Madjaren Siebenbürgens erleiden müssen. Da stellt sich die Frage:
Erwartet die Madjaren das gleiche Schicksal wie die Sachsen?
„Nein“, kommt die entschlossene Antwort. „Die Madjaren
haben eine viel größere demographische Reserve. Doch wären
sie nicht die ganze Zeit so trübselig und wehleidig! Ich verstehe
ihre Frustrationen, aber man sollte trotzdem nicht jeden Tag
mit dem Gedanken aufstehen und schlafen gehen: Mein Gott,
wir verschwinden aus Siebenbürgen!” Jedoch versteht Schlattner
auch die Seelenlage der Siebenbürger Sachsen. Es ist nicht
einfach sich wieder aufzurichten für eine Nation, die vier Jahre
lang für einen fremden Kaiser kämpfte, nur um dann Zweidrittel
ihres Landes zu verlieren, besonders mit dem Wissen, dass den
Rumänen nur ein Seitenwechsel von drei knappen Monaten genügte,
um ihr Territorium zu verdoppeln. „Deshalb muss man den
Autonomiewillen der Madjaren verstehen, akzeptieren und nicht
von ihnen erwarten, dass sie am ersten Dezember auf die Straße
gehen und applaudieren!”, meint Eginald Schlattner.
Der Sachse, der ein bisschen auch Madjare sein kann
Schlattners Empathie sowie seine fast perfekten Ungarisch-Kenntnisse
muss man in seiner Familiengeschichte suchen.
Der neben sächsischen auch über ungarische Vorfahren
verfügende Mann zeigt uns einen bis auf das Jahr 1467 zurückgehenden
beträchtlichen Stammbaum, in dem auch Namen wie
Zilahi, Szőc, Borbély, Borbereki, Ecsedi, Kovásznai und Szász
vorkommen… Von dem an der Wand hängendem Adligen-Wappen
lässt sich der Name Sebess-Zilahi ablesen; Schlattners
Großmutter mütterlicherseits, die in Hermannstadt geborene
Berta, nannte man so. „Nachdem sie heiratete, nannten alle
ungarischen Verwandten sie die ,arme´ Berta, die einen Sachsen
heiratete”, schmunzelt der Enkel. Die aus einer Mischehe
geborene Tochter erblickte das Licht der Welt 1912 in Budapest.
„Sie sprach so gut Ungarisch, dass sie sogar in Theaterstücken
mitspielte“, erzählt er stolz über seine Mutter. Der 1933 in Arad
geborene Pastor zog im Alter von drei Jahren nach Wlachendorf.
In den dort verbrachten vier Jahren erlernte er seine Muttersprache,
welche er später in den damals noch über eine bedeutende
madjarische Bevölkerung verfügenden Neumarkt und Klausenburg
vervollständigte. Das ungarische Adligen-Blut hat Schlattner
zum Mitglied der historische ungarische Familien verbindenden
Castellum-Stiftung gemacht; er geht gerne zum jährlichen
Treffen der Nachfahren von Grafen und Baronen. „Ich sag´ ja,
dass ich das ganze Jahr über 100% Sachse bin; in den drei Tagen,
die ich mit meinen Freunden bei Castellum verbringe, fühle
ich mich ich ein Viertel ungarisch.”
Quelle: https://erdelyinaplo.ro/extra/aki-a-padoknak-predikal-szaszfoldon
„Wochenblatt” der deutschen Minderheit
in Polen feiert 30. Jubiläum
Chefredakteur Dr. Rudolf Urban
im SB-Gespräch
SB: Ihre Zeitschrift „Wochenblatt” wurde vor 30 Jahren, in
der Wendezeit, gegründet – welche Erinnerungen haben Sie/
hat die Redaktion an diese Zeit?
WB: Die Zeitung, damals noch unter dem Namen „Oberschlesische
Nachrichten“, wurde erstmals am 20. April 1990 herausgegeben
und zwar noch als Teil der Tageszeitung „Trybuna Opolska“,
die bis vor kurzem das kommunistische Parteiblatt für die
SoNNTAGSBLATT
Region gewesen ist. Dementsprechend wurde die Zeitung bei
den damaligen polnischen Journalisten nicht mit Wohlwollen angesehen,
was auch dazu führte, dass die deutsche Minderheit
schnell Wege gesucht hat, um einen eigenen Verlag zu gründen
und völlig eigenständig die Zeitung herauszugeben. Der erste
Chefredakteur Engelbert Mis erinnert sich in einem Interview
zum Jubiläum unserer Zeitung, dass sich die Kollegen damals
nicht nur verbalen Attacken ausgesetzt fühlten, sondern Gegner
der Zeitung bzw. der deutschen Minderheit auch handgreiflich
wurden. Schnell jedoch hat sich die Öffentlichkeit an die Existenz
der bis 1989 verleugneten deutschen Minderheit gewöhnt, also
auch an unsere Zeitung.
SB: War das Wochenblatt ein völlig neues Presseprodukt
oder gab es einen Vorgänger, aus dem dieses hervorgegangen
ist?
WB: Ja, die Zeitung war ein völlig neues Produkt, denn seit 1945
gab es keine deutsche Regionalpresse in Oberschlesien. Anders
sah es in Niederschlesien aus, wo die Deutschen in Waldenburg
und Breslau anerkannt waren und zumindest einige Jahre lang
auch eine eigene, wenn auch parteikonforme Zeitung hatten.
Die „Oberschlesischen Nachrichten“, später „Oberschlesische
Zeitung“, „Schlesisches Wochenblatt“ und schließlich heute
„Wochenblatt.pl“ war eine damals neue Initiative der Minderheit,
die eben eine eigene Presse haben wollte. Später kamen noch,
ebenfalls in Eigenregie der Minderheit, die TV-Sendung „Schlesien
Journal“ hinzu, die bis heute im öffentlich-rechtlichen Sender
ausgestrahlt wird, sowie diverse Radiosendungen in öffentlich-rechtlichen
und privaten Sendern.
SB: Was hat sich in den letzten 30 Jahren im Leben der Zeitung
verändert?
WB: 30 Jahre sind eine Menge Zeit. Natürlich hat sich bei der
Technik und Technologie viel getan, aber auch bei den Lesern
selbst. Wie jedes Papier-Medium müssen wir heute auch online
unterwegs sein, um dort unsere Leser zu erreichen. Ich glaube,
viele Journalisten der Anfangsjahre unserer Zeitung hätten nicht
gedacht, dass man einmal als „Zeitungsmensch“ auch Fotos, Audio-
und Videobeiträge machen muss.
Was im Grunde unverändert blieb, ist die Thematik unserer Zeitung.
Wir berichten von Anfang an über die deutsche Minderheit
in Schlesien und anderen Teilen Polens: die Geschichte, gegenwärtige
politische, kulturelle und soziale Tätigkeit sowie Zukunftspläne.
In den letzten Jahren kamen noch die deutsch-polnischen
Beziehungen hinzu, denen wir immer mehr Platz widmen. Ebenso
unverändert blieb die Zweisprachigkeit der Zeitung. Zwar werden
nicht alle Beiträge übersetzt, aber ein erheblicher Teil der
Artikel erscheint sowohl auf Deutsch als auch auf Polnisch. Was
anfangs eine Lösung für die Minderheitsmitglieder selbst sein
sollte, von denen viele kein Deutsch konnten, da diese Sprache
45 Jahre lang im öffentlichen Raum verboten gewesen ist und
vor allem in oberschlesischen Dörfern, wo die meisten Deutschen
wohnen, nicht gelehrt werden durfte, entpuppte sich als
gute Lösung, um auch an die interessierte polnische Mehrheit
zu kommen. Wir wollen ja nicht nur innerhalb der Minderheit gelesen
werden, sondern auch die polnischen Mitbewohner und
Nachbarn erreichen.
SB: Wie sieht der Alltag beim Wochenblatt aus?
WB: Wir sind in der Redaktion drei Personen, die fest angestellt
sind, hinzu kommt eine ifa-Redakteurin. Alle anderen journalistischen
Mitarbeiter, mit denen ich auch unsere Korrespondenten
in den anderen Regionen Polens meine, sowie unser Graphiker,
der Übersetzer und die Korrekturleser sind Freie. Wenn ich
alle zusammenrechne, sind wir ein Team von ca. 12 Personen,
die jede Woche die 16-seitige Zeitung machen. Unsere Auflage
(Fortsetzung auf Seite 24)
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