner Familiengeschichte suchen. Der neben sächsischen auch über ungarische Vorfahren verfügende Mann zeigt uns einen bis auf das Jahr 1467 zurückgehenden beträchtlichen Stammbaum, in dem auch Namen wie Zilahi, Szőc, Borbély, Borbereki, Ecsedi, Kovásznai und Szász vorkommen… Von dem an der Wand hängendem Adligen-Wappen lässt sich der Name Sebess-Zilahi ablesen; Schlattners Großmutter mütterlicherseits, die in Hermannstadt geborene Berta, nannte man so. „Nachdem sie heiratete, nannten alle ungarischen Verwandten sie die ,arme´ Berta, die einen Sachsen heiratete”, schmunzelt der Enkel. Die aus einer Mischehe geborene Tochter erblickte das Licht der Welt 1912 in Budapest. „Sie sprach so gut Ungarisch, dass sie sogar in Theaterstücken mitspielte“, erzählt er stolz über seine Mutter. Der 1933 in Arad geborene Pastor zog im Alter von drei Jahren nach Wlachendorf. In den dort verbrachten vier Jahren erlernte er seine Muttersprache, welche er später in den damals noch über eine bedeutende madjarische Bevölkerung verfügenden Neumarkt und Klausenburg vervollständigte. Das ungarische Adligen-Blut hat Schlattner zum Mitglied der historische ungarische Familien verbindenden Castellum-Stiftung gemacht; er geht gerne zum jährlichen Treffen der Nachfahren von Grafen und Baronen. „Ich sag´ ja, dass ich das ganze Jahr über 100% Sachse bin; in den drei Tagen, die ich mit meinen Freunden bei Castellum verbringe, fühle ich mich ich ein Viertel ungarisch.” Quelle: https://erdelyinaplo.ro/extra/aki-a-padoknak-predikal-szaszfoldon „Wochenblatt” der deutschen Minderheit in Polen feiert 30. Jubiläum Chefredakteur Dr. Rudolf Urban im SB-Gespräch SB: Ihre Zeitschrift „Wochenblatt” wurde vor 30 Jahren, in der Wendezeit, gegründet – welche Erinnerungen haben Sie/ hat die Redaktion an diese Zeit? WB: Die Zeitung, damals noch unter dem Namen „Oberschlesische Nachrichten“, wurde erstmals am 20. April 1990 herausgegeben und zwar noch als Teil der Tageszeitung „Trybuna Opolska“, die bis vor kurzem das kommunistische Parteiblatt für die SoNNTAGSBLATT Region gewesen ist. Dementsprechend wurde die Zeitung bei den damaligen polnischen Journalisten nicht mit Wohlwollen angesehen, was auch dazu führte, dass die deutsche Minderheit schnell Wege gesucht hat, um einen eigenen Verlag zu gründen und völlig eigenständig die Zeitung herauszugeben. Der erste Chefredakteur Engelbert Mis erinnert sich in einem Interview zum Jubiläum unserer Zeitung, dass sich die Kollegen damals nicht nur verbalen Attacken ausgesetzt fühlten, sondern Gegner der Zeitung bzw. der deutschen Minderheit auch handgreiflich wurden. Schnell jedoch hat sich die Öffentlichkeit an die Existenz der bis 1989 verleugneten deutschen Minderheit gewöhnt, also auch an unsere Zeitung. SB: War das Wochenblatt ein völlig neues Presseprodukt oder gab es einen Vorgänger, aus dem dieses hervorgegangen ist? WB: Ja, die Zeitung war ein völlig neues Produkt, denn seit 1945 gab es keine deutsche Regionalpresse in Oberschlesien. Anders sah es in Niederschlesien aus, wo die Deutschen in Waldenburg und Breslau anerkannt waren und zumindest einige Jahre lang auch eine eigene, wenn auch parteikonforme Zeitung hatten. Die „Oberschlesischen Nachrichten“, später „Oberschlesische Zeitung“, „Schlesisches Wochenblatt“ und schließlich heute „Wochenblatt.pl“ war eine damals neue Initiative der Minderheit, die eben eine eigene Presse haben wollte. Später kamen noch, ebenfalls in Eigenregie der Minderheit, die TV-Sendung „Schlesien Journal“ hinzu, die bis heute im öffentlich-rechtlichen Sender ausgestrahlt wird, sowie diverse Radiosendungen in öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern. SB: Was hat sich in den letzten 30 Jahren im Leben der Zeitung verändert? WB: 30 Jahre sind eine Menge Zeit. Natürlich hat sich bei der Technik und Technologie viel getan, aber auch bei den Lesern selbst. Wie jedes Papier-Medium müssen wir heute auch online unterwegs sein, um dort unsere Leser zu erreichen. Ich glaube, viele Journalisten der Anfangsjahre unserer Zeitung hätten nicht gedacht, dass man einmal als „Zeitungsmensch“ auch Fotos, Audio- und Videobeiträge machen muss. Was im Grunde unverändert blieb, ist die Thematik unserer Zeitung. Wir berichten von Anfang an über die deutsche Minderheit in Schlesien und anderen Teilen Polens: die Geschichte, gegenwärtige politische, kulturelle und soziale Tätigkeit sowie Zukunftspläne. In den letzten Jahren kamen noch die deutsch-polnischen Beziehungen hinzu, denen wir immer mehr Platz widmen. Ebenso unverändert blieb die Zweisprachigkeit der Zeitung. Zwar werden nicht alle Beiträge übersetzt, aber ein erheblicher Teil der Artikel erscheint sowohl auf Deutsch als auch auf Polnisch. Was anfangs eine Lösung für die Minderheitsmitglieder selbst sein sollte, von denen viele kein Deutsch konnten, da diese Sprache 45 Jahre lang im öffentlichen Raum verboten gewesen ist und vor allem in oberschlesischen Dörfern, wo die meisten Deutschen wohnen, nicht gelehrt werden durfte, entpuppte sich als gute Lösung, um auch an die interessierte polnische Mehrheit zu kommen. Wir wollen ja nicht nur innerhalb der Minderheit gelesen werden, sondern auch die polnischen Mitbewohner und Nachbarn erreichen. SB: Wie sieht der Alltag beim Wochenblatt aus? WB: Wir sind in der Redaktion drei Personen, die fest angestellt sind, hinzu kommt eine ifa-Redakteurin. Alle anderen journalistischen Mitarbeiter, mit denen ich auch unsere Korrespondenten in den anderen Regionen Polens meine, sowie unser Graphiker, der Übersetzer und die Korrekturleser sind Freie. Wenn ich alle zusammenrechne, sind wir ein Team von ca. 12 Personen, die jede Woche die 16-seitige Zeitung machen. Unsere Auflage (Fortsetzung auf Seite 24) 23