Sonntagsblatt 2/2019 | Page 9

staltet werden kann. Im Valeria-Koch-Bildungszentrum nehmen wir uns viel diesbezüglich vor: Auch das Christkindlspiel wird re- gelmäßig in Tracht in der Pius-Kirche von unseren Gymnasias- ten aufgeführt oder die Johannes-Passion, mit der wir bereits in 27 Gemeinden zu Gast waren. Wir denken, dass wir Bräuche erleben lassen müssen, weil das die Familien den Kindern nicht mehr bieten können. So haben wir jährlich – auch auf Klassen- ebene – mehrere Projekte in deutschen Dörfern - meistens in Dörfern, aus denen die Großeltern der Schüler stammen oder noch dort leben -, wobei die Kinder kochen und backen lernen, die Bauernarbeiten kennen lernen, sogar mitmachen, Original- trachten, Tänze, Lieder usw. erleben und erlernen. Bräuche im Unterricht aus Volkskundebüchern erlernen kann eine Basis sein, aber ohne Erleben ist es ein „totes Material“.“ Ein Projekt bedarf nicht nur des Engagements von Helfern, son- dern auch der Unterstützung der Eltern und anderer Akteure: „Die Eltern waren begeistert, die Kinder noch mehr. Nicht zuletzt auch deshalb, weil sie kurz davor im Volkskundeunterricht über die Erstkommunion gelernt haben und auf Fotos all dem begeg- net sind, was sie später erleben durften. Viele Großeltern haben mich nach der Messe angesprochen und haben sich sogar im Namen von Urgroßmüttern bedankt, die dem Gottesdienst nicht beiwohnen konnten.“ Etwas schwieriger gestaltete sich die Zu- sammenarbeit mit den Kirchenvertretern, obwohl der Pfarrer, der am Koch-Schulzentrum Religionsunterricht gibt, „den emo- tionalen Teil unseres Anliegens verstanden“ hätte: „Wir haben nicht rechtzeitig mit der Organisation eines deutschsprachigen Gottesdienstes angefangen, sondern lediglich am Tag vorher ge- fragt, ob Fürbitten auf Deutsch gelesen werden könnten und das wurde uns abgelehnt, mit der Begründung, dass bei der Erst- kommunion auch Schüler anderer Schulen dabei sind. Nächstes Jahr versuchen wir, uns auch hier durchzusetzen. Grundsätzlich haben wir leider nach wie vor Schwierigkeiten mit den deutsch- sprachigen Messen. In diesem Jahr haben wir in der Franzis- kanerkirche jeden dritten Samstag im Monat den deutschspra- chigen Gottesdienst, jedoch an der Stelle beziehungsweise zum Zeitpunkt einer früher ungarischsprachigen Messe, so haben wir oft das Problem, dass sich die Gläubigen, die kein Deutsch können, beschweren. Wir spüren die Unterstützung seitens der Kirche immer noch sehr vage. Aufgeben werden wir aber nicht.“ Merkwürdigkeiten s Eher ein Deutscher in Ungarn als ungarndeutsch zu sein… Von Georg Sawa Am Ostermontag geschah es. Ein alter Bekannter hielt vor dem Haus, er hat mich auf dem Hof erblickt. Gebräunt, für sein Alter fit und schwungvoll, lächelnd kam er auf mich zu. „Und?” fragte er fast etwas spöttisch. „Noch immer in Ungarn?” „Ja…”, ant- wortete ich – wohl etwas verlegen – in Erinnerung an unser letz- tes Gespräch zu Weihnachten. „In Deiner ganzen Straße sind nur noch alte Leute; hie und da ein paar „Unbeholfene”. Und ihr, die bis zu euren Schulkindern alle deutsch sprecht in der Fa- milie, hockt hier…” - er machte dabei eine nicht zu übersehen verächtliche Geste Richtung unseres klapprigen Pkws, den Hof und das Haus mit inbegriffen, die bereits schönere Tage erlebt haben. „Bleibt ihr?!”, fragte er noch mit einem etwas zynischen Lächeln im Mundwinkel, während er sich in sein frisch poliertes Auto schwang und nur noch kurz zurückwinkte, während er aufs Gaspedal tippte, um Richtung Westen davonzustauben. SoNNTAGSBLATT Also, ja, wir sind geblieben und bleiben; was einer Trotzreaktion gleichkommt. Weil, warum auch? Der Verpflichtung willen, es den Ahnen nachzumachen, die vertrieben wurden, dann aber über Zonengrenzen und der Todesgefahr zum Trotz in eine Hei- mat, die sie nie verraten haben, die aber sie aus jedem Hab und Gut geplündert, schuldig erklärt und ausgestoßen hat, zurück- kehrten?! Jedenfalls ist es nicht die Angst, es zu wagen, von hier wegzugehen: Man braucht nämlich dazu mehr Mut, hier zu blei- ben. „Es ist schon schön in Deutschland…”, sagen ab und zu unsere Kinder – nicht ohne etwas Fernweh in der Stimme. „Sol- len wir gehen?”, stellen wir mit meiner Frau dann die Frage, aber schließlich äußern auch sie den Wunsch, zu bleiben. Wer weiß, vielleicht uns zuliebe! Wenn sie sich erwachsen dazu entschei- den, eine andere Heimat zu wählen, werden wir nicht in ihrem Wege stehen. Obwohl wir nicht ungebildet, nicht visionslos und nicht ohne Ideen sind, haben wir etwas, was die Ära in Ungarn heute kaum duldet: Wir haben feste, entschlossene Meinungen und wollen keine faulen Kompromisse eingehen. Ich muss auf meine Großeltern und Eltern zurückgreifen: Sie ha- ben ihr elementares Ich ebenfalls beibehalten. Wenn es heißt, „man durfte ja nicht Deutsch reden…” - …anno dazumal… – und dass man darum nicht mehr deutsch sprechen könne in der Fa- milie (?!). Ach so: Und deshalb spricht man so und so viele Jahre nach der Wende noch immer nicht die Sprache seiner Ahnen?! Faule Ausreden einer bereitwillig assimilierten Volksgruppe, die in Bewunderung der Mehrheitsnation in die Knie gegangen ist. Meine Familie ist nicht nur an der Heimat, sondern auch an der eigenen Sprache, an der Kultur und an der Religion hängen ge- blieben, auch wenn dadurch meinen Eltern höhere schulischen Fortschritte, lukrative Stellen, Auslandsstipendien etc. verwehrt blieben. Nun, durch dieses Erbe bleiben auch wir „karriere“los. Wenn es sein soll: gerne! Eine Genugtuung sind Momente im Le- ben, wie zum Beispiel, als meine Tochter noch im Kindergarten mit selbstverständlichem Bewusstsein mitgeteilt hat: „Ich bin ein deutsches Kindergartenkind” oder wenn mich meine Kinder in jedweder Öffentlichkeit deutsch ansprechen und untereinander auch nur ihre Muttersprache gebrauchen trotz jeder Schwierig- keit - wenn zum Beispiel einem die Kinder in einer deutschen Nationalitätenschule abgewiesen werden, weil sie nicht gut ge- nug ungarisch sprechen oder wenn sie es auf dem Schulhof er- dulden müssen, als „deutsche Zigeuner“ beschimpft zu werden. Auch wenn man schief angeschaut und böse angeknurrt wird, weil man doch in Ungarn lebt und hier gefälligst die Landesspra- che sprechen soll (die ja in Ungarn mit einem Charakter der Aus- schließlichkeit einzig als Muttersprache fungieren kann)! Nun, meiner Meinung nach hat sich das sogenannte Ungarn- deutschtum schon jeher äußerst billig verkauft. Wie ich es emp- finde, ist bis auf den heutigen Tag nur ein klägliches Überbleibsel einer Nostalgie geblieben – bar jeglichen Kampfgeistes, wenigs- tens den noch aufzufindenden Rest einer ehemals blühenden Kultur stolz emporzuheben und zu bewahren. Es gibt die schwa- che Ausrede, dass nicht nur die Sprache allein Träger der Kultur sei. Nur kann ich es mir nicht anhören, wie die Mitglieder ungarn- deutscher Kulturgruppen von der Bühne gehen und alles nur noch in ungarischer Sprache vor sich geht. Unglaubwürdig! Oder gibt es irgendwo ungarndeutsche Schulen, wo Kinder in den Pausen unter sich deutsch sprechen?! Was aber noch wichtig ist: Das Dasein als Ungarndeutsche sollte nicht ein Zeitkapselge- fühl sein, wo man alten, heute bereits längst überholten Lebens- weisen nachtrauert und diese bühnenfähig nachmacht. Auch das Dasein einer Volksgruppe muss zeitgemäß erlebbar sein. Hier und heute. Ohne die Kenntnis der Sprache ein hoffnungsloses Unterfangen. Was nützt da ein Schuldeutsch, das in der Seele nie Fuß fasst?! Was nützt alles, wenn die Ungarndeutschen sich mit Mühe zu den entschlossensten Hungaristen küren wollen… Meiner Meinung nach haben wir bei der Enteignung teuer genug unser Bleiberecht mit allen Merkmalen eines deutschen Daseins in Ungarn bezahlt. Wir haben unsere Heimat nicht nur für ein weißes Ross erkauft! 9