Sonntagsblatt 2/2020 | Page 16

den christlichen Organisationen versammeln. Das sind der Katholische Volksverein, der Landwirteverband, die Landes-Kreditvereinigung, die „Hangya, die industriellen Innungen die Arbeiterorganisationen sowie die Komitatslandwirtevereinigungen.” Alle sollten dort die nötigen Informationen im Rahmen einer Ausbildung erhalten, mit welcher sie ihren Aufgaben Genüge leisten können, wenn ihnen nach den Wahlen die Selbstverwaltung zuteilwird. Prohászkas politische Tätigkeit äußerte sich maßgebend nicht in der Politik, sondern nur darin, dass er den Menschen in praktischer Hinsicht geholfen hat. Die verbitterten, alle Abscheulichkeiten der Front erlebt und überlebt habenden Soldaten ließ er zu sinnvoller Beschäftigung kommen: Im Herbst 1918 ließ er die Maisernte auf den Maisfeldern im Besitz des Stuhlweißenburger Kirchsprengels im Dritteil ausgegeben, womit die heimkehrenden arbeitslosen Soldaten das Geld nicht als eine demütigende Sozialhilfe fühlten, sondern als Geld, das sie verdient hatten. In der Sache der Kriegsgefangenen ließ er eine Aktion in Gang setzen: Er bat den Erzbischof Csernoch Papst Benedikt XV. eine Bitte zu übermitteln, um das Leben der Gefangenen in Italien zu verbessern und ihre Entlassung aus der Gefangenschaft bei den politischen Behörden zu erwirken. Alles, was er getan hat, hat er nicht vor der großen Öffentlichkeit getan, das öffentliche, direkte Politisieren war nach den oben erörterten Gründen nicht sein Spielfeld. Prohászka täuschte sich endlich in der Károlyi-Regierung und persönlich in Károlyi. Die Verhältnisse im Inland sowie in der Außenpolitik wurden von Schritt zu Schritt immer chaotischer. Wenn auch in rechtlichem Sinne nicht, aber in der Wirklichkeit hat Ungarn bis Januar 1919 zwei Drittel seiner Gebiete verloren. Die Entente sah es als empfehlenswert an, die deutsche Hegemonie in Mitteleuropa aufzuheben und statt einer kräftigen, großen Habsburgermonarchie eine Kette von kleinen Staaten (teils lebensunfähige Satellitenstaaten) ins Leben zu rufen. Die Versorgung mit Lebensmitteln und Heizmitteln im Lande sank auf den Zustand Null und in einiger Beziehung wurden Zeichen der Entstehung einer Anomie sichtbar. Man konnte von einer geregelten Außenpolitik nicht sprechen: Das diplomatische Corps befand sich in einem Übergangszustand, die alten Diplomaten waren noch förmlich im Dienst, die neuen - von Károlyi ernannten - aber in den Empfangsländern nicht anerkannt. Niemand wusste, wer die Interessen der Ungarischen Volksrepublik bei der jeweiligen Regierung vertritt. In der Schweiz gab es beispielsweise drei Botschafter in derselben Zeit und in Bern gerade die von Károlyi delegierte Botschafterin Róza Bédy-Schwimmer nicht anerkannte – wegen ihrer jüdischen Abstammung und ihres „unangemessenen Benehmens”. Die die Front verlassen habenden Regimenter wurden abgerüstet und die unter der Mitwirkung der k. u. k. Offizieren ungarischer Zuständigkeit geplante Reorganisation einer neuen ungarischen Armee scheiterte. Die bürgerlichen Parteien hatten nämlich die Bewaffnung der Arbeiter – aus innen- und außenpolitischen Gründen abgelehnt, z.B. Angst vor GEFÄLLT IHNEN DAS SoNNTAGSBLATT s ? IHRE SPENDE IST DIE JA-ANTWORT! der Revolution, drohende Entente-Repressalien usw.. Im Laufe der Zeit hatte Károlyi seine Massenbasis verloren; die Gesellschaft setzte ihre Präponderanz auf die linken oder linksradikalen Parteien um. Noch Anfang März hatten den innenpolitischen Markt die Sozialdemokraten beherrscht, bis sie infolge der noch intensiveren Verschlechterung der Lage die Macht dem roten Terror von Béla Kun übergaben. Räterepublik Die Formation darf man nach 100 Jahren nicht mehr als Machtübernahme der unterdrückten Klassen auffassen. Die Räterepublik war weder Verkörperung des Rates unter der Mitwirkung der Arbeiter, der Soldaten und der Bauern noch Republik. „Vor dem Kommunismus hat die empfindliche Seele Prohászkas viel zu leiden gehabt.” – schreibt der Monographist Ferenc Szabó. Prohászka fürchtete sich nicht vor dem Verlust der Bequemlichkeit des Lebens, sondern vor der Zerstörung in den Seelen, die der rote Terror hervorruft. Die radikale Wende in der Politik verstärkte seine altbewährten Einstellungen über das Judentum, über die Zerstörung der Juden in der ungarischen Gesellschaft: Dass der Kommunismus in Ungarn Raum gewinnen konnte, ist der Minenarbeit der Juden zu verdanken. (Nicht betrachtet, dass ein Großteil der Erduldenenden der kommunistischen Barbarei und des Unwesens der Lenin-Jungs [„Lenin-fiúk“] auch aus den Reihen der jüdischen Schichten stammte.) „Diese ganze Revolution und die ihr folgende Herrschaft baute gänzlich auf Sand oder sagen wir lieber auf den Gebirgsabhang und da sie dort nicht stehen bleiben konnte, rutschte sie dort auf dem Grund ohne Grund immer tiefer hinab. Und wir sind bereits heruntergerutscht, unermesslich nach unten, weit unter alle Völker und Nationen. Das gotteslästerliche und von dem Judentum zu Grunde gebrachte Magyarentum geriet in ein schreckliches Tragikum und entgegen seinem alten Ruf ist es infolge der Epidemie der Charakterlosigkeit und der Feigheit auch der Gegenstand des allgemeinen Gespöttes geworden. Die ganze Welt lacht über uns und wir schämen uns darüber, dass wir uns zu Ungarn bekennen. Die Sozialisten haben sich als hoch und heilig beteuert und mit einem abscheulichen Posieren haben sie sich als Welteroberer ausgegeben. […] Der Sozialismus hat den Kommunismus auf die Welt geboren, dann haben die Sozialisten den Kommunismus als ein Bastard des Teufels hingestellt. Ein Taugenichts, (vielleicht Béla Kun!) hat ihn mitgebracht, erzogen und als er plötzlich hier war, fing er dieses russisch–jüdisch–ungarische Hirngespinst an die Nase des Magyarentums anzuhängen. Na, dann waren schon auch selbst die Sozialisten satt mit ihm. Der Sozialismus gilt als jener Elefant der Logik, auf dessen Rücken jeder gesellschaftliche Wahnsinn mit Riesenaufmachung zu uns umgesiedelt ist.” Prohászka konnte Zerstörung und Unwesen der „Lenin-Boys” in seiner Residenz in Székesfehérvár nicht sehen, deshalb zog er ins Wohnhaus von Prälat-Kanoniker Ferenc Streit. Sonst verbrachte er die ganze Zeit des Kommüns mit Ekel und Passivität. Die Arbeiterklasse und noch viele in Ungarn erwarteten Ende März von der Räterepublik die Verbesserung ihres Lebens, erhöhte Löhne, Warenüppigkeit und normale Gesundheitsversorgung. Die das Land mit Streitkräften umgebende Entente umschloss Ungarn mit einer Kette von Blockaden: Béla Kuns terroristisches Regime wurde ausgehungert und die Volksmassen, die im März die Ausrufung der Räterepublik begrüßten, begannen sich allmählich von den Kommunisten abzuwenden. Nach Ende Mai musste das Direktorium (regierendes Organ der Kommunisten) mit nicht weniger Lethargie zur Kenntnis nehmen, dass die Arbeiterklasse, deren Name das ganze Unternehmen der kommunistischen Herrschaft brandmarkte, sich für eine politische Wendung einsetzen will. Im Inland Hoffnungslosigkeit, Abstumpfung, außerhalb der Grenzen die Entent-Truppen, die zur Niederschlagung der Revolution in jeder Minute bereit waren! In den Sommermonaten gestaltete sich eine konterrevolutionäre Armee und eine Regierung unter 16 SoNNTAGSBLATT