den christlichen Organisationen versammeln. Das sind der Katholische
Volksverein, der Landwirteverband, die Landes-Kreditvereinigung,
die „Hangya, die industriellen Innungen die Arbeiterorganisationen
sowie die Komitatslandwirtevereinigungen.” Alle
sollten dort die nötigen Informationen im Rahmen einer Ausbildung
erhalten, mit welcher sie ihren Aufgaben Genüge leisten
können, wenn ihnen nach den Wahlen die Selbstverwaltung zuteilwird.
Prohászkas politische Tätigkeit äußerte sich maßgebend nicht
in der Politik, sondern nur darin, dass er den Menschen in praktischer
Hinsicht geholfen hat. Die verbitterten, alle Abscheulichkeiten
der Front erlebt und überlebt habenden Soldaten ließ er
zu sinnvoller Beschäftigung kommen: Im Herbst 1918 ließ er die
Maisernte auf den Maisfeldern im Besitz des Stuhlweißenburger
Kirchsprengels im Dritteil ausgegeben, womit die heimkehrenden
arbeitslosen Soldaten das Geld nicht als eine demütigende
Sozialhilfe fühlten, sondern als Geld, das sie verdient hatten. In
der Sache der Kriegsgefangenen ließ er eine Aktion in Gang setzen:
Er bat den Erzbischof Csernoch Papst Benedikt XV. eine
Bitte zu übermitteln, um das Leben der Gefangenen in Italien
zu verbessern und ihre Entlassung aus der Gefangenschaft bei
den politischen Behörden zu erwirken. Alles, was er getan hat,
hat er nicht vor der großen Öffentlichkeit getan, das öffentliche,
direkte Politisieren war nach den oben erörterten Gründen nicht
sein Spielfeld.
Prohászka täuschte sich endlich in der Károlyi-Regierung und
persönlich in Károlyi. Die Verhältnisse im Inland sowie in der
Außenpolitik wurden von Schritt zu Schritt immer chaotischer.
Wenn auch in rechtlichem Sinne nicht, aber in der Wirklichkeit
hat Ungarn bis Januar 1919 zwei Drittel seiner Gebiete verloren.
Die Entente sah es als empfehlenswert an, die deutsche
Hegemonie in Mitteleuropa aufzuheben und statt einer kräftigen,
großen Habsburgermonarchie eine Kette von kleinen Staaten
(teils lebensunfähige Satellitenstaaten) ins Leben zu rufen. Die
Versorgung mit Lebensmitteln und Heizmitteln im Lande sank
auf den Zustand Null und in einiger Beziehung wurden Zeichen
der Entstehung einer Anomie sichtbar. Man konnte von einer geregelten
Außenpolitik nicht sprechen: Das diplomatische Corps
befand sich in einem Übergangszustand, die alten Diplomaten
waren noch förmlich im Dienst, die neuen - von Károlyi ernannten
- aber in den Empfangsländern nicht anerkannt. Niemand wusste,
wer die Interessen der Ungarischen Volksrepublik bei der jeweiligen
Regierung vertritt. In der Schweiz gab es beispielsweise
drei Botschafter in derselben Zeit und in Bern gerade die von
Károlyi delegierte Botschafterin Róza Bédy-Schwimmer nicht anerkannte
– wegen ihrer jüdischen Abstammung und ihres „unangemessenen
Benehmens”. Die die Front verlassen habenden
Regimenter wurden abgerüstet und die unter der Mitwirkung der
k. u. k. Offizieren ungarischer Zuständigkeit geplante Reorganisation
einer neuen ungarischen Armee scheiterte. Die bürgerlichen
Parteien hatten nämlich die Bewaffnung der Arbeiter – aus
innen- und außenpolitischen Gründen abgelehnt, z.B. Angst vor
GEFÄLLT IHNEN DAS
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IHRE SPENDE IST DIE
JA-ANTWORT!
der Revolution, drohende Entente-Repressalien usw.. Im Laufe
der Zeit hatte Károlyi seine Massenbasis verloren; die Gesellschaft
setzte ihre Präponderanz auf die linken oder linksradikalen
Parteien um. Noch Anfang März hatten den innenpolitischen
Markt die Sozialdemokraten beherrscht, bis sie infolge der noch
intensiveren Verschlechterung der Lage die Macht dem roten
Terror von Béla Kun übergaben.
Räterepublik
Die Formation darf man nach 100 Jahren nicht mehr als Machtübernahme
der unterdrückten Klassen auffassen. Die Räterepublik
war weder Verkörperung des Rates unter der Mitwirkung der
Arbeiter, der Soldaten und der Bauern noch Republik. „Vor dem
Kommunismus hat die empfindliche Seele Prohászkas viel zu
leiden gehabt.” – schreibt der Monographist Ferenc Szabó. Prohászka
fürchtete sich nicht vor dem Verlust der Bequemlichkeit
des Lebens, sondern vor der Zerstörung in den Seelen, die der
rote Terror hervorruft. Die radikale Wende in der Politik verstärkte
seine altbewährten Einstellungen über das Judentum, über die
Zerstörung der Juden in der ungarischen Gesellschaft: Dass der
Kommunismus in Ungarn Raum gewinnen konnte, ist der Minenarbeit
der Juden zu verdanken. (Nicht betrachtet, dass ein Großteil
der Erduldenenden der kommunistischen Barbarei und des
Unwesens der Lenin-Jungs [„Lenin-fiúk“] auch aus den Reihen
der jüdischen Schichten stammte.) „Diese ganze Revolution und
die ihr folgende Herrschaft baute gänzlich auf Sand oder sagen
wir lieber auf den Gebirgsabhang und da sie dort nicht stehen
bleiben konnte, rutschte sie dort auf dem Grund ohne Grund
immer tiefer hinab. Und wir sind bereits heruntergerutscht, unermesslich
nach unten, weit unter alle Völker und Nationen. Das
gotteslästerliche und von dem Judentum zu Grunde gebrachte
Magyarentum geriet in ein schreckliches Tragikum und entgegen
seinem alten Ruf ist es infolge der Epidemie der Charakterlosigkeit
und der Feigheit auch der Gegenstand des allgemeinen
Gespöttes geworden. Die ganze Welt lacht über uns und wir
schämen uns darüber, dass wir uns zu Ungarn bekennen. Die
Sozialisten haben sich als hoch und heilig beteuert und mit einem
abscheulichen Posieren haben sie sich als Welteroberer ausgegeben.
[…] Der Sozialismus hat den Kommunismus auf die Welt
geboren, dann haben die Sozialisten den Kommunismus als ein
Bastard des Teufels hingestellt. Ein Taugenichts, (vielleicht Béla
Kun!) hat ihn mitgebracht, erzogen und als er plötzlich hier war,
fing er dieses russisch–jüdisch–ungarische Hirngespinst an die
Nase des Magyarentums anzuhängen. Na, dann waren schon
auch selbst die Sozialisten satt mit ihm. Der Sozialismus gilt als
jener Elefant der Logik, auf dessen Rücken jeder gesellschaftliche
Wahnsinn mit Riesenaufmachung zu uns umgesiedelt ist.”
Prohászka konnte Zerstörung und Unwesen der „Lenin-Boys” in
seiner Residenz in Székesfehérvár nicht sehen, deshalb zog er
ins Wohnhaus von Prälat-Kanoniker Ferenc Streit. Sonst verbrachte
er die ganze Zeit des Kommüns mit Ekel und Passivität.
Die Arbeiterklasse und noch viele in Ungarn erwarteten
Ende März von der Räterepublik die Verbesserung ihres Lebens,
erhöhte Löhne, Warenüppigkeit und normale Gesundheitsversorgung.
Die das Land mit Streitkräften umgebende Entente
umschloss Ungarn mit einer Kette von Blockaden: Béla Kuns
terroristisches Regime wurde ausgehungert und die Volksmassen,
die im März die Ausrufung der Räterepublik begrüßten,
begannen sich allmählich von den Kommunisten abzuwenden.
Nach Ende Mai musste das Direktorium (regierendes Organ der
Kommunisten) mit nicht weniger Lethargie zur Kenntnis nehmen,
dass die Arbeiterklasse, deren Name das ganze Unternehmen
der kommunistischen Herrschaft brandmarkte, sich für eine politische
Wendung einsetzen will.
Im Inland Hoffnungslosigkeit, Abstumpfung, außerhalb der Grenzen
die Entent-Truppen, die zur Niederschlagung der Revolution
in jeder Minute bereit waren! In den Sommermonaten gestaltete
sich eine konterrevolutionäre Armee und eine Regierung unter
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