Sonntagsblatt 2/2020 | Page 17

der Leitung von Miklós Horthy in Szeged - wie der Historiker Ignác Romsics schreibt: „Konterrevolution in der Revolution”. In der krisenhaften Situation am 5. Juli 1919, als es noch unsicher war, ob der Entente die Diktatur mit militärischen Kräften niederzuschlagen gelingt, finden wir die tröstenden Worte in Romsics` Tagebuch eingetragen: „Wir selber sind nur Mittel, Schachfiguren, das Ganze können wir nur durch den Glauben begreifen. Nur wer glaubt, nur wer die epische Bedeutung der Kämpfe begreift und zwar das, dass hier die Führung der Große Führer besitzt, steht auf der Höhe der Situation. Von diesem seelischen Zustand muss man ausgehen, man darf die Ereignisse nicht zur Psychologie erniedrigen, in der die Individuen ihrer kleinen und großen Eigensucht folgen. Die Seelen existieren, sie spannen aus und arbeiten, aber nicht sie bestimmen die Linie der Ereignisse und der Entwicklung. Sie sind nur Stücklohnarbeiter, sie planen und schaffen nicht. […] Außerhalb der Psyche spielt hier der große Metaphysiker die Hauptrolle, der der hervorragendste Synthetisator ist! Der Sieg wird immer von dem Geist eingeräumt. […] Die Lage sieht am klarsten aus, wenn den Weg und die Kämpfe des Geistes und des Fortschritts diejenigen vertreten, die die reinsten Sitten haben; das geschah auch im Konflikt des römischen Heidentums und des Christentums. Die rohe Macht steht der reinsten unverfälschten Moral gegenüber. Ehemals haben die ideellen Ziele auch viele Schurken, Strizzis, Spitzbuben oder charakterlose Firmen vertreten. Kreuzzüge, Renaissance, Französische Revolution, neueste Revolution - das Gesindel kämpft für vereinzelte Ideen, die in den Spurrinnen des Bauchs fallen, die Armen können für das bessere Leben einen Kampf führen […].” War Prohászka ein Konterrevolutionär? Auftritt von Miklós Horthy als Reichsverweser - Nationalversammlung Und der Große Führer hat es für gut gefunden, die Räterepublik fallen zu lassen. Ab August 1919 hatte die Initiative die rumänische Armee im Entente-Auftrag übernommen und besetzte das von der Roten Armee der „tanácsköztársaság” bereinigte Ungarn, genauer gesagt Budapest und das östliche Übertheisgebiet („Tiszántúl”). Die Rote Armee („vörös hadsereg”) Béla Kuns wurde aufgelöst. In Budapest wurde eine Regierung unter der Leitung von Gyula Peidl gebildet. Die rumänische Besatzung dauerte nicht lange. Nachdem die Pariser Friedenskommission und das Ententeoberkommando die Rumänen aus dem verbliebenen Staatsgebiet hinausgewiesen hatte, kam die Szegeder Regierung an die Macht. Konteradmiral Miklós Horthy – ehemals Kommandant der k. u. k. Kriegsmarine an der Adria, später Flügeladjutant von Franz Joseph I. – war ein richtiger Konterrevolutionär, was in erster Linie darin zum Vorschein kam, dass er aus den k. u. k. Offizieren, die ihre Stellen verloren hatten, ein Sonderkommando organisierte, das in den von den Rumänen nicht besetzten westungarischen Gebieten die wirkliche Macht ausübte. Die politische Macht war danach eine zweifache, im „Dunántúl” Horthy , im Übrigen die Peidl-Regierung und weitere kurzlebige Regierungen im Laufe des Herbstes 1919. Die Sonderkommandos leiteten einen Rachenfeldzug ein; die vorher im kommunistischen Terror Tätigen wurden eingesammelt: Hinrichtungen, Folterqualen folgten und infolge dieses Strafzuges wurde – nicht gerade den Vorstellungen von Bischof Prohászka angemessen – die gesellschaftliche Ordnung wiederhergestellt. Nicht nur Horthy, sondern auch die Mehrheit der Politiker und der ungarischen Staatsbürger sowie auch der siegreichen Entente hatten erkannt, dass in der chaotischen Lage ausschließlich eine zusammengefasste Armee wirkliche Macht und Ordnung anstatt Anomie zu vertreten vermag. Dem Kreis dieser Klarseher gehörte auch Bischof Ottokár Prohászka. Er pflegte mit Horthy gute Beziehungen, die Sympathie war gegenseitig. Die Entente hatte endlich den Beschluss gefasst, dass die Kontrolle über die Hauptstadt das Horthy-Sonderkommando (oder in diesen Tagen schon Nationalarmee) übernehmen kann. Selbst der englische Diplomat war mit Horthy übereingekommen, dass die Rumänen SoNNTAGSBLATT das Land verlassen müssten und an ihre Stelle die Nationalarmee („nemzeti hadsereg”) als einzig maßgebende politische Kraft trete. Am 16. November 1919 zog er in Budapest ein und richtete sein provisorisches Hauptquartier im Hotel Gellért ein. Der nächste Schritt war, dass die Regierung von István Friedrich (Nachfolger von Gyula Peidl) im Einverständnis mit der Pariser Friedenskommission die Organisation der allgemeinen Wahlen und danach die Einberufung der Nationalversammlung durchführte. Prohászka wurde Abgeordneter in der Nationalversammlung. Die Erneuerung des Katholizismus, die soziale Aufwertung des Volkes im christlichen Geiste, Befreiung der Politik von den Schranken und Hemmungen infolge der Abschaffung des dualistischen Systems – alles, was in seiner Gedankenwelt seit den römischen Jahren wirkte – mobilisierte Prohászka Politiker zu werden - was er, wie oben gesehen, vorher nicht gerne gehabt hätte. Richelieus Haltung kam bei ihm in den Vordergrund: „[…] als Politiker folgte er nicht in jeder Hinsicht dem Dogma, er dachte, man müsse stark genug dazu sein, alles zu machen, was man für nötig hält. Die Handlungen des Politikers könne man nicht gemäß den menschlichen Normen beurteilen. »Der Staat ist nicht unsterblich, entweder wird er jetzt selig oder nie.«” Prohászka – vergewaltigt sein eigenes Ego – war im Interesse einer gar nicht sicher erscheinenden ungarischen Auferstehung zu einer Position gekommen, die ihm wegen seiner negativen genetischen Beschaffenheit fremd war. Prohászka – wie erwähnt – hatte gute Beziehungen zum Oberbefehlshaber („fővezér”) Horthy. Horthy war in seinen Siófoker Wochen mehrmals zu Gast bei ihm in der Stuhlweißenburger Bischofsresidenz: Er war im Bischofspalais untergebracht, Festessen, freundschaftlich Gespräche über die Zukunft Ungarns und später auch wiederholte Treffen miteinander. Die politischen Gegensätze, die Dominanz der Siegermächte und das Diktat der Pariser Friedenskommission führten in diesen Monaten oft zu Regierungskrisen. Die Lage der vom 12. November 1919 an amtierenden Regierung von Károly Huszár war während ihrer ganzen Periode mehr als instabil. Ihre Zusammenstellung und Kraftlosigkeit entsprach nicht den Interessen der ungarischen Gesellschaft und überhaupt nicht denen der vier Siegermächte. Horthy, der Anfang 1920 schon an der Macht war, stand in Verhandlung mit vielen maßgebenden Kreisen über eine für jede Seite akzeptable Regierung. Viele kamen in Frage. Ein typischer Fall für Prohászka aus dem Tagebuch am 12. Januar 1920: „Nun also, was einem zustoßen kann, konnte ich erfahren. Oberbefehlshaber Horthy hat mich gerufen, ich fuhr mit Auto durch großes Schneewasser zu ihm, in Anwesenheit des Generals der Kavallerie Berzeviczky hat er mich empfangen. Er sprach mir aus, wie schwer unsere Lage ist, und? und? (sic!) ich werde der Ministerpräsident! Ich sperrte Mund und Nase auf! Was? Ich, Ministerpräsident? Ich verstehe nichts davon, ich kann mit Menschen nicht unterhandeln, Beratungen leiten, verantwortlich sein als Präsident in allen die einzelnen Portefeuilles betreffenden Angelegenheiten, keine Ahnung über das Leben im Parlament, mit einem Wort, sie müssen einen zuständigen Mann finden und nicht einen, der davon nur so viel versteht, wie Esel vom Flötenblasen. Na, aber so und so, war die Antwort darauf. Ich habe da nur Umschweife gemacht, endlich teilte ich ihnen mit, dass wenn er mich mit militärischer Patrouille herholt, so werde ich gehorsam, sonst aber nie!” Position nicht, Aktivität im Interesse der besseren ungarischen Zukunft aber ja! Offener Brief an die Huszár-Regierung am 21 Januar 1920 in der „Nemzeti Újság”: Die Regierung soll mit den gesellschaftlichen Organisationen im Interesse der vielen tausenden Budapester Kinder zusammenhalten, die ohne Kleidung, Schuhe und Lebensmittel auf den Straßen ihr Leben fristen. Der Akt des Agitierens wiederholte sich aber auch ein paar Monate später. Wieder wollte ihn das politische Establishment zum Mi- (Fortsetzung auf Seite 18) 17