sein Programm für die unteren sozialen Schichten im Geiste des
Katholizismus zu realisieren. „Die Nationalversammlung ist ein
Schaufenster der Triebhaftigkeit, Selbstgefälligkeit, des Übermuts
und der Ungezogenheit. Diese Leute genießen im Angesicht
der Nation nur ihre eigene Glorifizierung.
Sie sind Abgeordnete, aber sie haben sie keine Skrupel, für welche
Kultur, Diskretion oder Sachkenntnisse sie in ihrer Mission
einstehen wollen. Aber nachdem man trotzdem nicht beabsichtigt,
einen Erwachsenen für seelisch unerzogen zu halten, nämlich
-dass er nicht so ist, wie er aussieht,
-dass er kein Kind ist,
-kein Hund, der nach seinen Eigenen eigensüchtig schnüffelt,
-kein Farbenblinder, der sich nur an seinem Weltbild orientiert,
-dass er kein Mondsüchtiger, kein Halbnarr, kein Entarteter,
-kein Gift ausstrahlender Demagoge, kein intriganter Spitzbube
ist. Ach, mein Gott, die seelische Kultur, die dem Senat geziemende
Gehobenheit, erscheinen nur in einigen Menschen.”
Einen Tag zuvor, am 16. November, schreibt Prohászka: „Einjähriges
Jubiläum! Und das des Einzugs von Horthy nach Budapest!
Was haben wir damals geschrieben, was haben wir erwartet!
Na ja, sein Herr war Befreiungsheer, vor dem rumänischen
Räuber. Genauso wie Szobieszky (sic!) in Wien, so wurde er in
Budapest empfangen, aber hinter dem christlich-nationalen Programm
fehlte die christliche Nation und in erster Linie die das
Christentum verkörpernde Nationalversammlung. Gott verleihe
uns die Kritik, aber wir wären doch Christen! Daraus müssten wir
vor allem in unserem Leben Nutzen ziehen; aber gerade dieses
Leben und die Wirklichkeit fehlt, und so sind eben die Rollenspieler
keine Männer, sondern Masken und Larven, Sancho Pansas!
Auf Rosinanten reitende Ritter!”
Am 13. November schreibt er: „Jetzt ein Jahr zuvor hat der König
geschrieben, er ziehe weg, welch eine Regierungsform sich die
Nation wähle - er stehe nicht im Wege. Und heute war die Ratifizierung
des Friedens von Neuilly. Viele haben geweint. Pál Teleki,
der Ministerpräsident, hat sehr unvoreingenommen, aus dem
Herzensgrund vorgetragen, er könne – sagte er – nicht anderswie
tun. Er hat betont, umsonst wird Ungarn als etwas Schwarzes
ausgerufen, schwarz sind auch andere Staaten. Er hat auf
England und Irland, auf die Unruhen in den deutschen Städten
hingewiesen. […] Wie groß ist die Lügerei in dieser so genannten
Demokratie. Wie viele hochtrabende zornwütige Menschen!
Und dass das Volk der Herr ist? Wo? Und wer ist das Volk? Worin
besteht seine Herrschaft? Darin, dass es sich mit Eseln behängt?
Auch das Parlament selbst ist eine solche Versammlung
ohne Kriterien! Welche gelangen hin? Gibt es eine Selektion?
Wenn es sie irgendwo gibt, müsste gerade das Parlament eine
haben. Na, und wie sieht das eigentlich aus? Das Ganze ist eine
irreale Welt, sie beschränkt sich auf die Verwechslung der abstrakten
Gedanken mit der konkreten Wirklichkeit […]” Prohászka
kannte sich allmählich in dieser Quasiwelt aus, die er früher - in
Folge seiner traditionellen Lebensform als Mönch, seiner Abgeschlossenheit,
der durch den Treibhauseffekt vertieften Isoliertheit
- nicht in ihrer nackten Realität wahrnehmen konnte. Die
Desillusionierung war hierdurch groß. Obwohl Budapest keine
Ausnahme war, kein anderes Parlament in der Welt hätte besser
sein können. Modegecken verübten Niedertracht, die das Volk
zum Schluss immer entdeckt, womit das Vertrauen verloren und
die Moralität untergraben wird. „Die Journalistik ist auch reine
Lügerei, Übertreibung, Jagd auf die Sensationen, wenig gewissenhafte
Zungendrescherei. Was wird aus dem Publikum, das
mit solcher Schlempe ernährt wird?”
SoNNTAGSBLATT
„ […] »fecsegde«, Schwatzbude, und die Parlamentarier werden
leerköpfige Mauldrescher – Stupid like a commission, sagt der
Engländer und Schiller sagt: »Jeder, sieht man ihn einzeln, ist
leidlich klug und verständlich, sind sie in corpore, gleich wird ein
Dummkopf daraus«. Daher denke ich, dass einen Geistlichen
das Abgeordnetenmandat dehonestiert . Es passt nicht zur Toga,
geschweige denn zum Evangelium.” Im Tagebuch ist diese Eintragung
die letzte, die noch als politischer Natur beurteilt werden
kann. Bis 1927, bis zum Tode Prohászkas, überwiegt der reine
religiöse Inhalt.
Fazit
Ottokár Prohászka als Bischof eines der größten Episkopate
der Landes, des Székesfehérvárer Kirchensprengels, war den
Folgen seiner nationalen Denkungsart und der Unabhängigkeitspolitik
ausgesetzt. Die Habsburgerdynastie hätte von ihren
Untertanen im kirchlichen Dienst erwartet, dass sie sich mit dem
Hauptmerkmal der Außenpolitik, der „katholischen Vormacht”
identifizieren. Prohászka hat seit seiner Ernennung zum Bischof
1905 dieser Vorbedingung scheinbar Genüge geleistet. Das alles
hat er gegen seine grundlegenden Einstellungen getan. Er
war seit Kindheit an im ungarischen Geist erzogen und später
wurden die politischen Ideen der Unabhängigkeit Ungarns von
Österreich in ihm noch intensiver. Nach dem Zerfall der Monarchie
eröffnete sich ihm ein freier Weg zur Realisierung dieser
nationalistisch-patriotistischer Ideenwelt, was nicht zuletzt mit
seinen großartigen Reformgedanken verknüpft war. Prohászka
wollte nach dem Zusammenbruch am Kriegsende durch die ungarische
Kirche - durch die soziale Aufwertung des Volkes - ein
modernes, christliches Ungarn wiedererbauen. Mit diesem Ziel
trat er auf die politische Bühne als Nationalversammlungsabgeordneter.
Im parlamentarischen Leben gingen seine Hoffnungen
nicht in Erfüllung. „Und dann muss ich offen sagen, ich bin kein
Politiker. Ich gehe in alle Komplikationen der Politik, der Parteikämpfe
und des Machtstreits nicht ein. Aber wenn von einer
Seite irgendeine volksrettende, zum Gemeinwohl beitragende
Initiative kommt, so würde ich sie gerne annehmen, auch freue
ich mich darüber, dass ich mich an deren Realisierung beteiligen
kann.” Als Abgeordneter in dem Budapester Abgeordnetenhause
erkannte er die mentalen und moralischen Schwächen des politischen
Lebens. Er entschied sich deswegen mit dem direkten
Politisieren aufzuhören.
Consummatum est?
So verschwindet aus den Dörfern
der Branau das Schwabentum
Von Patrik Schwarcz-Kiefer
Dank zweier Quellen kann man einen besseren Überblick über
die demographische Talfahrt des Branauer Schwabentums bekommen:
Bei der einen Quelle handelt es sich um „den Bericht
des Innenministers über die statischen Daten der aus dem
Staatsgebiet Ungarns ausgesiedelten und der dort verbliebenen
Einwohner deutscher Nationalität” aus dem Jahre 1950 und bei
der anderen um im Jahre 1980 von den örtlichen Ratsvorsitzenden
vorbereitete Schätzungen. Anhand dieser zwei wichtigen
(Fortsetzung auf Seite 20)
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