der Leitung von Miklós Horthy in Szeged - wie der Historiker Ignác
Romsics schreibt: „Konterrevolution in der Revolution”. In
der krisenhaften Situation am 5. Juli 1919, als es noch unsicher
war, ob der Entente die Diktatur mit militärischen Kräften niederzuschlagen
gelingt, finden wir die tröstenden Worte in Romsics`
Tagebuch eingetragen: „Wir selber sind nur Mittel, Schachfiguren,
das Ganze können wir nur durch den Glauben begreifen.
Nur wer glaubt, nur wer die epische Bedeutung der Kämpfe begreift
und zwar das, dass hier die Führung der Große Führer besitzt,
steht auf der Höhe der Situation. Von diesem seelischen
Zustand muss man ausgehen, man darf die Ereignisse nicht zur
Psychologie erniedrigen, in der die Individuen ihrer kleinen und
großen Eigensucht folgen. Die Seelen existieren, sie spannen
aus und arbeiten, aber nicht sie bestimmen die Linie der Ereignisse
und der Entwicklung. Sie sind nur Stücklohnarbeiter, sie
planen und schaffen nicht. […] Außerhalb der Psyche spielt hier
der große Metaphysiker die Hauptrolle, der der hervorragendste
Synthetisator ist! Der Sieg wird immer von dem Geist eingeräumt.
[…] Die Lage sieht am klarsten aus, wenn den Weg
und die Kämpfe des Geistes und des Fortschritts diejenigen
vertreten, die die reinsten Sitten haben; das geschah auch im
Konflikt des römischen Heidentums und des Christentums. Die
rohe Macht steht der reinsten unverfälschten Moral gegenüber.
Ehemals haben die ideellen Ziele auch viele Schurken, Strizzis,
Spitzbuben oder charakterlose Firmen vertreten. Kreuzzüge, Renaissance,
Französische Revolution, neueste Revolution - das
Gesindel kämpft für vereinzelte Ideen, die in den Spurrinnen des
Bauchs fallen, die Armen können für das bessere Leben einen
Kampf führen […].”
War Prohászka ein Konterrevolutionär? Auftritt von Miklós
Horthy als Reichsverweser - Nationalversammlung
Und der Große Führer hat es für gut gefunden, die Räterepublik
fallen zu lassen. Ab August 1919 hatte die Initiative die rumänische
Armee im Entente-Auftrag übernommen und besetzte
das von der Roten Armee der „tanácsköztársaság” bereinigte
Ungarn, genauer gesagt Budapest und das östliche Übertheisgebiet
(„Tiszántúl”). Die Rote Armee („vörös hadsereg”) Béla
Kuns wurde aufgelöst. In Budapest wurde eine Regierung unter
der Leitung von Gyula Peidl gebildet. Die rumänische Besatzung
dauerte nicht lange. Nachdem die Pariser Friedenskommission
und das Ententeoberkommando die Rumänen aus dem verbliebenen
Staatsgebiet hinausgewiesen hatte, kam die Szegeder
Regierung an die Macht. Konteradmiral Miklós Horthy – ehemals
Kommandant der k. u. k. Kriegsmarine an der Adria, später
Flügeladjutant von Franz Joseph I. – war ein richtiger Konterrevolutionär,
was in erster Linie darin zum Vorschein kam, dass
er aus den k. u. k. Offizieren, die ihre Stellen verloren hatten, ein
Sonderkommando organisierte, das in den von den Rumänen
nicht besetzten westungarischen Gebieten die wirkliche Macht
ausübte. Die politische Macht war danach eine zweifache, im
„Dunántúl” Horthy , im Übrigen die Peidl-Regierung und weitere
kurzlebige Regierungen im Laufe des Herbstes 1919. Die
Sonderkommandos leiteten einen Rachenfeldzug ein; die vorher
im kommunistischen Terror Tätigen wurden eingesammelt: Hinrichtungen,
Folterqualen folgten und infolge dieses Strafzuges
wurde – nicht gerade den Vorstellungen von Bischof Prohászka
angemessen – die gesellschaftliche Ordnung wiederhergestellt.
Nicht nur Horthy, sondern auch die Mehrheit der Politiker und der
ungarischen Staatsbürger sowie auch der siegreichen Entente
hatten erkannt, dass in der chaotischen Lage ausschließlich eine
zusammengefasste Armee wirkliche Macht und Ordnung anstatt
Anomie zu vertreten vermag. Dem Kreis dieser Klarseher gehörte
auch Bischof Ottokár Prohászka. Er pflegte mit Horthy gute
Beziehungen, die Sympathie war gegenseitig. Die Entente hatte
endlich den Beschluss gefasst, dass die Kontrolle über die
Hauptstadt das Horthy-Sonderkommando (oder in diesen Tagen
schon Nationalarmee) übernehmen kann. Selbst der englische
Diplomat war mit Horthy übereingekommen, dass die Rumänen
SoNNTAGSBLATT
das Land verlassen müssten und an ihre Stelle die Nationalarmee
(„nemzeti hadsereg”) als einzig maßgebende politische
Kraft trete. Am 16. November 1919 zog er in Budapest ein und
richtete sein provisorisches Hauptquartier im Hotel Gellért ein.
Der nächste Schritt war, dass die Regierung von István Friedrich
(Nachfolger von Gyula Peidl) im Einverständnis mit der Pariser
Friedenskommission die Organisation der allgemeinen Wahlen
und danach die Einberufung der Nationalversammlung durchführte.
Prohászka wurde Abgeordneter in der Nationalversammlung.
Die Erneuerung des Katholizismus, die soziale Aufwertung
des Volkes im christlichen Geiste, Befreiung der Politik von den
Schranken und Hemmungen infolge der Abschaffung des dualistischen
Systems – alles, was in seiner Gedankenwelt seit den
römischen Jahren wirkte – mobilisierte Prohászka Politiker zu
werden - was er, wie oben gesehen, vorher nicht gerne gehabt
hätte. Richelieus Haltung kam bei ihm in den Vordergrund: „[…]
als Politiker folgte er nicht in jeder Hinsicht dem Dogma, er dachte,
man müsse stark genug dazu sein, alles zu machen, was man
für nötig hält. Die Handlungen des Politikers könne man nicht gemäß
den menschlichen Normen beurteilen. »Der Staat ist nicht
unsterblich, entweder wird er jetzt selig oder nie.«” Prohászka –
vergewaltigt sein eigenes Ego – war im Interesse einer gar nicht
sicher erscheinenden ungarischen Auferstehung zu einer Position
gekommen, die ihm wegen seiner negativen genetischen
Beschaffenheit fremd war.
Prohászka – wie erwähnt – hatte gute Beziehungen zum Oberbefehlshaber
(„fővezér”) Horthy. Horthy war in seinen Siófoker
Wochen mehrmals zu Gast bei ihm in der Stuhlweißenburger
Bischofsresidenz: Er war im Bischofspalais untergebracht, Festessen,
freundschaftlich Gespräche über die Zukunft Ungarns
und später auch wiederholte Treffen miteinander. Die politischen
Gegensätze, die Dominanz der Siegermächte und das Diktat
der Pariser Friedenskommission führten in diesen Monaten oft
zu Regierungskrisen. Die Lage der vom 12. November 1919 an
amtierenden Regierung von Károly Huszár war während ihrer
ganzen Periode mehr als instabil. Ihre Zusammenstellung und
Kraftlosigkeit entsprach nicht den Interessen der ungarischen
Gesellschaft und überhaupt nicht denen der vier Siegermächte.
Horthy, der Anfang 1920 schon an der Macht war, stand in Verhandlung
mit vielen maßgebenden Kreisen über eine für jede
Seite akzeptable Regierung. Viele kamen in Frage.
Ein typischer Fall für Prohászka aus dem Tagebuch am 12. Januar
1920: „Nun also, was einem zustoßen kann, konnte ich erfahren.
Oberbefehlshaber Horthy hat mich gerufen, ich fuhr mit
Auto durch großes Schneewasser zu ihm, in Anwesenheit des
Generals der Kavallerie Berzeviczky hat er mich empfangen. Er
sprach mir aus, wie schwer unsere Lage ist, und? und? (sic!)
ich werde der Ministerpräsident! Ich sperrte Mund und Nase
auf! Was? Ich, Ministerpräsident? Ich verstehe nichts davon, ich
kann mit Menschen nicht unterhandeln, Beratungen leiten, verantwortlich
sein als Präsident in allen die einzelnen Portefeuilles
betreffenden Angelegenheiten, keine Ahnung über das Leben im
Parlament, mit einem Wort, sie müssen einen zuständigen Mann
finden und nicht einen, der davon nur so viel versteht, wie Esel
vom Flötenblasen. Na, aber so und so, war die Antwort darauf.
Ich habe da nur Umschweife gemacht, endlich teilte ich ihnen
mit, dass wenn er mich mit militärischer Patrouille herholt, so
werde ich gehorsam, sonst aber nie!”
Position nicht, Aktivität im Interesse der besseren ungarischen
Zukunft aber ja! Offener Brief an die Huszár-Regierung am 21
Januar 1920 in der „Nemzeti Újság”: Die Regierung soll mit den
gesellschaftlichen Organisationen im Interesse der vielen tausenden
Budapester Kinder zusammenhalten, die ohne Kleidung,
Schuhe und Lebensmittel auf den Straßen ihr Leben fristen. Der
Akt des Agitierens wiederholte sich aber auch ein paar Monate
später. Wieder wollte ihn das politische Establishment zum Mi-
(Fortsetzung auf Seite 18)
17