– demonstrierte daher für die Einstellung des kriegerischen Blutbades.
Und - in Beziehung auf Prohászka ist das am wichtigsten
- am Kriegsende erprobte schon ihre Schwingen die katholische
Organisation, die Christliche Demokratie. Indessen formierte
sich eine dritte Antwort auf die Probleme als eine Reflexion auf
die Regierungspolitik, in der eine hartnäckige Anhänglichkeit an
das Alte, an den Dualismus, erschien.
Eine junge Generation ist seit den 1890er Jahren aufgewachsen,
deren Eltern die Idee des Gesamtreiches präferierten. Die
wohlhabenden Kreise des Großbesitztums, die so genannte historische
Mittelklasse, war Widersacherin jeder Bodenreform und
wollte keine Zugeständnisse an die Nationalitäten geben. Die
Söhne politisierten elastischer als die Väter, sie grenzten sich
nicht von den Reformen ab: Sie standen hinter dem liberal-konservativen
System von István Tisza und führten gleichzeitig einen
Kampf gegen die „fremden Elemente“, das heißt gegen die
Juden. Auf einen Schlag forderten sie eine nationale Wiedergeburt,
ein rassistisches Vorgehen gegen die Juden und außerdem
einen Widerstand gegen alle reformistischen Bestrebungen der
Arbeiterklasse und der radikalliberalen Intelligenz. Sie sahen,
dass die Revolution – wenn die Dinge so weitergingen – unvermeidlich
würde, daher gelangten sie zur Idee der Organisation
einer Konterrevolution im nationalistischen Sinne. Der von ihnen
gegründete „Nemzetvédelmi Szövetség” [Verband für die Nationale
Verteidigung] hatte als Ziel die Rettung der ganzen ungarischen
Nation und die territoriale Unverletzbarkeit des Ungarischen
Königreiches. Aber alles war umsonst, der Krieg fraß alle
Geduld und Nüchternheit der Menschen auf, sie wollten nicht
mehr warten. Am 31. Oktober 1918 brach die bürgerliche Revolution
aus und verhalf der Partei von Mihály Károlyi zur Macht.
Für Prohászka schien die neue Lage in vieler Hinsicht günstig zu
sein. Die Károlyi-Regierung arbeitete in großer Schnelligkeit ein
soziales Programm aus, das sie wegen der Anomalien nach dem
Abschluss des Krieges nicht durchzuführen vermochte. Ausgehend
von den in Rerum Novarum niedergelegten Prinzipien von
Papst Leo XIII wies aber die sozialpolitische Thematik Károlyis
viele Gemeinsamkeiten mit den Vorstellungen von Prohászka
auf. Prohászka trug sich mit den gleichen Gedanken, vor allem
bei der Bodenverteilung. Als der Krieg noch in vollem Gange
war, hatte er von seinem Stuhlweißenburger Kirchensprengel
angehörenden Grundherrschaften Boden zu verteilen versucht.
So schreibt er am 25. April 1915 im Tagebuch: „Noch nicht aufgezeichnet,
dass ich die große Kanone in der Sitzung des OMGE
abgefeuert habe, ich habe da meinen Antrag über die Bodenverteilung
vorgelegt. Kurz habe ich argumentiert, warum? Ich habe
an Erbpacht gedacht, nachdem es für etwas anderes kein Geld
gibt; und diese Erbpacht so durchzuführen, damit der Pächter
nicht fühlt, dass er Schulden tilgt, sondern dass er so etwas hat,
was bis auf die »Ewigkeit« das Seine ist.” Prohászka hat sich mit
diesem politischen Zug in sein Spiel sehen lassen; die Empörung
war groß. „Schon jetzt begannen die Pressereflexionen zu strömen;
auch die »Világ« hat sich fürchterlich aufgeführt und ich
bekomme Telegramme aus allen Richtungen.”
Merkwürdiger Weise gelang Prohászka zu diesem Entschluss
mithilfe weltlicher Politiker aus dem Apparat des gemeinsamen
Außenministeriums. „Mir wurden diese Gedanken von Gyula
Malcolmes` Sekretär des gemeinsamen Außenministeriums
gegeben; der ganze Plan gehört ihm, ich habe diesen nur aus
kirchlicher Sicht tadelfrei gemacht. Ich habe einen wahrhaftig
großen Stein in den »Velence-See« , in dieses breite, seichte
Gewässer geworfen. Jetzt wirbelt es und es ringelt sich.” Die
Einführung der Modernität hat gewisse Voraussetzungen und die
Reformen in der katholischen Kirche gehen nach der Auffassung
Prohászkas in diese Richtung: „Es ist möglich, irgendwelchen
Vorwand zu suchen, aber es muss anerkannt werden, dass das
ungarischen Volk in die ungarische und christliche Richtung mit
Bodenverteilung befördert werden soll – und noch etwas: Die Latifundien
sind auch bei uns reif zur Aufteilung.”
SoNNTAGSBLATT
Diese Gesinnungsart würde sich auch mit der Auffassung die
Ungarische Unabhängigkeitspartei von Károlyi „reimen”, in ihren
Grundzügen sogar mit den Prinzipien der Kommunisten um Béla
Kun entsprechen. Gegenüber Béla Kun bestand die größte Differenz
darin, dass die im März 1919 ins Leben gerufene „Räterepublik”
im Geiste des Bolschewismus die kirchlichen Güter ohne
Entschädigung säkularisierte. (Der Unterschied natürlich groß.)
Nach der Ernennung der Károlyi-Regierung schaute Prohászka
jedenfalls froh und mit Hoffnungen voll in die Zukunft. Das bischöfliche
Rundschreiben Anfang November 1918 forderte die
Interessierten zur Unterstützung von Károlyi auf. Die Ambivalenz
zwischen den außenpolitischen Interessen der Habsburger
Dynastie und der ungarischen staatlichen Unabhängigkeit
schien mit dem Sieg der bürgerlichen Revolution aufgehoben zu
sein. Eines der wichtigsten Hindernisse im Wege der Modernisierung
der ungarischen Kirche hatte an Aktualität verloren. Es gab
keinen Anlass mehr, mit Rücksicht auf die in dem Weltkrieg noch
gültigen Prinzipien „Österreich als katholische Vormacht” zu berücksichtigen.
Die Károlyi-Regierung übte die Macht auf Grund
der revolutionären Bevollmächtigung aus. Nach Prohászkas Auffassung
verursachte die relative Rückständigkeit der Länder die
antimagyarische Politik der Dynastie. Im Rückblick auf die Zeit
vor 100 Jahren wissen wir, dass es nicht so war, aber um die
Jahrhundertwende liefen Forderungen und Kampf für diese völlige
ungarische Autonomie noch auf Hochtouren. Die lange unter
Despotismus leidenden Polen – mit denen die ungarische Kirche
immer Solidarität pflegte – hatten aus den Händen der Entente
ihre Eigenstaatlichkeit erhalten. Und die Minderheiten des Königreiches
Ungarn sprachen ihren Anschluss an die benachbarten
neuen Staatsgebilde aus: die Tschechoslowakei, Jugoslawien,
Rumänisches Königreich. (Fast alle Drei bereuten in kurzer Zeit,
dass sie es getan hatten.)
Prohászka bereitete dieses letzte Ereignis die größte Sorge. Die
Besatzung der Entente und später die Friedensverträge aus den
Pariser Vororten hatten die seelische und verwaltungsbezogene
Einheit des gesamten ungarischen Christentums zerschnitten.
Fünf Diözesen fielen in zwei Teile gespalten auf fremdes Staatsgebiet.
Sie mussten sich den neuen Machthabern auf Gnade
und Ungnade ausliefern. Nicht wenig Mühe kostete es die ungarischen
Kirchenfürsten die aus dieser Lage sich ergebenden
Schwierigkeiten zu bewältigen. Vollkommenen Erfolg versprach
aber die neue Lage nicht. Auf die einzig mögliche Lösung vertröstete
nur die territoriale Revision, also die Wiederherstellung
des historischen Ungarischen Königreiches oder mindestens die
Ausdehnung der Staats- und dadurch der Diözesangrenzen bis
zu den ethnischen Grenzen. Prohászka gehörte dem Kreis jener
kirchlichen Würdenträger an, die sich für dieses außenpolitische
Programm folgerichtig einsetzten.
Die Sozialdemokraten und die Enttäuschung
Prohászka hatte keine ungetrübten Verbindungen zu den Sozialdemokraten,
was auch mit seiner Haltung gegenüber der jüdischen
Frage verbunden war. (Es gab einen relativ hohen Anteil
von Politikern jüdischer Herkunft in der Sozialdemokratischen
Partei.) Alles, was seinem Lebensprogramm bezüglich des Modernismus
in der katholischen Konfession entgegenstand, stand
auch ihm persönlich entgegen. Obwohl Prohászka die maßgebende
Rolle der Sozialdemokratie in der bürgerlichen Revolution
anerkannte, war er der Meinung, diese Partei müsse in der
ungarischen Politik zurückgedrängt werden. Das sollte nicht mit
Gewalt geschehen - wie im November 1918 und später bei den
Bolschewiki in Russland und den ungarischen Kommunisten
nach März 1919 - sondern durch demokratische Wahlen für die
„nemzetgyűlés”, also die Nationalversammlung. In seinen Rundbriefen
legte Prohászka das Gewicht auf die Propaganda: Die
Gläubigen dürfen nicht auf die sozialdemokratischen Propagandisten
und auf ihre Presse hören, sondern sie müssen sich in
(Fortsetzung auf Seite 16)
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