Sonntagsblatt 2/2020 | Page 19

sein Programm für die unteren sozialen Schichten im Geiste des Katholizismus zu realisieren. „Die Nationalversammlung ist ein Schaufenster der Triebhaftigkeit, Selbstgefälligkeit, des Übermuts und der Ungezogenheit. Diese Leute genießen im Angesicht der Nation nur ihre eigene Glorifizierung. Sie sind Abgeordnete, aber sie haben sie keine Skrupel, für welche Kultur, Diskretion oder Sachkenntnisse sie in ihrer Mission einstehen wollen. Aber nachdem man trotzdem nicht beabsichtigt, einen Erwachsenen für seelisch unerzogen zu halten, nämlich -dass er nicht so ist, wie er aussieht, -dass er kein Kind ist, -kein Hund, der nach seinen Eigenen eigensüchtig schnüffelt, -kein Farbenblinder, der sich nur an seinem Weltbild orientiert, -dass er kein Mondsüchtiger, kein Halbnarr, kein Entarteter, -kein Gift ausstrahlender Demagoge, kein intriganter Spitzbube ist. Ach, mein Gott, die seelische Kultur, die dem Senat geziemende Gehobenheit, erscheinen nur in einigen Menschen.” Einen Tag zuvor, am 16. November, schreibt Prohászka: „Einjähriges Jubiläum! Und das des Einzugs von Horthy nach Budapest! Was haben wir damals geschrieben, was haben wir erwartet! Na ja, sein Herr war Befreiungsheer, vor dem rumänischen Räuber. Genauso wie Szobieszky (sic!) in Wien, so wurde er in Budapest empfangen, aber hinter dem christlich-nationalen Programm fehlte die christliche Nation und in erster Linie die das Christentum verkörpernde Nationalversammlung. Gott verleihe uns die Kritik, aber wir wären doch Christen! Daraus müssten wir vor allem in unserem Leben Nutzen ziehen; aber gerade dieses Leben und die Wirklichkeit fehlt, und so sind eben die Rollenspieler keine Männer, sondern Masken und Larven, Sancho Pansas! Auf Rosinanten reitende Ritter!” Am 13. November schreibt er: „Jetzt ein Jahr zuvor hat der König geschrieben, er ziehe weg, welch eine Regierungsform sich die Nation wähle - er stehe nicht im Wege. Und heute war die Ratifizierung des Friedens von Neuilly. Viele haben geweint. Pál Teleki, der Ministerpräsident, hat sehr unvoreingenommen, aus dem Herzensgrund vorgetragen, er könne – sagte er – nicht anderswie tun. Er hat betont, umsonst wird Ungarn als etwas Schwarzes ausgerufen, schwarz sind auch andere Staaten. Er hat auf England und Irland, auf die Unruhen in den deutschen Städten hingewiesen. […] Wie groß ist die Lügerei in dieser so genannten Demokratie. Wie viele hochtrabende zornwütige Menschen! Und dass das Volk der Herr ist? Wo? Und wer ist das Volk? Worin besteht seine Herrschaft? Darin, dass es sich mit Eseln behängt? Auch das Parlament selbst ist eine solche Versammlung ohne Kriterien! Welche gelangen hin? Gibt es eine Selektion? Wenn es sie irgendwo gibt, müsste gerade das Parlament eine haben. Na, und wie sieht das eigentlich aus? Das Ganze ist eine irreale Welt, sie beschränkt sich auf die Verwechslung der abstrakten Gedanken mit der konkreten Wirklichkeit […]” Prohászka kannte sich allmählich in dieser Quasiwelt aus, die er früher - in Folge seiner traditionellen Lebensform als Mönch, seiner Abgeschlossenheit, der durch den Treibhauseffekt vertieften Isoliertheit - nicht in ihrer nackten Realität wahrnehmen konnte. Die Desillusionierung war hierdurch groß. Obwohl Budapest keine Ausnahme war, kein anderes Parlament in der Welt hätte besser sein können. Modegecken verübten Niedertracht, die das Volk zum Schluss immer entdeckt, womit das Vertrauen verloren und die Moralität untergraben wird. „Die Journalistik ist auch reine Lügerei, Übertreibung, Jagd auf die Sensationen, wenig gewissenhafte Zungendrescherei. Was wird aus dem Publikum, das mit solcher Schlempe ernährt wird?” SoNNTAGSBLATT „ […] »fecsegde«, Schwatzbude, und die Parlamentarier werden leerköpfige Mauldrescher – Stupid like a commission, sagt der Engländer und Schiller sagt: »Jeder, sieht man ihn einzeln, ist leidlich klug und verständlich, sind sie in corpore, gleich wird ein Dummkopf daraus«. Daher denke ich, dass einen Geistlichen das Abgeordnetenmandat dehonestiert . Es passt nicht zur Toga, geschweige denn zum Evangelium.” Im Tagebuch ist diese Eintragung die letzte, die noch als politischer Natur beurteilt werden kann. Bis 1927, bis zum Tode Prohászkas, überwiegt der reine religiöse Inhalt. Fazit Ottokár Prohászka als Bischof eines der größten Episkopate der Landes, des Székesfehérvárer Kirchensprengels, war den Folgen seiner nationalen Denkungsart und der Unabhängigkeitspolitik ausgesetzt. Die Habsburgerdynastie hätte von ihren Untertanen im kirchlichen Dienst erwartet, dass sie sich mit dem Hauptmerkmal der Außenpolitik, der „katholischen Vormacht” identifizieren. Prohászka hat seit seiner Ernennung zum Bischof 1905 dieser Vorbedingung scheinbar Genüge geleistet. Das alles hat er gegen seine grundlegenden Einstellungen getan. Er war seit Kindheit an im ungarischen Geist erzogen und später wurden die politischen Ideen der Unabhängigkeit Ungarns von Österreich in ihm noch intensiver. Nach dem Zerfall der Monarchie eröffnete sich ihm ein freier Weg zur Realisierung dieser nationalistisch-patriotistischer Ideenwelt, was nicht zuletzt mit seinen großartigen Reformgedanken verknüpft war. Prohászka wollte nach dem Zusammenbruch am Kriegsende durch die ungarische Kirche - durch die soziale Aufwertung des Volkes - ein modernes, christliches Ungarn wiedererbauen. Mit diesem Ziel trat er auf die politische Bühne als Nationalversammlungsabgeordneter. Im parlamentarischen Leben gingen seine Hoffnungen nicht in Erfüllung. „Und dann muss ich offen sagen, ich bin kein Politiker. Ich gehe in alle Komplikationen der Politik, der Parteikämpfe und des Machtstreits nicht ein. Aber wenn von einer Seite irgendeine volksrettende, zum Gemeinwohl beitragende Initiative kommt, so würde ich sie gerne annehmen, auch freue ich mich darüber, dass ich mich an deren Realisierung beteiligen kann.” Als Abgeordneter in dem Budapester Abgeordnetenhause erkannte er die mentalen und moralischen Schwächen des politischen Lebens. Er entschied sich deswegen mit dem direkten Politisieren aufzuhören. Consummatum est? So verschwindet aus den Dörfern der Branau das Schwabentum Von Patrik Schwarcz-Kiefer Dank zweier Quellen kann man einen besseren Überblick über die demographische Talfahrt des Branauer Schwabentums bekommen: Bei der einen Quelle handelt es sich um „den Bericht des Innenministers über die statischen Daten der aus dem Staatsgebiet Ungarns ausgesiedelten und der dort verbliebenen Einwohner deutscher Nationalität” aus dem Jahre 1950 und bei der anderen um im Jahre 1980 von den örtlichen Ratsvorsitzenden vorbereitete Schätzungen. Anhand dieser zwei wichtigen (Fortsetzung auf Seite 20) 19