Schwaben? Wer denkt an sie? Man müsste aber gleichzeitig
fragen, warum diese Schwaben das nicht einfordern? Weil sie
der (Groß-) Muttersprache etwa nicht mehr mächtig sind? Hatte
Georg Sawa wieder mal Recht gehabt und wir haben uns billig
verkauft?!
Epilog
Dass es insgesamt anders geht, dafür liefert uns das öfters zitierte
Bistum Temeswar wieder mal ein gutes Beispiel. Kurz nach
der Verkündigung der Einschränkungen in der Seelsorge trat Bischof
Josef-Csaba Pál vor die Mikrofone oder besser gesagt vor
das Smartphone und wandte sich an das Kirchenvolk und zwar
in drei Sprachen: auf Deutsch, Rumänisch und Ungarisch. Eine
Erfahrung, die uns in Ungarn nicht zuteil wurde, wahrscheinlich
feilt die Ungarische Bischofskonferenz immer noch an ihrem Hirtenbrief
in deutscher, slowakischer, kroatischer und Lovari- sowie
Beasch-Sprache. Genauso fehlten Hinweise, wann Messen in
solchen Sprachen im Internet übertragen werden. Hier waren die
in Rumänien wieder Vorreiter - einfach, weil es dort authentisch
ist und das ohne Prädikat „mustergültig”.
Von Minderheitenrechten
in Ermächtigungszeiten
Von Richard Guth
Wir erleben ohne Zweifel eine besondere Zeit: eine Zeit, die
unterschiedliche Reaktionen auslöst, je nach Persönlichkeit,
kulturellem Hintergrund, Mentalität oder Traditionslinien. Manche
beschwören die Kraft der Gemeinschaft sowie die Bedeutung
des Zusammenhalts und meinen es auch ernst. Andere tun
dies wiederum, aber viele zweifeln an der Ernsthaftigkeit dieser
Verlautbarung. Manche meinen, gerade in solchen Zeiten sollte
man demokratische Strukturen stärken und auf die Eigenverantwortung
und auf die Mündigkeit des Bürgers setzen, anderenorts
wiederum schränkt man verbriefte Rechte ein. Wenn es um
unser höchstes Gut, die Gesundheit, geht, dann mag man sogar
zustimmen, aber wenn dies nur als Attrappe dient, dann löst das
zu Recht Kopfschütteln aus.
Man könnte das soeben Geschilderte auf viele Bereiche anwenden,
ich beschränke mich aber auf das Religionsleben. Verbrieftes
Recht jedes Minderheitenangehörigen ist die Seelsorge in
der Muttersprache, was selbst in „Friedenszeiten” nicht jedem
gewährt wird. Die Gründe sind vielfältig: Man beruft sich mal auf
die historische Entwicklung, mal auf die sprachliche Assimilierung
und mal darauf, dass es an Nachfrage fehle. Mag in bestimmten
Fällen was dran sein, aber eins stört mich dabei immer:
Wir sprechen hier von etwas, was in anderen Minderheitengemeinschaften
um uns herum eine Selbstverständlichkeit ist.
Gerne nehme ich von Zeit zu Zeit das Beispiel des Bistums Temeswar:
Nach dem Massenexodus der Deutschen in der Wendezeit
werden die Angehörigen unterschiedlicher Nationalität
und Muttersprache der dortigen katholischen Diözese mehrheitlich
von madjarischen Geistlichen betreut – selbst der neue (aber
seit 1985 im Bistum aktive) Bischof ist ein Madjare, ein Novum
in der Geschichte des Bistums, waren doch bislang alle Bischöfe
deutscher Nationalität. Für diese madjarischen Priester ist es
dennoch eine Selbstverständlichkeit, dreisprachige Seelsorge
(mancherorts aber auch Seelsorge in kroatischer und tschechischer
Sprache) zu betreiben.
Mit einem solchen Priester haben wir an Ostern ein Interview geführt
– zu seiner Berufung gehörte nach eigenen Angaben auch
diese Multilingualität. Wer meint es hier mit Einzelkämpfern zu
tun zu haben, der irrt sich: Das Bistum schickte diesen Pfarrer
zur Vertiefung seiner Deutschkenntnisse nach Fulda. Wäre auch
mal ein gutes Beispiel für die ungarischen Bischöfe! Denn wir
wissen: Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Dieser genannte
Geistliche hält in Coronazeiten im Übrigen regelmäßig Heilige
Messen auf Ungarisch, Rumänisch und Deutsch. Aber er ist keineswegs
ein Einzelfall: Auch sein Bischof liest regelmäßig Messen
in allen drei Sprachen. Also: Wo eine Struktur herrscht, da
läuft es.
In Ungarn sucht man Derartiges selbst in „Friedenszeiten” nur
mit der Lupe. Deutsche Messen sind rar und hängen immer
noch oft von dem Willen oder Unwillen des Ortspfarrers und vom
Durchsetzungsvermögen engagierter Pfarrgemeinderatsmitglieder
und Mitglieder der DNSVW ab. Oft schließt man (eigentlich
faule) Kompromisse, um dem Pfarrer entgegenzukommen: Liturgie
auf Deutsch (oder wie es gerade vorgelesen wird), Predigt
und Ansprachen (und alles andere) auf Ungarisch. Dabei trägt
die Geistlichkeit keinesfalls die alleinige Schuld: Jeder weiß, wie
es um die Fremdsprachenkenntnisse der Ungarn bestellt ist. Jeder
weiß, dass es keine intakten Dorfgemeinschaften nichtungarischer
Sprache mehr gibt. Jeder weiß, dass die Katholische Kirche
schon immer eine eifrige Madjarisiererin war. Dennoch wäre
es ungerecht, die Situation nur schlechtzureden.
Ein positives Beispiel in diesen Coronazeiten liefert eine ehemalige
Bergbaustadt unweit von Budapest, die von der Vertreibung
verschont geblieben ist. Der Ort hatte echt Glück und nicht nur in
dieser Hinsicht: Zwischen Kriegsende und Wendezeit diente ein
Pfarrer deutscher Nationalität und Muttersprache hier, der selbst
in den dunkelsten 50er Jahren auf Deutsch predigte. Aber auch
nach seinem Rückzug dienten und dienen solche Priester (wenn
bis auf eine Ausnahme nicht der jeweilige Pfarrer), die der deutschen
Sprache mächtig sind und sich Predigten in der Sprache
der Ahnen zutrauen. Corona hat ab dem Frühjahr dazu geführt,
dass Messen nur im kleinen Kreis stattfinden können, die dann
mitunter im Lokalfernsehen übertragen werden. Erfreulich zu beobachten
war, dass eine der vier Messen im April eine deutschsprachige
war. Man könnte motzen, warum nur eine, aber angesichts
der Tatsache, dass dieser besagte Gottesdienst am dritten
Ostersonntag der einzige der Woche war, sollte man Ruhe walten
lassen. Man könnte genauso monieren, dass der konzelebrierende
Ortspfarrer seine Schlussansprache auf Ungarisch hielt,
obwohl er ja seit fast zwei Jahrzehnten deutsche Messen liest
(im wörtlichen Sinne).
Aber wir wissen, alles ist relativ. Zwei Orte weiter, eine Gemeinde,
zur Hälfte vertrieben, regelmäßige deutsche Messen seit
über zwei Jahrzehnten wieder (zuvor waren einmal im Monat die
Grundgebete und die Lieder auf Deutsch)! Die Vertreibungsmesse
im April wird seit dem 50. Jahrestag der Vertreibung im Jahre
1996 in deutscher Sprache gefeiert - bis Corona kam, denn in
diesem Jahr las sie der Ortspfarrer auf Ungarisch, lediglich die
Lieder waren auf Deutsch. Alles im kleinen Kreis, aber übertragen
vom bereits erwähnten Lokalsender! Ein einmaliger Ausrutscher?
Das bleibt zu hoffen. Ich habe zwar in der Vergangenheit
bei der vormaligen DNSVW-Vorsitzenden vielfach reklamiert,
dass die anschließende Kranzniederlegung nicht zweisprachig
vonstattenging, aber dieser neue Vorfall übertraf es bei weitem.
Es wäre sicherlich müßig, den Pfarrer nach seinen Beweggründen
zu fragen. Es ist halt so gelaufen, wir sprechen ja alle Ungarisch,
könnte man meinen. Aber lassen wir uns wirklich ohne weiteres
so einfach unsere erkämpften Rechte nehmen? Für mich
bleibt diese Frage jedenfalls eine rhetorische.
Epilog: Im Juni kehrt allmählich Normalität ein – es werden in beiden
Orten unweit von Budapest, nach fast zwei Monaten Pause
(denn die Aprilmesse in der ehemaligen Bergbaustadt war die
vorerst letzte), wieder regelmäßig deutsche Messen gelesen.
SoNNTAGSBLATT
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