Sonntagsblatt 2/2020 | Page 20

Dokumente ergänzend mit den Statistiken der Volkszählung 2011 können wir es sehr einfach modellieren, was in der Branau mit den verbliebenen Deutschen passiert ist. Die Zahl - wahrscheinlich für viele überraschend - sank bzw. sinkt radikal. Wir haben lediglich aus 121 Gemeinden Daten für 1950, 1980 und 2011, die aber natürlich zu den wichtigsten deutschen Ortschaften gehören bzw. gehörten. Diese Liste findet man am Ende des Artikels. 1950, also direkt nach der Vertreibung, gab es noch 50 006 Deutsche in den untersuchten Gemeinden, diese Zahl war 1980 31 128 und 2011 13 155. Die Zahl ist also auf 26,31% des Wertes von 1951 gesunken, also fast 3 von 4 Deutschen sind in 60 Jahren verschwunden! Natürlich kommt das Gegenargument in Betracht, dass die Abwanderung aus den Dörfern sehr intensiv war, und wer das behauptet, hat auch Recht. Die Gesamtbevölkerung dieser Gemeinden ist auf 66% des Wertes von 1951 gesunken. Wenn aber nur das die Anzahl der Schwaben in der Branau beeinflusst hätte, sollten es 2011 rund 33 000 Deutsche in den 121 Gemeinden geben - und wie wir sehen, das war überhaupt nicht der Fall. Ehrlich gesagt scheint dies zu optimistisch und gleichzeitig unrealistisch zu sein. Und was ist die Lösung? Eine schwierige Frage, ich werde aber in meinen folgenden Artikeln Vorschläge formulieren. Die Vergangenheit können wir nicht mehr anders gestalten, die Zukunft hingegen schon! Aber erstmal sollten wirklich alle einsehen, dass wir uns in der 25. Stunde befinden und mit der Übernahme der Trägerschaft einzelner Schulen noch nichts getan ist. Mikrokosmos Ost- und Mitteleuropa Deutsche Volksgruppen Der den Bänken predigt… s Die Assimilierung dauert seit 60 Jahren ununterbrochen an. Man könnte sagen, dass die 40 Jahren des sozialistischen Systems diesen Rückgang verursacht hat. Damit hat man auch Recht, ich würde mir nie den Mut nehmen, das vergangene System in Schutz zu nehmen. Zu diesem Zeitraum gehört ohne Zweifel auch die Nachwendezeit, aber es stimmt nachdenklich, dass der Rückgang der Zahl der Deutschen in dem demokratischen, kommunikationstechnisch gesehen auf jeden Fall minderheitenfreundlichen Land Ungarn nicht gebremst werden konnte. Dafür tragen sowohl die ungarische Elite als auch die ungarndeutsche Elite Verantwortung. Diese zwei Komponenten - die Abwanderung und die Assimilierung - können sehr schnell das Ende des Kerngebiets der Donauschwaben in der Branau bedeuten. Wenn wir nur schnell eine Kalkulation machen und davon ausgehen, dass dieser Prozess in den folgenden 30 Jahren verlangsamt wird und man statt eines Rückgangs von 50% (wie von 1980 bis 2011) mit einem von 35% rechnen kann, dann wären in den geprüften Gemeinden 2040 8550 Deutsche bei einer Gesamtbevölkerung von 70 365. 20 Eginald Schlattner Erstmalig erschienen am 18. Juli 2019 in der rumänienmadjarischen Zeitung „Erdélyi Napló“ - Zweitverwendung nach Übersetzung mit freundlicher Genehmigung des Autors Ervin Szucher. Eginald Norbert Schlattner ist der 86 Jahre alte evangelische Pastor der Gemeinde Rothberg/Roşia. Er hat alles miterlebt, was den Siebenbürger Sachsen im letzten Jahrhundert widerfahren ist. Er musste auch miterleben, wie seine 700-Seelen-Gemeinde nach der Wende binnen kürzester Zeit auf nur vier Personen schwand. Ein letztes Mal klingt die Glocke im einsamen Turm. Sie wird immer leiser, bis sie ganz verstummt und die Umgebung in Stille hüllt. In eins-zwei Minuten, die wie eine Ewigkeit wirken, öffnet sich die Flügeltür der nahegelegenen Kirche, durch sie tritt ein Pastor in langem, schwarzem Gewand herein. Er ist ein hochgewachsener, grauhaariger alter Mann. Er schreitet mit einer Bibel in seiner Hand Richtung Altar, während seine Blicke über die Kirchbänke spähen, obwohl er auch mit einem Blick auf die Bänke aufreihen könnte, welches Gemeindemitglied wo seinen Platz hat. Er hält, dreht sich, schaut sich bedächtig um und seufzt. „Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“, sagt er mit prächtiger Stimme und antwortet sich auch prompt: „Amen.” Nach dem einführenden Psalm wendet er sich Richtung Altar und spricht das Bußgebet. Danach blickt er erneut auf die Kirchbänke und predigt die Gnade Gottes. In seinem in einen Satz kondensierten Gebet versucht er den wichtigsten Gedanken der Woche so zu formulieren, dass er währenddessen auf die Taten Gottes hinweist. Die Predigt beginnt er mit dem exakten Benennen der Bibelstelle - zu diesem Zeitpunkt und auch während der Antwort bleibt niemand - nicht mal die Jüngsten oder die alten Frauen - sitzen. Die Liturgie ist bereits auf ihrem Höhepunkt: Das lebendige Evangelium ertönt. Die Kirche wird von Stille erfüllt, nicht mal das Summen einer Fliege ist zu hören, SoNNTAGSBLATT